Ökonom Zimmermann: „Migration ist Kommen und Gehen“

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Interview. Der Ex-DIW-Chef und Migrationsexperte Klaus Zimmermann hält nichts von der Festung Europa und will das Gastarbeiterkonzept wiederbeleben.

Die Presse: Wie unterscheiden sich Kriegsflüchtlinge und Wirtschaftsmigranten auf dem Arbeitsmarkt?

Klaus Zimmermann: Flüchtlinge brauchen viel länger, um in Arbeit zu kommen – so wie auch generell nachgezogene Familienangehörige. Die meisten Asylwerber aus Syrien, Irak und Afghanistan sind nicht qualifiziert. Wir rechnen damit, dass in fünf Jahren erst die Hälfte von ihnen einen Job haben wird.

Das bedeutet hohe Kosten für den Staat . . .

Wir müssen Milliarden auf den Tisch legen, das ist klar. Aber das können gute Investitionen sein, wenn man es richtig macht, mit Sprach- und Integrationskursen. Freilich: Für große positive Effekte in der langen Frist ist die Zahl der Zugezogenen dann wieder zu klein. Einige Kollegen sagen ja, die Flüchtlinge sind toll, weil sie unser Problem mit der Alterung lösen. Oder wir kriegen einen Boom, weil der Staat so viel für sie ausgibt – also Keynesianismus in platter Form. Beides funktioniert nicht.

Verdrängen Flüchtlinge die Einheimischen vom Arbeitsmarkt?

Das kann es geben, aber nur in geringem Ausmaß und nur bei schlecht Qualifizierten. Diese Einheimischen können auch in bessere Jobs aufsteigen, so war es in Dänemark und in Deutschland zur Gastarbeiterzeit. Sicher, dazu müssen sie sich anpassen. Aber dieser Druck ist eine Funktion der Wirtschaft. Flüchtlinge sollten frühzeitig teilnehmen können. Aber wir lassen sie nicht ran: Viele Staaten verbieten Arbeit bis zur Anerkennung, und die Verfahren dauern lang. Wir wissen von heimischen Arbeitslosen: Wer lange untätig bleibt, ist draußen. Wir basteln also von Anfang an eine Schwierigkeit hinein.

Die Migrationsforschung behauptet: Geschlossene Grenzen können zu noch mehr Zuwanderung führen. Wie denn das?

Das haben wir am Beispiel Mexiko gelernt. Früher kamen Mexikaner in die USA und gingen wieder zurück, ihr Motiv war temporäre Arbeit. Als man anfing, das mit Zäunen und Kontrollen zu bekämpfen, fanden sie andere Wege. Aber ihre Kosten stiegen, und sie blieben länger, damit sich das amortisierte. Oder sie blieben für immer und holten ihre Familie nach. So stieg die Zahl der Mexikaner in den USA um mehrere Millionen. Als grobe Regel gilt: Zwei Drittel der Zuwanderer ziehen weiter oder zurück. Migration ist ein Kommen und Gehen. Wer es behindert, bekommt statt temporärer Zuwanderung eine permanente.

Ist das nicht ein spezielles US-Phänomen?

Nein. Wir hatten das Gleiche in Deutschland mit den Gastarbeitern: Die Italiener, Spanier, Portugiesen waren dank der EU mobil, viele kehrten mit der Zeit heim. Die Türken durften seit 1973 nicht mehr ins Land. Wer schon da war, blieb auf Dauer und holte rasch seine Familie nach. Die Bestandszahlen explodierten. Die Politiker kriegen so genau das, was sie nicht wollen: mehr Migranten und viele, die nicht arbeiten.

Für die Flüchtlinge gilt aber aktuell: Die Grenzen im Südosten Europas sind dicht, und es kommen sehr viel weniger . . .

Das funktioniert nur temporär. Auch das Türkeiabkommen löst das Problem nicht dauerhaft. Wir müssen weiterhin mit Massenmigration rechnen – wenn wir nicht bessere Strategien finden.

Die da wären?

Die Flüchtlinge sind gekommen, weil die Situation in den Aufnahmelagern katastrophal ist. Jetzt hilft man dort vor Ort, aber damit hätte man viel früher anfangen sollen.

Und bei der Arbeitsmigration aus Afrika?

Es sind nicht die ärmsten Afrikaner, die kommen. Wenn der Wohlstand dort steigt, können sich mehr die Reise nach Europa leisten. Die absolute Armut nimmt weltweit stark ab, das führt zu mehr Mobilität.

Wie lässt sich das bremsen?

Mein Vorschlag ist: Kombinieren wir Solidarität und Ausgleich mit selektiver Zuwanderung. Machen wir mit einzelnen Ländern Verträge zur temporären, legalen Arbeitsmigration. Dabei sollte nur kommen dürfen, wer die richtigen Qualifikationen hat. Das bekämpft illegale Migration effektiver als Zäune, weil es Perspektiven bietet. Das ist auch die bessere Form von Entwicklungspolitik. Bei ihr können wir dann einsparen – ihre Erfolge sind ohnehin sehr begrenzt.

Wozu brauchen wir Mobilität in der EU?

Wenn ihre Heimatländer in einer Krise stecken, sollten Griechen oder Spanier anderswo arbeiten. Das machen viel zu wenige. Die Sprachkenntnisse sind immer noch ein großes Hemmnis. In den USA läuft vieles besser, weil die Mobilität dort höher ist. Ein Brain Drain ist nicht zu befürchten. Die Leute schicken Geld, und am Ende kehren sie zurück, mit mehr Wissen, Erfahrung und Unternehmergeist. Wollen wir Quoten, wie viele in Europa wohin gehen dürfen? Dann wären wir wieder in der Planwirtschaft.

Sind Migranten ein Verlustgeschäft für den Sozialstaat, wie Ihr Kollege Hans-Werner Sinn behauptet hat?

Arbeitsmigranten zahlen laufend deutlich mehr ein, als sie an Transfers bekommen. Denn sie sind meist jung und haben einen Job. Aber auch sie altern. Wenn Sinn die Bilanz über eine ganze Generation macht, rechnet er alle Kosten für die Infrastruktur anteilig zu. Aber brauchen wir wirklich mehr Straßen oder Verteidigungsausgaben, wenn mehr Migranten ins Land kommen? Auch hier gilt: Der Zuwachs ist nicht groß genug – weder für besonders positive noch für besonders negative Effekte.

Gibt es Wohlfahrtstourismus in der EU?

Nein, nicht in größerem Stil. Man kann in der EU schon jetzt nicht einfach in einen Sozialstaat einwandern. Ein Staat ist ein Club. Man muss nicht jedem alle Rechte geben, solange er nicht Staatsbürger wird. Das kann man ruhig noch schärfer fassen, damit die Debatte endlich aufhört. Man darf nur nicht die Niederlassungsfreiheit in Frage stellen.

Warum kommen nicht mehr Hochqualifizierte nach Österreich und Deutschland?

Die Festung Europa ist keine Region, in die Hochqualifizierte gern gehen. Man kann nicht am unteren Ende, bei den Flüchtlingen, alles zumachen, und zugleich auf die Ingenieure und Unternehmer hoffen. Die kommen dann nämlich auch nicht. So war es auch, als sich Österreich und Deutschland gegen die Ostöffnung der EU sträubten: Die Unqualifizierten kamen trotzdem, die Hochqualifizierten waren abgeschreckt und gingen lieber nach Westeuropa. Wir brauchen eine Kultur der Offenheit und der transparenten Arbeitsmärkte.

ZUR PERSON

Klaus F. Zimmermann war von 2000 bis 2011 der Präsident des DIW in Berlin, dem größten deutschen Wirtschaftsforschungsinstitut – und damit einer der einflussreichsten Ökonomen der Bundesrepublik. Bis Anfang dieses Jahres leitete er zudem das von ihm gegründete Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn. Als Gastprofessor in Harvard und Princeton beschäftigt sich der 63-Jährige aktuell intensiv mit Migrationsthemen. Am Donnerstag hielt er einen Vortrag beim Thinktank „Weis[s]e Wirtschaft“ in Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.10.2016)

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