Nestlé-Chef: „In Österreich geht alles langsamer“

Nestlé-Österreich-Chef Favero
Nestlé-Österreich-Chef Favero (c) Akos Burg
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Nestlé-Österreich-Chef Favero ist überzeugt, dass der digitale Wandel die Lebensmittelbranche auf den Kopf stellen wird – auch wenn es viele noch nicht glauben wollen.

Die Presse: Wenn man „Nestlé“ googelt, dann fallen sehr schnell die Begriffe Wasser, Palmöl, Kinderarbeit oder Regenwald. Warum wird Nestlé so ziemlich mit allem Bösen auf dieser Welt assoziiert?

Fabrice Favero: Nestlé ist der größte Lebensmittelhändler der Welt und somit sehr exponiert. Die Menschen machen Nestlé für viele Dinge verantwortlich. Ich bin jetzt seit vier Monaten in Österreich und habe sehr schnell erfahren, dass die Österreicher großen Unternehmen gegenüber sehr kritisch eingestellt sind. Häufig werden historische Themen aufgegriffen oder stark vereinfacht. Wenn wir in der Vergangenheit Fehler gemacht haben, haben wir diese systematisch korrigiert und das direkte Gespräch mit Kritikern gesucht.

Nestlé steht aber nicht nur in Österreich in der Kritik.

Nein, diese Kritik gibt es auch in anderen Ländern. Nestlé hat in der Vergangenheit nicht so viel erklärt, war ein typisches Schweizer Unternehmen, das nicht sagt, was es macht, auch nicht sagt, was es alles gut macht. Nun wurde das Unternehmen transparenter – auch dank der digitalen Welt. Aber wenn man sich erklärt, dann hat das angenehme und unangenehme Folgen.

Die unangenehmen Folgen bezeichnet man im Internet als Shitstorm.

Ja, wir erklären, was wir machen – und natürlich gibt es Menschen, die diese Erklärungen als Marketingtrick bezeichnen.

Trotz dieser Erklärungsoffensive steht Nestlé für viele noch immer auf der dunklen Seite der Macht.

Aber wir haben mittlerweile eine gute Gesprächsbasis mit NGOs. Das war vor zehn Jahren undenkbar. Heute sitzen wir gemeinsam an einem Tisch – diskutieren über Palmöl, Wasser, Kaffee oder Kakao. Heute schulen wir Kakaobauern, verhelfen ihnen zu besseren Ernteerträgen und dazu, ihren Lebensunterhalt besser zu verdienen. Wir achten darauf, weniger Wasser, weniger, Energie, weniger CO2 zu verbrauchen. Wir haben bereits Fabriken in Südamerika, die kein Wasser mehr verwenden. Aber das Grundproblem bleibt: Wir sind sehr groß, wir sind beispielsweise der größte Kaffeeproduzent der Welt, wir sind überall, wir sind sehr leicht angreifbar, weil wir ein sehr breites Sortiment haben.

Zurück nach Österreich. Hier hat man das Gefühl, die digitale Revolution geht am Lebensmittelhandel vorbei. Stimmt dieser Eindruck?

In Österreich gibt es sehr viele Supermarktfilialen, an fast jeder Ecke finden Sie ein Geschäft. Der Handel ist auf wenige, große Anbieter konzentriert. In kaum einem anderen Land gehen die Menschen so oft einkaufen. Hier geht man öfter als dreimal pro Woche in den Supermarkt. Und deshalb herrscht auch die Meinung, dass sich der Lebensmittelhandel nicht in Richtung Digitalisierung bewegt. Wenn ich mit den Branchenkollegen rede, dann ist für viele Digital kaum ein Thema. Wir von Nestlé hingegen sind davon überzeugt, dass wir von Anfang an dabei sein müssen. Wir glauben nicht, dass E-Commerce nur für andere Branchen gilt. In Österreich – wie in der Schweiz – geht alles ein bisschen langsamer. Da dauert es länger, bis neue Technologien akzeptiert werden.

Wird Amazon mit dem Lebensmittelhandel dasselbe vollziehen wie mit dem Buch- oder Elektrohandel?

Amazon bewegt sich immer weiter, in den USA werden längst auch Lebensmittel zugestellt. Bald werden sie ins Bankgeschäft einsteigen. Ich bin davon überzeugt, dass das Wachstum der Zukunft im digitalen Business liegt. Wer auf diesen digitalen Zug nicht aufspringt, der hat ihn verpasst.

Unser Essen wird dennoch nicht aus dem 3-D-Drucker kommen.

Aber es verändert sich vieles in unserem Alltag. Die Familien essen nicht mehr gemeinsam, jeder hat weniger Zeit. Wer sagt nicht, dass wir in Zukunft durch einen virtuellen Shop spazieren, einkaufen und die Produkte dann zugestellt bekommen?

Wird es im Lebensmittelhandel dann auch so etwas wie Uber oder Airbnb geben?

Es gibt natürlich auch jetzt schon neue Kanäle. Wer diese nicht nutzt, stellt sich ins Abseits. Früher haben alle gesagt, wir brauchen keine Diskonter. Mittlerweile ist klar, dass die Diskonter der Branche großes Wachstum beschert haben. Jetzt kommt die digitale Welt.

Und das heißt?

Dass Sie wahrscheinlich in Zukunft nicht mehr nachdenken müssen, was Sie einkaufen. Dafür gibt es Sensoren in Ihrer Küche.

In meinem Smart Home stellt also der Kühlschrank die Einkaufsliste zusammen?

Ja, Sie platzieren die Lebensmittel so, dass der Kühlschrank oder das Küchenregal automatisch merkt, wenn die Butter oder der Reis ausgehen. Sie müssen nur noch bestellen, und es wird geliefert. Das ist alles jetzt schon technologisch möglich, finanziert sich aber noch nicht.

Diese digitale Welt wird nicht nur unser Kaufverhalten, sondern auch unsere Ernährungsgewohnheiten verändern.

Wir werden sicher andere Produkte konsumieren. Aber das heißt nicht, dass wir schlechtere Qualität konsumieren werden. Heute haben auch kleine Fleischer und Bioläden längst einen Online-Shop. Das ist auch gar nicht neu. Ganz im Gegenteil. Auch zur Zeit meiner Eltern lieferte der kleine Metzger bei Bedarf ins Haus.

Zur Person

Fabrice Favero ist seit März Geschäftsführer von Nestlé Österreich, davor war er für den Schweizer Konzern in Norwegen tätig. Nestlé Österreich beschäftigt knapp 1000 Mitarbeiter.

Der größte Nahrungsmittelkonzern der Welt hat 340.000 Beschäftigte, 447 Produktionsstätten in 197 Ländern. Der Belgier Paul Bulcke ist seit 2004 CEO, sein Vorgänger, der Österreicher Peter Brabeck-Letmathe, ist Präsident des Verwaltungsrats.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2016)

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