Weißrussland: Lukaschenko lässt sein Parlament wählen

Aleksander Lukaschenko.
Aleksander Lukaschenko.(c) REUTERS (VASILY FEDOSENKO)
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Der autokratische Herrscher bemüht sich zum ersten Mal um den Anschein demokratischer Verhältnisse, er versucht eine Annäherung an EU und USA. Für die Wahlkampagne der Opposition gab es weniger Einschränkungen.

Minsk. Mit Wahlplakaten zugekleisterte Wände findet man in Minsk keine. Niemand wirbt auf einem der Großbildschirme für seine Wiederwahl. Für einen uneingeweihten Besucher der Hauptstadt Weißrusslands ist kaum zu erkennen, dass am Sonntag ein neues Parlament gewählt wird. Einzig an den Türen zu Bibliotheken, Ämtern und Geschäften hängen klein gehaltene Poster, die die Bürger am Sonntag zu den Urnen rufen.

Im Fernsehen aber tobte erstmals eine Art echter Wahlkampf. Sogar das Staatsfernsehen strahlte Diskussionsrunden von Kandidaten aus. Allerdings diskutierte die Opposition meist unter sich: Die bisher ohnehin als gewählt geltenden präsidentenfreundlichen Kandidaten bemühten sich dafür nicht ins Studio. Der Opposition gaben die Diskussionsrunden zusätzliche Sendeminuten, um eine Alternative zum Regierungsstil Aleksander Lukaschenkos zu präsentieren, der das Land seit 23 Jahren beherrscht.

Im Unterschied zu den letzten Wahlen von 2012 bemüht sich der Autokrat ernsthaft um den Anschein demokratischer Verhältnisse. Grund sind die geopolitischen Gegebenheiten, die sich seit der russischen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim und der Invasion im Donbass radikal geändert haben. „Lukaschenko ist sich bewusst, dass Weißrussland schnell Russlands nächstes Opfer werden könnte“, sagte der Politologe Waleri Karbalewitsch der „Presse“.

Der Präsident auf Schaukelkurs

Lukaschenko, der sich mit den Minsker Friedensverhandlungen für den Donbass einigen Goodwill in der EU gesichert hat, versucht deswegen eine vorsichtige Annäherung an Brüssel und Washington. Ein Schaukelkurs zwischen Ost und West soll Weißrussland neue Kredite sichern. Zumal Russland wegen der eigenen Wirtschaftskrise nicht mehr Willens ist, Lukaschenko im bisherigen Maß mit Subventionen – vor allem durch günstige Öl- und Gaslieferungen – zu unterstützen.

Optimisten gehen deshalb davon aus, dass Lukaschenko erstmals ein paar Oppositionskandidaten zu seinem bisher handverlesenen Parlament zulassen könnte. Von der Einschätzung dieser Wahl – der letzten vor der Präsidentenwahl 2020 – hängt nämlich ab, ob und wie umfangreich die Europäische Investitionsbank in Weißrussland aktiv wird und welche Finanzhilfen das EU-Programm der Östlichen Partnerschaft bereitstellt.

Auf dem Papier sieht es gut aus: Dutzende von den knapp 500 von Lukaschenkos Zentraler Wahlkommission registrierten Kandidaten für die 110 Parlamentssitze gehören einer Oppositionspartei an. Nur 28 Parlamentarier wollen sich erneut wählen lassen.

Mehrere Oppositionskandidaten wurden indes gar nicht erst registriert. Auch zu den gut 6000 Wahlkommissionen, die die abgegebenen Stimmen zählen sollen, wurden fast keine Mitglieder von Oppositionsparteien zugelassen. Nur gerade 50 von rund 66.000 Kommissionsmitgliedern sind Oppositionelle. Auch hat Lukaschenko die von der OSZE als besonders fälschungsanfällig kritisierte vorzeitige Stimmenabgabe beibehalten. Etwa ein Drittel aller Stimmen kommen jeweils so zusammen, oft durch Studenten, Soldaten und Staatsangestellte mit einem klaren Wahlauftrag – und der damit verbunden Drohung, den Arbeits- oder Studienplatz zu verlieren. In einer noch hochgradig staatlich organisierten Wirtschaft wie in der Ex-Sowjetrepublik Weißrussland funktioniert das gut.

Da das Parlament bisher vor allem die Funktion hatte, Lukaschenkos Gesetzesinitiativen durchzuwinken, haben Oppositionspolitiker in ihren Fernsehansprachen und auf Wählertreffen gefordert, das neue Parlament müsse sofort ein Amtsenthebungsverfahren für den Staatspräsidenten einleiten. Wladimir Popol von der Weißrussischen Volksfront forderte gar „eine Kugel für Lukaschenko“.

Die meisten oppositionellen Kandidaten geben sich im Wahlkampf indes weniger radikal. Soziale Themen wie die steigende Arbeitslosigkeit, der Lohnverfall und die sich im Zuge der Wirtschaftskrise verschlechternde Infrastruktur beherrschen den Wahlkampf. Die liberale Vereinigte Bürgerpartei wirbt mit dem Wahlslogan „Eine Million neue Jobs“ für tiefgreifende Reformen. Zusammen mit den Christdemokraten und der Bürgerbewegung „Für die Freiheit“ haben sie sich auf ein Wahlbündnis geeinigt, das in fast jedem Wahlkreis einen Kandidaten stellen kann.

Erfolge traut man auch der sich als eher unpolitisch gebenden Bürgerinitiative Sag die Wahrheit der letztjährigen oppositionellen Präsidentschaftskandidatin Tatsjana Karatkewitsch zu. Während ein paar radikale Oppositionsparteien wie bereits bei den Präsidentenwahlen vom Herbst zum Wahlboykott aufrufen, fordert Sag die Wahrheit die Weißrussen zur Teilnahme auf, selbst wenn es erneut zu Wahlfälschungen kommen sollte. „Man kann mir meine Stimmen stehlen, aber die Unterstützung nicht“, begründete das Spitzenkandidat Andrei Dimitriew.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2016)

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