Philippinen: 100 Tage Zorn

Philippines President Rodrigo Duterte arrives at Noi Bai International Airport in Hanoi, Vietnam
Philippines President Rodrigo Duterte arrives at Noi Bai International Airport in Hanoi, Vietnam REUTERS
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Rodrigo Duterte steht seit drei Monaten an der Spitze der Philippinen. Der Volkstribun ruft zu Morden auf und hat schon jetzt eine blutige Bilanz vorzuweisen. Warum zwei Drittel der Filipinos trotz aller Exzesse mit seiner Arbeit zufrieden sind.

Im blütenweißen Hemd steht Rodrigo Duterte vor philippinischer Flagge an einem Rednerpult im Geschäftsviertel der Hauptstadt Manila. Vor ein paar Tagen erst hat er weltweit mit einem kruden Hitler-Vergleich für Kopfschütteln gesorgt. Und der polternde Staatspräsident mit dem losen Mundwerk enttäuscht seine Fans auch bei diesem Auftritt nicht: „Fahr zur Hölle, Obama“, zischt Duterte ins Mikrofon und legt einen Moment später nach: „Die EU kann ins Fegefeuer, die Hölle ist schon voll.“ Der Applaus ist ihm sicher.

Sich diplomatisch auszudrücken, gehört offensichtlich nicht zu Dutertes Stärken. In den ersten 100 Tagen als philippinischer Präsident nannte er seinen US-Amtskollegen einen Hurensohn, schickte ein „Fuck you“ in die Richtung des EU-Parlaments und attackierte einen Botschafter mit homophoben Schimpfwörtern. Kaum eine Woche vergeht, ohne dass der 71-Jährige mit wüsten Beleidigungen international Schlagzeilen macht. Und Duterte macht keine Anstalten, sich zu bremsen.


Wille zum Vulgären. Die vulgäre Sprache ist sein Markenzeichen. So unterstreicht Duterte sein Image als Politiker, der Klartext spricht. Auf den Philippinen kommt er damit gut an. Drei Monate nach Dutertes Amtsantritt sind seine Zustimmungswerte fabelhaft. Zwei Drittel der Filipinos sind laut einer am Donnerstag veröffentlichten Umfrage zufrieden mit der bisherigen Leistung des Politikers, der sich bei der Wahl im Mai mit 39 Prozent der Stimmen gegen mehrere Gegenkandidaten durchsetzen konnte. Gerade einmal jeder Zehnte gibt an, die Arbeit des Präsidenten nicht zu unterstützen.

Nora Villoria gehört zu dieser Minderheit. Die 38-Jährige arbeitet als Haushaltskraft und lebt in einem Armenviertel am Rand der Metropolregion Manila. An der Hauptstraße reiht sich eine Hütte mit Wellblechdach an die nächste. An den Wänden hängen Marienbilder. Familien leben hier mit teils mehr als zehn Kindern auf engstem Raum. Von Dutertes angekündigtem Kampf gegen die Armut und der versprochenen Lösung von Manilas Stauproblemen haben die Bewohner der Siedlung bisher nichts zu spüren bekommen. Stattdessen überschattet Dutertes brutaler Drogenkrieg seine bisherige Präsidentschaft. „Die Menschenrechte sind ihm egal“, empört sich Villoria. „Er tötet und weiß nicht einmal, ob die Opfer schuldig oder unschuldig sind. Ehrlich gesagt, ich kann ihn nicht ausstehen.“

Rund 3000 Menschen wurden nach Polizeiangaben seit Dutertes Amtsantritt im Juni getötet. Bei ihnen soll es sich um Drogendealer oder Süchtige handeln. Was ihnen genau vorgeworfen wird, lässt sich kaum nachvollziehen: Vor den Hinrichtungen, die meist in aller Öffentlichkeit vollzogen werden, gibt es keine Anhörung und keinen Prozess. Die Unschuldsvermutung ist für angebliche Drogenkriminelle offenbar ausgesetzt.

Überwachungskameras dokumentieren einen Teil der Fälle. Die Bilder werden landesweit im Frühstücksfernsehen ausgestrahlt. Auf einer der jüngsten Aufnahmen ist zu sehen, wie eine mutmaßliche Selbstjustizgruppe einen gefesselten Mann auf einem Moped in eine vermüllte Straße der Stadt Caloocan transportiert. Er muss aufstehen. Einer seiner Begleiter hält ihm eine Pistole mit wenigen Zentimetern Abstand an den Kopf. Einen Augenblick später ist zu sehen, wie der leblose Körper auf den Asphalt fällt.

Nicht nur die Selbstjustiz, auch die Zahl der von der Polizei getöteten Menschen ist unter Duterte rasant angestiegen: Allein zwischen Juli und September haben Beamte rund 1000 mutmaßliche Drogendealer und Drogenkäufer getötet – weil diese angeblich die Polizisten bedrohten. Zum Vergleich: In der ersten Jahreshälfte wurden bei Antidrogen-Einsätzen lediglich 68 Verdächtige getötet.

Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Duterte als Präsident illegale Erschießungen direkt angeordnet hat. In seinen öffentlichen Äußerungen wird aber offensichtlich, wie er zu den Tötungen steht. „Es gibt hier drei Millionen Drogenabhängige“, sagte er vergangene Woche. „Ich würde sie gern abschlachten.“ Schon im Wahlkampf kündigte er an, dass es in seinem Drogenkrieg 100.000 Tote geben werde. Es würden so viele Leichen in die Bucht von Manila fallen, dass die Fische regelrecht fett würden.

Der Mann, der an einer Privathochschule des katholischen Benediktinerordens Jus studierte und während der Diktatur von Ferdinand Marcos in der Stadt Davao als Staatsanwalt tätig war, weiß genau, wie weit er mit seinen öffentlich geäußerten Tötungsfantasien gehen darf, ohne in rechtliche Schwierigkeiten zu kommen. Seine fast drei Jahrzehnte als Bürgermeister von Davao haben ihn aber auch gelehrt: die Kriminalitätsbekämpfung ohne Rücksicht auf Verluste kommt bei den Wählern außerordentlich gut an. Todesschwadronen ermordeten auch dort während seiner Amtszeit Hunderte angebliche Kriminelle.

Duterte applaudierte den Taten vom Rathaus aus. Und seine Anhänger feierten ihn dafür, dass er die philippinische Kriminalitätshochburg Davao scheinbar sicher machte – zumindest für die Reichen und die vergleichsweise wohlhabende Mittelschicht. „Getötet werden nur die Armen“, sagt Manilas Bischof, Broderick Pabillo. „Die Hinrichtungen gibt es nur in den Slums, nicht in den noblen Eigentumswohnungen.“ In den Armenvierteln herrsche nun ein Klima der Angst. „Jeder kann getötet werden. Es muss nur jemand auf einen zeigen und sagen: Das ist ein Drogendealer.“ Viele Menschen auf den Philippinen schätzten zwar Dutertes Entschlossenheit, sagt Pabillo. „Aber wenn er so weitermacht, ist Fanatismus nicht mehr weit.“

Doch auch die Kritik aus der auf den Philippinen ansonsten mächtigen katholischen Kirche konnte Dutertes Aufstieg bisher nicht stoppen. Wer sich ihm in den Weg stellt, wird für den Präsidenten zur Zielscheibe. Der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch ließ er ausrichten: „Kommt nach Davao, ich werde euch öffentlich hinrichten.“ Über eine Senatorin, die Dutertes Verbindungen zu den Tötungskommandos untersuchte, sagte er: „Wenn ich sie wäre, würde ich mich erhängen.“ Im Zorn über die Menschenrechtskritik aus den USA setzt er nun sogar eine jahrzehntealte Allianz aufs Spiel. Auf die jährlich rund 100 Millionen Dollar an Militärhilfe aus Amerika könnten die Philippinen gut verzichten, ließ seine Regierung wissen. Die Geschwindigkeit, mit der sich Duterte von den langjährigen Partnern der Philippinen entfernt hat, sorgt auch in Washington für Überraschung. „Mit dem Alter wird man eben ungeduldiger“, sagt Staatssekretär Ernesto Pernia über seinen 71-jährigen Chef. „Duterte ist sehr ungeduldig, das ist sein Kennzeichen.“ Wer zu den Gegnern des Präsidenten gehört, dürfte das als Warnung verstehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2016)

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