Die Welt wird reicher, die Ungleichheit sinkt

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In den Schwellenländern ist die Mittelschicht auf dem Vormarsch. Nicht so in den Industriestaaten, wo sie unter den niedrigen Zinsen leidet. 2015 profitierten aber auch die Reichen nicht mehr von der extrem lockeren Geldpolitik.

Wien. Die beste Nachricht vorab: Das private Geldvermögen ist seit der Jahrtausendwende auch real kräftig gewachsen, und alle Weltregionen haben davon profitiert. Mehr noch: Diese Vermögen (Bareinlagen, Wertpapiere sowie Ansprüche an Versicherungen und Pensionsfonds) sind heute im globalen Maßstab deutlich weniger ungleich verteilt als noch vor 15 Jahren – allen Unkenrufen zum Trotz. Das zeigt der „Global Wealth Report 2016“ der Allianz mit Daten aus den 53 wichtigsten Ländern, darunter auch Österreich. 600 Millionen Menschen konnten in die Mittelschicht aufsteigen, in Asien, Lateinamerika und Osteuropa. Der Zuwachs geht weit über das Bevölkerungswachstum dieser Regionen hinaus. Damit ist die Vermögensmittelschicht von zehn auf 20 Prozent angewachsen. Die Unterschicht wurde entsprechend kleiner, der zahlenmäßige Anteil der Reichen blieb in etwa gleich. Betrachtet man den Anteil am Gesamtvermögen, hat die Oberschicht sogar kräftig an die Mittelschicht abgegeben: Statt 91 gehören ihr „nur noch“ 77 Prozent des Kuchens (siehe Grafik). Auch in der Hälfte der einzelnen Staaten (vor allem Schwellenländer) zeigt sich dieser Trend: Die Mittelschicht gewinnt, die Konzentration an der Spitze nimmt ab – eine Erfolgsgeschichte.

„Von zunehmender Ungleichheit kann aus dieser Perspektive keine Rede sein“, heißt es in der Studie.Weniger erfreulich ist das Bild in einem Drittel der betrachteten Länder, im Wesentlichen den westlichen Industriestaaten. In den meisten von ihnen – auch in Österreich – geht nämlich die Mittelschicht in Sachen Geldvermögen in den vergangenen Jahren zurück. Die Experten der Allianz erklären das mit der extrem lockeren Geldpolitik seit der Finanzkrise im Euroraum, in Japan und den USA. Sie sorgte für historisch niedrige Zinsen und boomende Börsen. Von den steigenden Aktienkursen profitieren vor allem die Reichen, weil sie stärker in Wertpapieren anlegen. Die Mittelschicht aber bleibt bei Girokonto, Sparbuch und Pensionsvorsorge – und leidet unter realen Verlusten auf ihr Kapital. Das gilt vor allem für Europa und Japan, weniger für die USA, wo das Gros der Anlagen über den Kapitalmarkt läuft. Eine abweichende Entwicklung zeigen weitere neun Länder, darunter Frankreich und die Schweiz: Hier geht eine größere Mitte mit einer stärkeren Konzentration an der Spitze einher. „Inklusive Ungleichheit“ nennen das die Autoren.

Eines haben die Geldpolitiker der großen Notenbanken zweifellos erreicht: Sie trieben die Vermögenspreise kräftig in die Höhe (auch die der Immobilien, die in den Allianz-Zahlen nicht eingerechnet sind). Aber auch diese Wirkung scheint deutlich nachzulassen. Das zeigt sich an der Entwicklung des Bruttoweltvermögens (vor Abzug der Schulden): Nach den drei „fetten Jahren“ von 2012 bis 2014, in denen es dank Aktienrallye im jährlichen Schnitt nominal um neun Prozent anstieg, wuchs es im Vorjahr mit 4,9 Prozent nur noch um gut die Hälfte. Nach Abzug der Inflation ist das zwar immer noch mehr als das Wirtschaftswachstum, aber nur noch knapp. Ursache sind auch hier die Börsen: Nach ihrer wilden Achterbahnfahrt landete der Weltaktienindex MSCI World zum Jahresende 2015 mit drei Prozent im Minus.

Italiener reicher als Österreicher

Österreich liegt in der Rangliste seit Jahren auf dem 17. Platz, aktuell mit einem Nettogeldvermögen (nach Abzug der Schulden) von 51.060 Euro pro Person – weniger als in Italien und Frankreich, aber mehr als in Deutschland (wo die neuen Länder den Schnitt drücken). Seit der Krise liegt das Wachstum klar unter dem westeuropäischen Schnitt und nicht höher als in Spanien oder Portugal. Was erfreulich ist: Die Österreicher habe die niedrigste Schuldenstandquote in Westeuropa (mit 52,7 Prozent des BIPs). In der ganzen Region wie auch in den USA bauen private Haushalte Schulden ab, zumindest relativ. Das sechste Jahr in Folge stiegen die Verbindlichkeiten weniger stark als die Wirtschaftsleistung. Allerdings dürfte dieses Deleveraging nun an ein Ende kommen.

Wie geht es weltweit weiter? Viel hängt von China ab. Bis jetzt hat dort die schwächere wirtschaftliche Dynamik nicht auf den Vermögenszuwachs abgefärbt. Auch der globale Vormarsch der Mittelschicht ist großteils China zu verdanken. Das kann man als Risiko, aber auch als Chance sehen: Andere Schwellenländer, von Indien über Südafrika bis Mexiko, haben hier noch sehr viel Potenzial. Von den Unterschieden im absoluten Niveau ganz zu schweigen: In Nordamerika, der reichsten Region der Erde, liegt das Pro-Kopf-Geldvermögen bei 152.510 Euro, in Lateinamerika bei 2840 Euro. Die Aufholjagd hat also wohl erst begonnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.09.2016)

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