Hausaufgabe für die Regierung: Schulen vom Gängelband befreien

(c) Clemens Fabry
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Man kann nur hoffen, dass sich die Bildungsministerin traut, ihre Visionen von mehr Freiheit für die Schulen umzusetzen. Auch gegen Widerstände.

Auch wenn sie es niemals so formulierte: Was in der Bildungsreform für die Schulen an Autonomie vorgesehen war, muss Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ) läppisch vorgekommen sein. Als ehemalige Rektorin ist sie anderes gewöhnt. Denn die Zeiten, als man als Uni-Chef quasi für jeden Bleistift ein Antragsformular ausfüllen musste, sind seit mehr als zehn Jahren vorbei, und die heimischen Hochschulen sind – wenn schon nicht bei vielem anderen – in ihrer Freiheit international vorn dabei. Und trotz aller Kritik im Detail: Die Unis vom Gängelband des Ministeriums zu befreien, hat sich bewährt.

Dass die neue Bildungsministerin, die im Mai eine halb fertige (und auch im übertragenen Sinn halb gare) Bildungsreform übernahm, die Schulautonomie in den Fokus nehmen würde, war also erwartbar. In der Tat scheint Hammerschmid nun an ein paar Schrauben zu drehen, um vielleicht doch ein bisschen mehr Freiheit für die Schulen herauszuholen, als ihre Vorgängerin, Ex-Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ), zulassen mochte.

Statt Schulleitern bei der Neubestellung von Lehrern nur ein Vetorecht einzuräumen, sollten diese tatsächlich über ihr Team entscheiden können, sagte Hammerschmid nun. Sie sollen auch entscheiden können, ob sie wirklich einen Lehrer brauchen – oder vielleicht einen Sozialarbeiter oder Psychologen. Unlängst meinte sie, sie würde sich wünschen, dass Schulen das Lehrergehalt aufs Schulkonto bekommen, wenn sie einen Lehrer weniger einsetzen. Und mit dem Geld wie in Hamburg de facto tun können, was sie wollen.

Wie weit es wirklich gelingt, den finanziellen Spielraum, der in dem am 17. November präsentierten Reformpapier höchst bescheiden ausgefallen ist, zu vergrößern, ist noch offen. Was man sich erhoffen darf, ist, dass die Prozentzahlen, bis zu denen die Schulen von ihren Lehrplänen abweichen dürfen, fallen. Dass man in der Volksschule bis zu fünf Prozent, in der AHS-Unterstufe bis zu 33 Prozent und in der -Oberstufe 20 Prozent des Lehrplans frei gestalten können soll, ist nämlich etwas kurios.

Es gibt auch reichlich Beispiele, wie frei Schulen anderswo agieren können. In den Niederlanden zum Beispiel, wo 86 Prozent aller Entscheidungen auf Schulebene getroffen werden, das sind fast dreimal so viele wie in Österreich (31 Prozent). Dafür werden dort alle Schüler regelmäßig zentral getestet und die Schulen alle paar Jahre evaluiert. Und wenn die Leistung über längere Zeit nicht stimmt, kann sogar der Schulleiter hinausfliegen.


Es gibt auch einiges zu beachten: Mehr Freiheit allein ist keine Garantie für bessere Leistungen. Es braucht umso mehr Kontrolle der Ziele, je freier der Weg dorthin ist (und entsprechende Konsequenzen). Autonomie darf nicht bedeuten, dass nun der Schulleiter den Mangel verwalten darf. Er muss darauf vorbereitet werden, damit mehr Freiheit nicht eher zur Bürde wird als zum Geschenk. Und man muss der Entstehung von „Restschulen“ gegensteuern.

Wenn es eine wirklich freie Lehrerauswahl gibt, ist darauf zu achten, dass in der Brennpunktschule in Favoriten oder im hintersten Grenzdorf im Waldviertel nicht nur die Lehrer landen, die sonst keiner haben will. Und die mit der jüngsten Reform des Dienstrechts einzementierte, unflexible Lehrerarbeitszeit muss aufgebrochen werden. Genauso wie die Frage, warum Lehrer bei unzureichender Leistung nicht gekündigt werden können.

Auch wenn es derzeit dienstrechtlich nicht möglich ist, könnte man es leicht einführen. Das Dienstrecht ist auch nur ein Gesetz. Und es wäre im Sinn der vielen engagierten Pädagogen, würde mit den wenigen schwarzen Schafen in der Schule härter umgegangen. Nicht nur das wird mit der Lehrergewerkschaft, die bisweilen sogar schon mit „Krieg“ gedroht hat, schwierig. Dafür reichen schon die aktuellen, vorsichtigen Ideen aus. Von den Ländern, deren Rolle sich ebenfalls ändern wird, gar nicht zu sprechen.

Aber es gibt nun einmal keine Reform ohne Konflikte. Politik zu machen bedeutet, Entscheidungen zu treffen. Man kann nur hoffen, dass die Bildungsministerin sich das auch traut. Und dass, wenn schon nicht heute, dann zumindest am ersten Schultag des nächsten Jahres ein freierer Wind durch die Schulen weht.

E-Mails:bernadette.bayrhammer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2016)

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