ÖBB-Chef: „Es geht nicht nur um das Ergebnis“

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�BB-VORSTANDSVORSITZENDER ANDREAS MATTH�(c) APA/ERWIN SCHERIAU
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Auch ein öffentliches Unternehmen müsse wirtschaftlich denken, sagt der neue ÖBB-Chef, Andreas Matthä. Das Ziel könne aber nicht sein, sich nur auf Gewinne zu fokussieren.

Die Presse: Wie ist es, ein Unternehmen zu leiten, zu dem jeder eine Meinung hat?

Andreas Matthä: Das ist Teil dieser Aufgabe. Es ist ähnlich wie beim Nationaltrainer, da weiß es auch immer jemand besser. Wir haben in den vergangenen Jahren sehr hart an unserer Performance gearbeitet, was Pünktlichkeit, Image, Kundenservice betrifft. Insofern ist die Meinung sehr gut. Es ist meine Aufgabe, das weiter hochzuhalten.

Ihr Vorgänger wurde vom Vereinstrainer zum Teamchef. Was bedeutet das für Sie, dass Christian Kern jetzt Bundeskanzler ist?

Es ist für ihn eine neue Aufgabe, ich bin mir sicher, dass er nicht jede Sekunde an die ÖBB denkt.

Beim Thema Verkehr bleibt kein Stein auf dem anderen: Stichwort selbstfahrende Autos, E-Mobility. Sehen Sie im Bahnsektor ähnlich revolutionäre Entwicklungen?

Eine Revolution mit dem selbstfahrenden Auto wird kommen. Aber es stellt sich die Frage: Wo sind dann die Kapazitäten für die vielen Fahrzeuge? Sie haben vom besten selbstfahrenden Auto nichts, wenn es im Stau steht. Für die Bahn wird es immer einen Platz geben.

Ergeben sich durch diese Veränderungen auch neue Geschäftsfelder für die Bahn?

Wenn wir uns als Mobilitätsdienstleister verstehen, kann das nicht rein auf die Schiene fixiert sein. Am Ende des Tages wollen wir Transport von Tür zu Tür oder vom Betrieb direkt zum Kunden anbieten.

Deshalb sind die ÖBB jetzt in den Fernbusmarkt eingestiegen?

Wo die Infrastruktur noch nicht so modern ist, gibt es mehr Potenzial für den Bus. Mit den Fernbussen sprechen wir ein sehr preissensibles Publikum an. Auch das wollen wir abdecken. Natürlich mit der Vorstellung, dass diese Kunden irgendwann auf die Bahn umsteigen.

Kann sich das überhaupt rechnen? Der Markt ist umkämpft, die Preise sind extrem niedrig.

Wir sind mit einem Einstiegsangebot in den Markt gegangen. Diese Preise können und wollen wir nicht dauerhaft halten. Aber mit dem Angebot, das wir bieten, können wir sicher ein gewisses Kundenpotenzial ansprechen.

Und wenn es sich nicht rechnet, steigen Sie wieder aus?

Das ist ein mittelfristiges Investment, das man relativ rasch verändern kann. Die Wirtschaftlichkeit muss mittelfristig natürlich stimmen.

Der Bahnverkehr in der EU wird schrittweise liberalisiert. Früher oder später werden Strecken in Ausschreibungen vergeben werden, nicht mehr per Direktvergabe. Bereiten Sie sich darauf vor?

Die Frage ist, welches Angebot man liefert. Es geht stark darum, dass man verlässlich ist und die Mitarbeiter freundlich auf die Kunden zugehen. Diese Assets bieten wir.

Die Westbahn wünscht sich Ausschreibungen, weil sie beweisen möchte, dass sie effizienter ist.

Da bin ich mir nicht sicher. Wenn ich mir die Ergebnisse unserer Mitbewerber anschaue, dann haben sie sehr schwer mit ihren wirtschaftlichen Zielen zu kämpfen.

Ist es für Sie vorstellbar, dass ein Unternehmen wie die ÖBB irgendwann nicht mehr mehrheitlich in staatlicher Hand ist?

Bei der großen Anzahl an Menschen, die wir transportieren, ist es schon wichtig, dass die öffentliche Hand eine wichtige Rolle spielt. Das ist eine Frage der Daseinsvorsorge, sowohl für die Wirtschaft als auch für die Menschen.

Welche Gefahren sehen Sie konkret, würde die Bahn nicht mehr dem Staat gehören?

Auf einer Hauptstrecke fährt schnell einmal ein Zug. Aber was mache ich mit dem Rest? Und ich spreche nicht nur über irgendeine Nebenstrecke, sondern durchaus über untergeordnete Hauptbahnen, zum Beispiel im Ennstal.

Aber auch die ÖBB stellen regelmäßig unrentable Strecken ein. Ein Privatunternehmen würde nicht anders handeln.

Ich habe ja nicht gesagt, dass ein öffentliches Unternehmen nicht wirtschaftlich handeln soll. Die Frage ist nur, wo man die Grenze zieht. Aber wenn man dauerhaft weniger als 50 Menschen in einem Zug hat, stellt sich ernsthaft die Frage, ob das das richtige System ist.

Da fährt dann besser der Bus?

Da ist der Bus eine Alternative. Aber diese Nebenstrecken sind auch sehr mit Emotionen behaftet. Nach rein wirtschaftlichen Kriterien muss man diese Strecken diskutieren. In den Diskussionen, ob eine Strecke weiter betrieben wird, merkt man aber, dass das für die jeweiligen Gebietskörperschaften äußerst relevant ist. Es ist immer auch eine Diskussion mit den verantwortlichen Ländern und Gemeinden, welchen Beitrag sie zum Erhalt der Strecke leisten möchten.

Kern wollte für die Bahn 200 Millionen Euro Gewinn erzielen und die Kosten um 500 Millionen Euro senken. Was sind Ihre Ziele?

Wichtig ist, dass wir die Kapitalkosten für unsere Investments verdienen. Es geht nicht nur um das Ergebnis, sondern um die Kundenperformance. Man könnte in uralten Zügen fahren und große Gewinne machen, aber das kann nicht das Ziel sein. Es geht darum, modernes Zugmaterial zu haben und qualifizierte Mitarbeiter, unsere Position im Güterverkehr zu verteidigen und auszuweiten. Diese Qualität ist mindestens so wichtig, wie sich auf das Ergebnis zu fokussieren.

In der Flüchtlingskrise im Vorjahr spielten die ÖBB eine wichtige Rolle, weil sie sehr viele Flüchtlinge transportiert haben. Würden Sie genauso handeln wie Ihr Vorgänger?

Wenn in einem Schwung Tausende Menschen an unseren Grenzen stehen, können wir uns aussuchen: Entweder blockieren wir unser gesamtes Verkehrssystem, oder wir schauen, dass wir sie möglichst geordnet weiter befördern. Das ist eindrucksvoll gelungen, ich bin sehr stolz auf unsere Mitarbeiter.

Also ein klares Ja.

Ja. Weil alternativenlos.

Wir nehmen an, dass Sie schon den einen oder anderen Wunschzettel von Politikern erhalten haben. Wie lang ist die Liste?

So etwas ist mir noch nicht untergekommen. Wichtig ist es, einen rationalen Zugang zu haben, was für unser Unternehmen wichtig ist, und entsprechend zu entscheiden.

ZUR PERSON

Andreas Matthä (53) ist seit Juli Vorstandsvorsitzender der Österreichischen Bundesbahnen. Seit Mai, als sein Vorgänger, Christian Kern, Bundeskanzler wurde, leitete er die Bahn interimistisch. Matthä heuerte nach der HTL-Matura 1982 bei den ÖBB an und war zunächst für Brücken- und Tiefbauprojekte zuständig. Ab 2008 war er Vorstand der ÖBB-Infrastrukturtochter. Matthä ist SPÖ-Mitglied, nach eigenen Angaben aber nicht politisch aktiv.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2016)

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