"EU muss eigene Einnahmequelle erschließen"

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Die Eurozone sollte eine eigene Steuer für Aufgaben einheben, die auf nationaler Ebene nicht erfüllt werden können, sagt Daniela Schwarzer, Forschungsdirektorin im Vorstand des German Marshall Funds of the United States.

Die Presse: Der Euro wirkt nach außen als Symbol von Einigkeit und wirtschaftlicher Stärke – nach innen wirkt er nicht immer stabil. Verbirgt sich dahinter ein monetäres potemkinsches Dorf?

Daniela Schwarzer: Für mich sind der Euro und die Währungsunion insgesamt ein unvollendetes Projekt. Der Euro als Währung hat sich in der Krise bewährt, hat das Vertrauen der Märkte und der Bürger behalten, nach innen und nach außen. Aber die Architektur des Euro ist bei weitem nicht ausreichend gestaltet. Die ökonomischen Divergenzen, die makroökonomischen Ungleichgewichte, der Mangel an gewissen Instrumenten, da fehlt einfach viel, damit der Euro auch im Inneren so gut funktioniert, wie man das von einer starken Währungsunion erwartet.

Welche Instrumente bräuchte es denn dafür?

Im Bereich der wirtschafts- und haushaltspolitischen Koordinierung ist seit Einführung des Euro viel passiert. Unter dem Eindruck der Krise wurde die Koordinierung verstärkt, Kontrollmechanismen für nationale Politiken wurden verbessert. Aber wir sind noch weit entfernt von einer europäischen Wirtschafts- oder Haushaltspolitik.

Also bräuchte es eine Vergemeinschaftung?

Ja. Aber ich plädiere nicht für eine volle Vergemeinschaftung, sondern dafür, dass wir einen Teil der Wirtschaftspolitik, die für die Eurozone relevant ist, europäisch gestalten können und so mehr Instrumente zur Verfügung haben als vornehmlich Regeln zur Limitierung von nationalen Risiken. Wir brauchen ein neues Gleichgewicht zwischen nationaler Eigenverantwortung und gemeinschaftlicher Solidarität. Neben stärkeren Koordinierungsmechanismen und einer europäischen Insolvenzordnung für Staaten bräuchte es ein europäisches Budget mit verschiedenen Funktionen. Zum einen die makroökonomische Stabilisierungskomponente, zum anderen müssen wir aber auch Geld ausgeben, um bestimmte wirtschaftspolitische Ziele der Gemeinschaft zu unterstützen. Da kann es etwa um die Unterstützung und Förderung notwendiger Reformen gehen. Es geht aber auch um die Frage, was Europa an gemeinschaftlichen Instrumenten braucht, um in Innovation und Forschung stärker zu werden.

Nur wie soll man Staaten dazu bringen, Teile ihrer Budgethoheit abzugeben?

Das sollte nur für die Bereiche gelten, wo Europa wirklich eine wirksame Politik verfolgen kann, die auf nationaler Ebene nicht gemacht werden kann. Das ist etwa das Thema der makroökonomischen Stabilisierung. Es gibt keine vergleichbare Währungsunion auf der Welt, die ohne eine solche Komponente auskommt. Wir haben erlebt, was es bedeutet, wenn man die nicht hat. Zyklische Verwerfungen werden größer, die Anpassung nach Krisen wird schwieriger und schmerzhafter, und am Ende ist das Wachstum niedriger. Hier wird nicht nur nationale Kompetenz transferiert, sondern ein Handlungsspielraum zurückgewonnen, den es auf nationaler Ebene schon lange nicht mehr gibt. Eine zweite Frage: Wie kommen wir aus der hart geführten Umverteilungsdebatte hinaus? Ich denke, dass die EU fürs Eurozonenbudget mittelfristig über eine eigene Einnahmenquelle nachdenken sollte. Aber es muss gar nicht so viel mehr Geld in Brüssel zur Verfügung gestellt werden, sondern das Geld, das da ist, sinnvoller ausgegeben werden.

Also eine europäische Steuer über den gesamten Euroraum?

Ja, für sehr eng definierte Aufgaben, die auf nationaler Ebene nicht erfüllt werden können.

Nun ist das Steuerniveau in einigen Ländern jetzt schon hoch.

Sie haben recht, es gibt Staaten in der EU mit sehr hohen Steuersätzen, da wären Erhöhungen nicht akzeptabel. Da müsste man Steuern ein Stück weit harmonisieren. Da haben wir eine große Unwucht, etwa, was Unternehmensbesteuerung angeht. Wenn wir im Binnenmarkt so etwas wie faire Bedingungen haben wollen und eine Konstellation ohne unlauteren Wettbewerb und unverantwortliche Haushaltspolitik, müssen wir an dieses Thema ran.

Müsste dann jedes Land gleich hohe Steuern entrichten?

Es müsste sicherlich mit Mindeststandards gearbeitet werden und dann nicht eine komplette Vereinheitlichung, weil man die Wettbewerbsfähigkeit in einigen Staaten untergraben würde. Aber einen Weg vorzeichnen zu einer schrittweisen Angleichung und die Verhinderung von Steuerdumping wäre das Ziel.

Es gab gerade das Ja der Briten zum Brexit – welche Konsequenzen sehen Sie, wenn ein Euro-Land die EU verlassen würde?

Wenn man noch genauer sieht, welche Kosten die Entscheidung der Briten für das Land haben wird und dass sie keinen besonders guten Deal mit der EU bekommen werden, wird sich die Frage für Euro-Länder meiner Ansicht nach nicht in dieser Dringlichkeit stellen. Das große Erwachen kommt noch. Wenn ich damit falsch liege, hätten wir ein großes Problem. Wenn ein Eurozonenland, dem es noch dazu gut geht, seinen Austritt aus EU und Euro vorbereitet, würde das zu großen Marktturbulenzen und erheblichen Risiken führen.

Wäre ein Austritt von Griechenland, der diskutiert wurde, auch ein großes Problem gewesen?

Für Griechenland hätte es bei einem Grexit massive negative Folgen gegeben. Das Land hätte erst wieder Vertrauen in die Währung, die Fähigkeit, Staatsanleihen auszugeben, gewinnen müssen. Das wäre eine lange Durststrecke geworden, wo Europa nicht nur zuschauen hätte können. Und auch für den Euro, weil so die Natur der Währungsunion hin zu einem Wechselkursregime verändert worden wäre. Da hätte man sich sicher die Frage gestellt: Wer ist der nächste?

Gerade Italien hat momentan ähnliche Probleme. Sollte man dem Land erlauben, mehr Schulden machen zu dürfen?

Es ist schwierig, wenn die Regeln für die staatliche Neuverschuldung und den Schuldenstand immer wieder scheinbar beliebig flexibel ausgelegt werden, aber eine gewisse Flexibilität ist nötig. Sobald sich der Eindruck durchsetzt, dass kleine Länder sanktioniert, dafür andere sehr locker behandelt werden, verliert das Regelwerk an Glaubwürdigkeit. Die große Aufgabe ist eine politische, nämlich einen Rahmen für gutes staatliches Handeln zu schaffen, wo jenseits der Regeln politische Instrumente zur Verfügung stehen, um bestimmte Probleme stärker zu antizipieren und es gar nicht so weit kommen zu lassen, wie wir es in den letzten fünf, sechs Jahren gesehen haben.

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