Georgien: Das Schattenboxen zweier starker Männer

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GEORGIA-POLITICS-ELECTION(c) APA/AFP/VANO SHLAMOV
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Das Land ist zerstritten und zersplittert. Der „Georgische Traum“ von Bidsina Iwanischwili, 2012 klarer Sieger, wird von der Partei des Ex-Präsidenten Saakaschwili herausgefordert.

Die Parlamentswahl am Samstag in Georgien wird von zwei Männern dominiert, die offiziell gar keine Kandidaten sind. Da ist Bidsina Iwanischwili, ein Unternehmer mit 4,8 Milliarden Dollar Vermögen. Er ist der Begründer des „Georgischen Traums“, Zweckbündnis von sechs Parteien, mit dem er vor vier Jahren in einem Erdrutschsieg die Mehrheit im Parlament errungen und seinen Kontrahenten Micheil Saakaschwili von der Macht verdrängt hat. Iwanischwili war für ein Jahr Ministerpräsident, bevor er sich offiziell aus der Politik zurückzog.

Vier Jahre später wirken viele seiner Heilsversprechen wie leere Worte. Der Aufschwung? Ist ausgeblieben. Auf der Habenseite: die Weiterführung des Westkurses des Landes samt Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens, zumindest keine weitere Eskalation mit Russland. Die ungleiche Koalition ist zerfallen. Der „Georgische Traum“ tritt bei der Wahl als Einzelpartei an. Da die Umfragewerte nicht überragend sind, hat Iwanischwili wieder die politische Bühne betreten: Er wirbt in TV-Kanälen und tourt durch das Land, um seine Partei als alternativlos darzustellen.

Plant Saakaschwili Coup?

Der andere starke Mann ist Micheil Saakaschwili, der frühere langjährige Präsident der Südkaukasusrepublik. Er wird in Georgien wegen Amtsmissbrauchs per Haftbefehl gesucht und kann nur aus der Ferne auf sein Heimatland blicken. Dem Gouverneur des Gebiets Odessa werden Ambitionen in der ukrainischen Politik nachgesagt, ein Parteiprojekt ist in Vorbereitung, doch will er auch weiterhin in der georgischen Politik die Hände im Spiel haben. Zumindest indirekt. In einem Ende September vom georgischen Geheimdienst veröffentlichten Audiomitschnitt fordert Saakaschwili seine Partei auf, im Fall einer Wahlniederlage eine gewalttätige Eskalation zu provozieren. Auch ein früherer Parteikader belastet ihn: Bei einem Treffen in Odessa habe er ebendies urgiert.

Vor vier Jahren musste sich Saakaschwilis Partei Iwanischwili in einem friedlichen Machtwechsel geschlagen geben. Könnte er nun versucht sein, diese Entwicklung umzukehren? Die Regierung beschuldigte Saakaschwili, einen Coup anzetteln zu wollen. Der bestritt die Echtheit der Bänder. Saakaschwili liebäugelt immer wieder mit der Rückkehr in seine Heimat, doch solange seine Vereinigte Nationalbewegung nicht an der Macht ist, ist das illusorisch. Diesmal kandidiert nur Sandra Roelofs, seine Frau, die aus den Niederlanden stammt.

Vor dem Urnengang, bei dem 3,5 Millionen Bürger wahlberechtigt sind, steigt die Nervosität im Land: Der politische Ton ist rau geworden, populistische Parolen dominieren, schon bei einer Nachwahl im Mai lieferten sich Anhänger der Regierung und der Nationalbewegung eine Schlägerei, in TV-Diskussionen gingen Politiker aufeinander los, bei einem Wahlkampfauftritt eines früheren Ministers fielen Schüsse. Am Dienstagabend explodierte das Auto des Nationalbewegungs-Abgeordneten Giwi Targamadze im Zentrum von Tiflis. Der Politiker selbst wurde nicht verwundet, doch mehrere Passanten trugen Verletzungen davon. Premier Giorgi Kwirikaschwili nannte den Anschlag einen „Akt gegen den Staat, aber auch eine Provokation von Georgiens Feinden, die kurz vor den Wahlen Instabilität anzetteln“ wollten. Eine parteienübergreifende Übereinkunft für friedliche und faire Wahlen, die der Premier angeregt hatte, war nicht zustande gekommen.

Ratlose Wähler

Während die verfeindeten Lager Saakaschwilis und Iwanischwilis um die Vorherrschaft kämpfen, regiert unter den Bürgern Ratlosigkeit: Eine Umfrage des US-amerikanischen National Democratic Institute vom Sommer zeigte, dass viele Georgier nicht wissen, wem sie ihre Stimme geben sollen.

Der „Georgische Traum“ kommt darin auf 19 Prozent, Saakaschwilis Nationalbewegung auf 14 Prozent. Beide Parteien haben im Vergleich zur Protestwahl 2012 massive Einbußen zu verzeichnen. Andere Parteien – insgesamt treten 25 Parteien oder Bündnisse an – dümpeln bei wenigen Prozenten dahin. Viele sind unentschlossen, wem sie ihre Stimme geben sollen.

Buhlen eines Opernsängers

Aufgrund der Zersplitterung der Parteienlandschaft wird kein klarer Sieger erwartet. Die populistische Partei „Staat für Menschen“ des bekannten Opernsängers Paata Burchuladze buhlt ebenfalls um Wähler und könnte den dritten Platz belegen. Burchuladze, der sich noch vor einem Jahr als „Sowjetmensch“ bezeichnet hat, hat den Bonus des Polit-Neulings und verspricht im Stil Iwanischwilis die Schaffung einer Viertelmillion Jobs und im Land aufzuräumen. Bezüglich seiner außenpolitischen Orientierung bleibt er vage.

Daneben werben mehrere prodemokratische Kleinparteien, Linksparteien sowie Gruppen mit antiwestlichem und nationalistischem Profil um die Stimmen. Sollte sich eine prodemokratische Mehrheit rechnerisch nicht ausgehen, müsste die Regierung Kräfte aus dem linken oder heimatverbundenem Spektrum mit ins Boot holen. Das dürfte nur mit Zugeständnissen möglich sein. Allgemein wird eine schwierige Regierungsbildung erwartet.

Die Wahlen finden in einer schwierigen Periode statt: Die Krise der russischen Wirtschaft wirkt sich auch auf Georgien negativ aus, da die Rücküberweisungen der Diaspora sinken und die Nachfrage bei Gütern rückläufig ist.

Folgen der Krise in Moskau

Die Verbraucherpreise sind gestiegen, das Wirtschaftswachstum soll heuer drei Prozent ausmachen: zu wenig, um als Aufschwung spürbar zu sein. Viele Menschen haben das Gefühl, dass die EU-Annäherung bisher nicht zur erhofften schnellen Verbesserung der Lebensbedingungen geführt hat. Auch der lange und beschwerliche Weg bis zur Zustimmung Brüssels zur ersehnten Befreiung vom Schengen-Visum trübt die Stimmung.

AUF EINEN BLICK

Parlamentswahl. Vor der Wahl zeigt sich die Parteienlandschaft zersplitterter als 2012. Für den Einzug ins Parlament, das sich nicht in der Hauptstadt Tiflis, sondern in der Stadt Kutaisi befindet, gilt eine Fünf-Prozent-Hürde. Nur drei oder vier Parteien werden laut Umfragen die Hürde nehmen. Der „Georgische Traum“ liegt demnach bei 19 Prozent, die Nationalbewegung bei 14.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2016)

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