Schön, dass die Regierung den Reformstau angeht. Die Digitalisierung wird aber beherzte Synchronsprünge über ideologische Schatten erfordern.
Hört sich gut an, was da aus der Regierung durchsickert: fünf Arbeitsgruppen, die bis Herbst sehr konkrete Reformprojekte ausarbeiten sollen. Wenn die Ergebnisse dann auch noch umgesetzt werden, hätten wir nach vielen Jahren der frustrierenden Stagnation endlich den Reformstaudamm durchbrochen.
Aber warten wir erst einmal ab, ob die neuen Regierungsbesen wirklich besser als die alten kehren. Die Probleme, die es zu beseitigen gilt, sind ja nicht gerade die kleinsten: Überbürokratisierung hemmt die Betriebe, wegen beherzter staatlicher Steuer- und Gebührenzugriffe stagnieren die Realeinkommen, der Staat hat seine Ausgaben nicht im Griff, der Arbeitsmarkt erodiert zusehends, und die Finanzierung des noch dazu überdimensionierten Sozialsystems ist wegen deren ausschließlicher Fixierung auf die Arbeitskosten nicht mehr zukunftssicher.
Gerade der Umgang mit letzterem Punkt lässt Skepsis über die großkoalitionäre Lösungskompetenz aufkommen: Der zugegebenermaßen etwas unausgegorene Kern-Vorschlag für eine Wertschöpfungsabgabe (der im Prinzip auf eine bloße, Freiberufler besonders belastende Gewinnsteuer hinausläuft) wurde vom Koalitionspartner ja mit dem üblichen Reflex beantwortet: „Kommt nicht infrage!“
Eigentlich hätte man hier ein vernünftiges Gegenkonzept und eine anschließende seriöse Diskussion erwarten müssen, denn die Staatsfinanzierung und vor allem die Finanzierung des Sozialstaats sind ganz zentrale Themen. Hier ist vieles im Fluss. Und Volkswirtschaften, die für diese Herausforderung nicht gerüstet sind, werden recht bald sehr schlecht dastehen. Hier brennt wirklich der Hut.
Natürlich muss parallel das Ausgaben- und Überbürokratisierungsproblem des Staats gelöst werden. Das ist allerdings keine Raketenwissenschaft mehr. Hier liegen seit Jahren umfassende Konzepte mit milliardenschwerem Effizienzpotenzial von Rechnungshof, Wirtschaftsforschern und anderen Expertengremien vor. Da reicht es völlig, zur Umsetzung zu schreiten. Auch die komplizierte, reformverhindernde föderale Struktur ist da keine Ausrede mehr. Deren Bereinigung ist ohnehin Voraussetzung für alle vernünftigen Reformen. Was derzeit aber eindeutig zu kurz kommt, sind die Umbrüche in der Arbeitswelt, die vor der Tür stehen.
Die vierte industrielle Revolution wird sehr bald sehr viele Jobs nicht nur in der Produktion, sondern auch in der Dienstleistung obsolet machen. Und zwar nicht nur, wie jetzt vielfach noch beruhigt wird, im Bereich niedrig qualifizierter Tätigkeit. Sondern ebenso stark im „White Collar“-Sektor. Und wer glaubt, dass diese Jobs weitgehend durch neue ersetzt werden, hat das Wörtchen „autonom“ beim kommenden Einsatz autonomer Maschinen nicht verstanden.
Dieser Herausforderung, die mit Riesenschritten auf uns zukommt, wird man mit konventionellen Arbeitsmarktprogrammen nicht gerecht. Da müssen wir, ob es uns ideologisch passt oder nicht, über die Neuverteilung von Arbeit und Einkommen reden. Und darüber, wie wir die Finanzierung eines (vernünftig reduzierten) Sozialsystems sicherstellen. Denn diese basiert derzeit praktisch ausschließlich auf Abgaben auf (weniger werdende) menschliche Arbeit. Das bedeutet völlige Umstellung des Steuersystems und der Sozialstaatsfinanzierung.
Und da sind wir sofort bei irgendeiner Form von Wertschöpfungsbesteuerung (die wir übrigens in Form der Mehrwertsteuer ohnehin schon haben). Im Sozialsystem werden die Probleme schneller virulent, als viele glauben. Immerhin kommen derzeit durch die Migrationsbewegungen monatlich zwischen 3000 und 5000 Anspruchsberechtigte zusätzlich ins System, von denen ein Großteil nie eigene Beiträge leisten wird. Das reicht schon ganz ohne Industrie 4.0 für ernste mittelfristige Finanzierungsprobleme.
Wenn sich die Regierung bis Herbst zu „konventionellen“ Reformen aufrafft, dann ist das jedenfalls ein sehr guter Start. Aber sie wird sich sehr bald auch mit diesen Fragen beschäftigen müssen, wenn Österreich mittelfristig nicht komplett „absandeln“ will.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.08.2016)