Tirol: Mit Gott und Andreas Hofer

(c) Norbert Rief
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Am Sonntag gedenkt Tirol mit einem großen Umzug der Bergisel-Schlachten vor 200 Jahren. In einem kleinen Tal besiegte man die Franzosen schon 13 Jahre früher. 26.000 "Manda" und "Weiba" marschieren durch Innsbruck.

Hätte Andreas Hofer anno 1809 so viele Schützen zur Verfügung gehabt, er hätte wohl auch die vierte Bergisel-Schlacht gewonnen. 26.000 „Manda“ und „Weiba“ marschieren am Sonntag durch Innsbruck. Drei Stunden dauert der Landesfestumzug der Schützenkompanien, Trachtenvereine, des Kameradschaftsbunds, der Kaiserjäger und Musikkapellen.

Der Sieg über die Franzosen vor 200 Jahren ist für Tirol keine kleine Sache. Nicht so sehr, weil man gewonnen hat, sondern vielmehr wegen der Art, auf die man gewonnen hat. Ein Haufen entschlossener heimatverbundener Bauern, die die Truppen des großen Feldherrn Napoleon schlugen. Und das gleich drei Mal. Und mehr oder weniger nur mit Mistgabeln bewaffnet – zumindest hören sich manche verklärten Schilderungen so an.

Der Held, der aus diesen Schlachten hervorging, wird dieser Tage natürlich nicht hinterfragt. Ob sich Andreas Hofer in seiner kurzen Regentschaft in Tirol mehr wie ein „Alpen-Taliban“ gerierte als wie ein Befreier oder ob er einfach nur ein Kind seiner Zeit war, mögen Historiker diskutieren. Für die Tiroler geht es hier und heute um den Volkshelden, den Kampf und die Mistgabeln.


Der Tannheimertaler Bergisel. In einem kleinen, fernen Tal hat man schon gefeiert. Ein paar Tage vorher und ein paar Jahre mehr: 13, um exakt zu sein. Auch 1796 ging es im ersten Koalitionskrieg gegen die Franzosen, die auf ihrem Weg gen Innsbruck und Wien gern eine Abkürzung durch das Tannheimer Tal im Bezirk Reutte genommen hätten. Zwar stießen die Franzosen am Ende tatsächlich nach Osten vor, aber nicht durch dieses Tal. Man schlug den Feind derart in die Flucht, „dass sich dia erscht am Bodensee zum erschten Mal wieder umdreht händ“, berichtet ein Einheimischer, der das von seinem Vater gehört hat, der wiederum von seinem Vater, der von seinem, der ebenfalls von seinem Vater und der von seinem Großvater. Und der war am Bodensee mehr oder weniger direkt hinter den Franzosen.

Was der Bergisel für Tirol, ist der Jochberg, wo die Schlacht stattfand, für das Tannheimer Tal. Im Kampf hieß es damals ebenfalls Bauern gegen Söldner. Und weil es ein untadeliger Sieg war, der nur Helden und keine Taliban hervorbrachte, gelobte man, Gott alljährlich dafür zu danken. Genau das tut man seither immer im September mit einem Gelöbnisgottesdienst und einer Prozession. Heuer zum 213. Mal.

„Dem Gelöbnis unserer Vorfahren treu, haben wir uns heute hier versammelt“, beginnt Pfarrer Donatus Wagner den Festgottesdienst. Knapp 3000 Menschen leben im Tannheimer Tal, und nur wenige sind an diesem Tag nicht in der Kirche. Nicht unbedingt deswegen, weil man derart gläubig ist, sondern weil der Großteil bei irgendeinem der anwesenden Vereine dabei ist.

Vier Musikkapellen spielen abwechselnd, manchmal auch gegeneinander, die Feuerwehr hat eine Abordnung geschickt, die Landjugend, die Gemeinderäte sind hier, die Kriegsheimkehrer, die Frauen in Tracht, fünf Priester und natürlich die Schützen. Eine kleine, aber durchaus laute Kompanie.

Für das Tal ist dieser Tag ein Feiertag ähnlich wie Weihnachten oder Ostern. In Tirol ist er einzigartig, vermutlich sogar in ganz Österreich. Die Kinder haben schulfrei, alle Geschäfte sind geschlossen – außer die Filialen großer Lebensmittelketten, denn in Amsterdam (Hauptsitz von „Spar“) oder Völs (Zentrale von „M-Preis“) gibt es halt keinen „Siebezehnte“.


„D'r Siebezehnte“. Das ist das Wort, das jeden Tannheimertaler andächtig werden lässt: „D'r Siebezehnte“ ist der 17. September 1796, an dem die Schlacht auf dem Tannheimertaler „Bergisel“ stattfand. „Etwa 500 Einheimische und ebenso viele kaiserliche Soldaten standen ein paar tausend Franzosen gegenüber“, erzählt Alfons Kleiner, der als Hobby-Talhistoriker jedes Detail der Schlacht kennt. Tagelang beschoss man sich, am Ende gaben die Franzosen auf und rückten ab. Die Schützen schworen dem damaligen Pfarrer Johann Kotz feierlich, „jenen Tag zu geloben, an welchem die Feinde von unseren Gränzen geschlagen werden“.

Darf man das? Darf man Gott gegen die Franzosen vereinnahmen? So wie einst das preußische Königshaus, das seine Soldaten mit dem Wahlspruch „Gott mit uns“ auf die Gürtel gestickt in die Schlacht schickte? Auch dem Kapuzinerpater Joachim Haspinger sagt man einen wesentlichen Anteil an den Bergisel-Schlachten nach: Er soll Hofer aufgehetzt haben gegen die bayerische Besatzung, die unter anderem das Teufelszeug einer Pockenimpfung in Tirol einführen wollte.

Pfarrer Wagner kennt die Antwort: „Es geht nicht darum, dass man mit Gott oder gegen Gott kämpft. Es ging im Gelöbnis um die Abwehr der Gefahr; darum, dass das Tal verschont bleibt. Und dafür dankt man Gott.“

Man tut es an diesem Donnerstag unter anderem mit einer beeindruckenden Kanone. Während des Gottesdienstes bei der Wandlung kracht plötzlich ein Schuss draußen vor der Raiffeisenbank, dass die Kirche erzittert und einige Betende wohl nur knapp einem Herzinfarkt entgehen. Das anschließende Gebet, Gott möge die Bitten erhören, bekommt jedenfalls eine ganz neue Bedeutung.


Von martialisch zu sozial. Über lange Jahre hatte der „Siebezehnte“ vor allem einen martialischen Hintergrund. Als man 1996 die 200-Jahr-Feier beging, änderte sich das. „Wir wollten ein Zeichen der Dankbarkeit setzen, für den Frieden, den wir haben, und den Wohlstand, in dem wir leben“, sagt Toni Gutheinz. Der Hauptschullehrer gründete zusammen mit Wagner und anderen Einheimischen den „Hilfsverein für in Not geratene Tannheimertaler“.

Seither hat der „Siebezehnte“ einen durchwegs sozialen Hintergrund: Freiwillige braten Würsteln, zapfen Bier, die Frauen des Tales backen viele verlockende Kuchen, deren übermäßigen Genuss man mit dem guten Zweck rechtfertigen kann. Die Einnahmen kommen dem Verein zugute, und so sammelte man in den vergangenen 13 Jahren mehr als 100.000 Euro.

Die Sakramentprozession nach dem einstündigen Gottesdienst kann sich sehen lassen. Einen guten Kilometer lang mit dem Allerheiligsten in der Monstranz, etlichen Fahnen, bunten Trachten und aufgeregten Touristen. Der Aufzug endet vor dem Andreas-Hofer-Denkmal.

Vereint stehen Schützenkommandanten und Priester vor dem Natursteinsockel mit dem mächtigen Bronzeadler, der einen Lorbeerkranz hält, darunter ein Bronzerelief von Andreas Hofer. Pfarrer Wagner dankt Gott, „dass wir in diesem schönen Tal leben dürfen“, und die Schützen danken Hofer mit einer Kranzniederlegung. Und dann folgt die perfekte Symbiose der Traditionen: Die vier Musikkapellen spielen zuerst „Großer Gott, wir loben Dich“ – und anschließend „Zu Mantua in Banden“. So nah sind sich Gott und Andreas Hofer in Tirol.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2009)

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