Spielräume und Streiterei bei der Bildungsreform

Fast zehn Monate nach der Präsentation der Bildungsreform ist noch immer kaum etwas umgesetzt.

Exakt 292 Tage ist es her, dass die Regierung nach einer durchverhandelten Nacht ein Papier präsentierte, das laut dem ÖVP-Staatssekretär Harald Mahrer wenn schon nicht ganz, dann zumindest „fast geil“ ausfiel: die lang erwartete Bildungsreform, sozusagen der Befreiungsschlag für die stockende Bildungspolitik. Umgesetzt worden ist seit jenem 17. November, der sich in zweieinhalb Monaten jährt, aber wenig.

Obwohl die paktierten Überschriften eigentlich bis vergangenen Juni in Gesetze gegossen sein sollten, wurde bis dato nur ein einziges Reformpaket beschlossen: jenes, mit dem unter anderem die Abschaffung der Ziffernnoten in den ersten drei Volksschulklassen erleichtert und der Übergang vom Kindergarten in die Schule verbessert werden sollte (siehe Artikel unten).

Die Schulautonomie – von Anfang an eigentlich der am wenigsten strittige Punkt in der Arbeitsgruppe aus Ministern und Ländervertretern beider Parteien – soll bald konkretisiert werden. Beim Bildungskompass, der die Kinder bis zum Ende ihrer Schullaufbahn begleiten sollte, hat das Familienministerium bislang nur ein vages Konzept für die Kindergartenzeit vorgelegt.


In Schublade verräumt. Das zweite verpflichtende (und kostenlose) Kindergartenjahr scheint schon in die Schublade verräumt worden zu sein. Die wirklich heiklen Themen Schulverwaltung und Gesamtschule, bei denen es die Bildungsverhandler mit Ach und Krach schafften, sich auf Kompromisse zu einigen, dürften auf der Agenda nicht gerade ganz oben stehen. Kompromiss war in diesen Punkten aber wohl ohnehin der falsche Begriff.


Interpretationen und Streit.
Nicht ohne Grund brach gleich nach der Präsentation der Reform wieder der Streit los. Bei der Obergrenze von 15 Prozent der Schüler für Gesamtschulmodellregionen sah die SPÖ dann doch Spielraum nach oben. Und die Machtverteilung in den Bildungsdirektionen, die die Landesschulräte ablösen sollten, hatte jede Seite eher zu ihren Gunsten interpretiert. Was bei dem nicht sonderlich detaillierten Papier wohl von vornherein „part of the game“ war.

Dass nach einem halben Jahr mit Sonja Hammerschmid (SPÖ) eine neue Bildungsministerin übernahm, um die von ihrer Vorgängerin, Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ), ausverhandelte Reform umzusetzen, birgt zumindest die Hoffnung, dass manche faulen Kompromisse – wie in der Schulverwaltung – eben nicht umgesetzt werden. Eine echte Änderung des Kompetenzwirrwarrs bleibt dann eben gleich weit entfernt wie vor dem 17. November.

Dass die Bildungsreform nicht der allergrößte Wurf werden würde, konnte man schon vor diesem Datum ahnen – und schon bevor die Landeschefs Erwin Pröll (ÖVP) und Hans Niessl (SPÖ) aus der Runde ausstiegen. Als sich die Verhandler zum ersten Mal trafen, war das wichtigste Ergebnis offenbar, dass sie sich nicht die Köpfe eingeschlagen hatten. „Man hat niemanden schreien gehört, und der Boden hat nicht gebebt“, sagte Mahrer. Immerhin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.09.2016)

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