Russland: Wenn Meinungsforscher zu Agenten werden

Präsident Putin ist der Champion aller Meinungsumfragen in Russland. Derzeit steht dort unabhängige soziologische Forschung unter Druck.
Präsident Putin ist der Champion aller Meinungsumfragen in Russland. Derzeit steht dort unabhängige soziologische Forschung unter Druck.(c) AFP
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Zwei Wochen vor den russischen Parlamentswahlen wurde das unabhängige Lewada-Center als "ausländischer Agent" eingestuft, da ihm ausländische Geldannahme vorgeworfen wird. Die Initiative dürfte von Hardlinern kommen.

Moskau/Wien. Im August 2016 hießen 53 Prozent die Arbeit der russischen Regierung nicht gut. Die Staatsduma bewerteten im Vormonat gar 62 Prozent negativ. Keine besonders angenehmen Zahlen für die Regierenden – zumal so kurz vor den Wahlen zur Staatsduma am 18. September. Die Ergebnisse stammen aus Umfragen des Lewada-Zentrums, das am Montag vom Justizministerium als „ausländischer Agent“ klassifiziert wurde. Dort findet man es nun auf Platz 141. Dass die Listung ausgerechnet jetzt passiert, halten viele Beobachter für ein Signal.

Das Lewada-Zentrum ist ein 2003 vom mittlerweile verstorbenen Soziologen-Doyen Jurij Lewada gegründetes Umfrageinstitut in Moskau. Eine seriöse und unabhängige Meinungsforschungseinrichtung, die regelmäßig mit Stimmungsbarometern die politische Temperatur im Kreml misst und hohen Beamten Haltungsnoten ausstellt. Umfragen sind ein Politikum – sogar in Russland, wo der von Wladimir Putin geführte Machtapparat und die Präsidentenpartei Einiges Russland keine ernsthafte Konkurrenz zu befürchten haben. Einiges Russland schneidet übrigens in einer aktuellen Lewada-Umfrage recht schlecht ab: Nur 31 Prozent der Befragten wollen bei der Duma-Wahl für die Kreml-Partei stimmen. Das wären bedeutend weniger als beim letzten Wahlgang 2011, als die Partei mit 49 Prozent der Stimmen knapp die absolute Mehrheit verpasste. 2007 hatte Einiges Russland noch 64 Prozent erhalten.

Die zunehmend schwierigere Sicherung stabiler Mehrheiten und ein gewisses Protestpotenzial in der Bevölkerung stellte die Elite in den vergangenen Jahren vor Herausforderungen. Der Erlass des Gesetzes über ausländische Agenten im Jahr 2012, unmittelbar nach dem russischen Protestwinter, ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Ausgewählte Nichtregierungsorganisationen (NGO) werden seither in einer Agentenliste zwangsregistriert, wenn sie eine (schwammig definierte) politische Tätigkeit ausüben und vom Ausland finanziert werden. Sie sind gezwungen, überall ihren Agenten-Status transparent zu machen. Mit der Bezeichnung „Agent“ wird das in Russland verbreitete Vorurteil gestützt, NGO seien vom Ausland gesteuert bzw. verfolgten eine Umsturz-Agenda.

Die Affäre rund um das Lewada-Zentrum geht bereits auf den Mai 2013 zurück. Damals wurde das Institut wegen angeblicher ausländischer Finanzierung und politischer Tätigkeit erstmals verwarnt. Der aktuelle Vorwurf lautet, das Institut habe US-Gelder erhalten. Institutschef Lew Gudkow bestreitet dies nicht. Es habe sich dabei jedoch um kommerzielle Aufträge gehandelt. Die Agenten-Klassifizierung nannte Gudkow „eine Vernichtung der Unabhängigkeit soziologischer Untersuchungen im Land“. Natürlich wolle man gegen die Entscheidung vorgehen, doch seien die Erfolgschancen „nicht sehr hoch“.

„Ungewissheit im System verankert“

Mischa Gabowitsch, der am Einstein Forum in Potsdam über soziale Bewegungen in Russland forscht, zählte 2013 zu den Erstunterzeichnern einer Petition gegen das Behördenvorgehen. „Das Gesetz ist ein Instrument des Staates, um Unsicherheit zu schaffen und notfalls zuschlagen zu können“, sagt er zur „Presse“. Warum bestimmte NGOs verfolgt werden, ob sie in ihrer Arbeit nur behindert oder gar geschlossen werden sollen, sei oft schwer zu eruieren. „Diese Ungewissheit ist im System verankert“, so Gabowitsch über das Gesetz und seine vage Anwendung. Der mit den Behördenüberprüfungen verbundene Papierkram, Strafen oder Klagen vor Gericht binden jedenfalls die Energie der Mitarbeiter. Tatsächlich mussten einige Organisationen ihre Tätigkeit bereits einstellen.

Aufschlussreich ist, aus welcher Ecke die Meldung kommt. Die Antimaidan-Bewegung rund um den Föderationsratsabgeordneten Dmitrij Sablin trug im Juli dem Justizministerium vermeintliche Fakten zu. Gudkow vermutet hinter der Aktion Hardliner des Sicherheitsblocks, die Präsidentschaftsverwaltung stecke nicht dahinter, meinte er. Präsident Putin hat in Lewada-Umfragen derzeit nichts zu befürchten. Seine Zustimmungsraten liegen anders als die des angeschlagenen Premiers Dmitrij Medwedjew und weiterer hoher Beamte bei satten 82 Prozent.

Putin am Grab Karimows

Putin besuchte am Dienstag Usbekistan und nahm am Grab in Samarkand Abschied von Präsident Islam Karimow. Moskau sei der „verlässlichste Freund“ Taschkents, das Land müsse stabil bleiben. Putin traf Premier Schawkat Mirzijojew – was darauf hindeutet, dass dieser die Nachfolge Karimows antritt.

AUF EINEN BLICK

Das Lewada-Zentrum, ein renommiertes Soziologieinstitut, wurde vom Justizministerium als „ausländischer Agent“ registriert. 141 russische Nichtregierungsorganisationen (NGO) stehen derzeit auf der Liste. Sie müssen mit strengeren Überprüfungen rechnen und ihren „Agenten“-Status stets bekannt geben. Nur wenigen NGOs ist es gelungen, gegen die Zwangsregistrierung erfolgreich zu klagen. Manche nehmen neue Organisationsformen an, andere geben auf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2016)

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