Kolumbien: Der geplatzte Traum vom Frieden

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COLOMBIA-PEACE-GUERRILLA-CONFERENCE(c) LUIS ACOSTA / AFP / picturedesk. (LUIS ACOSTA)
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Die Bevölkerung hat das epochale Friedensabkommen mit den Farc-Rebellen in einem Referendum überraschend abgelehnt. Unterhändler ringen nun um die Aufrechterhaltung der Waffenruhe.

Wenn kein Frieden, was dann? Mit dieser Frage sind Kolumbien, aber auch der ganze amerikanische Kontinent an diesem Montag aufgewacht, und bisher gibt es wenige Ansätze für eine sinnvolle Antwort. Sowohl die Regierung von Juan Manuel Santos als auch die Spitze der Farc-Rebellen hatten eine Zustimmung des Volkes zu dem vorige Woche im Beisein kontinentaler Polit-Prominenz unterzeichneten Friedensabkommen nach 52 Jahren Krieg fix eingeplant. Regierung und Konzerne hatten bereits die ökonomische Dividende einer permanenten Waffenruhe berechnet. Und die Farc hatten nach ihrem jahrzehntelangem Versteckspiel 800 Journalisten in den Dschungel geladen, und verabschiedeten den bewaffneten Kampf mit einem veritablen Karneval.

Doch nun wurde die finale Fiesta verdorben – ausgerechnet vom Volk oder besser gesagt: jenem Fünftel der kolumbianischen Wahlberechtigten, das trotz heftigen Regens die Stimmlokale aufsuchte, um beim Friedensreferendum mit Nein zu stimmen.

Dass in dem 42-Millionen-Land 6,4 Millionen Stimmen reichen, um den in vier mühevollen Jahren ausgehandelten Frieden platzen zu lassen, lag an der geringen Wahlbeteiligung von 37 Prozent. Das ist ein erstaunliches Detail, ein anderes ist die regionale Stimmverteilung. In den ländlichen Gebieten, in denen die dezimierte Guerilla bis zuletzt aktiv war, siegte das Sí. Das No kam vor allem aus Städten, die kaum von dem Terror betroffen waren, seitdem Präsident Álvaro Uribe nach 2001 die Farc mit militärischer Härte in die Wälder getrieben hatte. Besiegen konnte Uribe die Rebellen aber nicht. Nun, nach dem No, dessen vehementester Fürsprecher Uribe war, hat der Hardliner überraschend verbal abgerüstet.

Protest gegen Straffreiheit

„Werte Herren von den Farc“ formulierte Uribe in seiner Rede nach dem Sieg, der ihn selbst überrascht haben dürfte. Nun war es ausgerechnet der heutige Senator Uribe, der vom Frieden sprach. „Wir wollen unseren Beitrag zu einem großen nationalen Pakt leisten“, versprach der Ex-Mandatar, nachdem sein Nachfolger und inzwischen Intimfeind Santos angekündigt hatte, mit allen politischen Lagern zu verhandeln, um die Chance auf ein Ende des ältesten Krieges der Welt noch zu wahren. Tatsächlich werten die meisten Kommentatoren das No nicht als Auftakt zu neuen Kämpfen. Sondern als Absage an einen Friedensvertrag, der den Farc-Führern, die verantwortlich waren für Entführungen, Zwangsrekrutierungen von Kindern, Landraub und Vertreibungen von Hunderttausenden Campesinos sowie für die Produktion und den Vertrieb von Kokain, weitgehende Straffreiheit einräumt.

Und als Absage an die Vorstellung, dass die Guerilla-Kommandeure nun direkt in die parlamentarische Politik einsteigen können, und das selbst dann, wenn sie während der kommenden zwei Legislaturperioden nicht die notwendigen Stimmen zusammenbekommen sollten.

Kurz nachdem Präsident Santos am Wahlabend seinem Volk versprach, seine Suche nach einem Friedenkompromiss nun erst recht fortzusetzen, gelobte auch Farc-Boss Rodrigo Londoño, alias Timochenko, in Hinkunft allein „mit Worten zu kämpfen“. Das ist sicher ein positives Signal. Aber wohl auch ein Eingeständnis der Kriegsmüdigkeit seiner Kämpfer, die diese zuletzt gegenüber den eingeladenen Reportern mehr als deutlich zum Ausdruck gebracht hatten. Darauf kann die Regierung nun in der Hoffnung bauen, in den nächsten Monaten doch noch einen Deal auszuhandeln, der ein weiteres Referendum übersteht.

Kaum eine Familie ohne Opfer

Doch dafür müsste vor allem die Farc-Spitze einen deutlich höheren Preis zahlen. Das Uribe-Lager, aber auch die Verbände der Opfer der Farc, haben deutlich signalisiert, dass sie einem Frieden nur dann zustimmen werden, wenn die Rebellenchefs nicht straffrei davonkommen.

Kolumbien kennt – und verabscheut – die Farc und ihre Führerschaft. Dieser profunde Hass in einem Land, in dem es in fast jeder Familie direkte oder indirekte Opfer dieses Krieges gibt, erklärt ebenfalls das No. Und er determiniert die Chancen auf einen endgültigen Friedensschluss. Die Farc hat immer wieder Abkommen platzen lassen und auf Vereinbarungen gepfiffen. Während der Verhandlungen in Havanna waren die Rebellenführer nie bereit, Verantwortung für die Taten ihrer Organisation zu übernehmen.

Nun werden Norwegen und Kuba, die beiden Garantiemächte der Friedensgespräche, nicht umhinkommen, den Farc das Prinzip von Schuld und Sühne zu erklären. Und Präsident Juan Manuel Santos, der hoffte, dass ein Friedensschluss sein verstimmtes Volk aufmuntern werde, muss nun eine unangenehme, aber überfällige Steuerreform ohne den erhofften Rückenwind angehen.

ABKOMMEN

Referendum. 50,21 Prozent der Wähler haben in Kolumbien gegen den über Jahre ausverhandelten Frieden mit der Farc gestimmt. Die Wahlbeteiligung lag bei rund 37 Prozent. Der Krieg in Kolumbien dauert bereits seit über 50 Jahren an. Farc und die Regierung wollen sich dennoch um den Frieden bemühen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2016)

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