Thomas Muster: „Dann sollen alle ihr Sparbuch plündern“

Thomas Muster, früher für harte Schläge und unbändigen Kampfgeist bekannt, punktet heute mit konkreten Aussagen.
Thomas Muster, früher für harte Schläge und unbändigen Kampfgeist bekannt, punktet heute mit konkreten Aussagen.(c) GEPA pictures
  • Drucken

Thomas Muster (49), ehemalige Nummer eins der Tenniswelt, spricht über den Entwicklungsprozess von Dominic Thiem, unverschämte Fan-Forderungen und erklärt, warum er es einst ablehnte, Stan Wawrinka zu trainieren.

Die Presse: Sie haben sich heuer medial kaum zu Dominic Thiem geäußert. Warum?

Thomas Muster: Ich habe meine Zeit gehabt, jetzt hat er seine. Warum soll ich zu jedem seiner Erfolge einen Kommentar abgeben? Davon war ich noch nie ein Fan. Und ich bin auch niemand, der sich in der Sonne anderer bräunt. Die Antworten auf Thiems Erfolge sollen Günter Bresnik und sein persönliches Umfeld geben, ich bin nur Konsument.


Dennoch, auf welcher Entwicklungsstufe sehen Sie ihn?

Fakt ist: Dominic hat heuer eine solide Saison gespielt und immer noch die Chance, sich für das Masters zu qualifizieren. Um besser zu werden, muss er nächstes Jahr all seine Punkte verteidigen und bei großen Turnieren noch stärker spielen. Ich traue ihm alles zu, sehe keine unüberwindbaren Hürden. Es ist nicht so, dass Dominic nicht die Nummer eins werden oder ein Grand-Slam-Turnier gewinnen könnte. Aber: Er wird nicht konkurrenzlos bleiben, selbst wenn in Zukunft die Routiniers in der Spitze zurückfallen. Dann werden sich neue Hürden auftun, sei es in der Person von Alexander Zverev, seien es andere Spielern, die man heute vielleicht noch gar nicht kennt. Nur weil er aktuell der Beste in seinem Alter ist, muss das nicht so bleiben. Und der Ausnahmekönner, der durchmarschiert und dann fünf Jahre die Nummer eins bleibt, ist er auch nicht.

Ist er mehr Talent oder Arbeiter?

Arbeiter. All seine Erfolge hat er sich im Großen und Ganzen erarbeitet, nur ohne Talent kommst du gar nicht dort hin. Das habe ich schon zu meiner Zeit bewundert, als Leute meinten, ich könne nur arbeiten, hätte aber kein Talent. Ohne Talent kannst du nicht die Nummer eins werden – und auch Arbeiten ist ein Talent.


Und seine Schwächen?

Würden wir heute über einen perfekten Dominic Thiem sprechen, müsste man sich fragen, wohin sein Weg denn führen soll. Glücklicherweise hat er das Potenzial, und als 23-Jährigem bleibt ihm noch viel Zeit. Man kann nur hoffen, dass manche Verletzung nicht chronisch wird, denn die Verletzungen werden kommen, ohne Zweifel. Mit Schmerzen zu spielen, das ist Alltag. Mit den Jahren muss die Leidensfähigkeit wachsen.


Günter Bresnik meinte, trotz wiederkehrender Probleme habe Thiem in dieser Saison zwar viel gespielt, sei aber nicht überspielt. Was ist Ihr Eindruck?

Ich stimme Günter zu. Es ist besser, Matches zu spielen und im Turniergeschehen zu sein. Jedes Training ist für den Körper am Ende des Tages härter.


Also kann man gar nicht zu viele Turniere und Matches spielen?

Nein, überhaupt nicht. Ich weiß nicht genau, wie viele Matches ich in meinem besten Jahr gespielt habe, über 100 werden es schon gewesen sein. Matches sind das beste Training. Man kann seine Bemühungen ja etwas drosseln, wenn man weiß, wohin die Reise in der Weltrangliste geht, aber in Thiems diesjähriger Situation ist das Vorgehen total in Ordnung. Außerdem ist es ja nicht so, dass er jede Woche im Finale spielt. Verliert er einmal früh, hat er ohnehin wieder eine Woche Pause. Und Wehwehchen gehören eben dazu: Djoković konnte auch nicht damit rechnen, dass er die größte Blase seines Lebens ausgerechnet im Finale der US Open bekommt.

Djoković ist aber die Nummer eins, reist zu großen Turnieren sogar mit eigenem Koch.

Ich finde das alles übertrieben. 1995 habe ich zwölf Turniere gewonnen – und hatte keinen eigenen Koch dabei. Wir haben das gegessen, was es beim jeweiligen Turnier eben gab, von Steaks über Palatschinken war alles dabei. Vor einem Match in Kitzbühel habe ich sogar vier Palatschinken gegessen und konnte trotzdem spielen.


Heute wäre das unvorstellbar.

Die Zeiten haben sich geändert, ja. Ich hätte mir auch niemals vorstellen können, nach einem Match irgendetwas auf Facebook oder Twitter zu posten. Mich jemandem mitzuteilen wäre das Letzte gewesen, was mir eingefallen wäre. Ich war froh, meine Ruhe zu haben.


Hat das Spiel von heute noch viel mit jenem von damals gemein?

Dass Matches heute länger dauern, hat mit der Geschwindigkeit der Bälle und der Platzbeschaffenheit zu tun, aber ich glaube, Speed und Drall des Balls waren früher höher. Deshalb interessiert es mich auch so, wie das Spiel aussehen würde, wenn man einen Ball aus den Neunzigerjahren heute auf das Spielfeld schmeißen würde. Man hätte nicht Bälle und Beläge langsamer machen sollen, sondern nur die Beläge. Früher war das Spiel zu schnell, heute ist es zu langsam.


Ist der österreichische Tennisfan verwöhnt oder gar unverschämt? Kommen Murray, Thiem und Tsonga, beklagt mancher das Fehlen von Djoković und Wawrinka.

Ich nehme solche Postings nicht ernst, habe aber einen Vorschlag: Alle, die das fordern, sollen ihr Sparbuch plündern und 10.000 Euro einzahlen. Wobei: Selbst wenn du heute einem Djoković eine Millionen Euro bietest und er möchte in dieser Woche nicht spielen, kommt er auch für diese Summe nicht. Andy Murray ist für Wien der beste verfügbare Spieler in dieser Woche. Typen wie Nishikori verkaufen mir keine drei Tickets. Und ein Konkurrenzturnier in Basel, wo Wawrinka als Lokalmatador spielt, gibt es auch noch.


Boris Becker, Ivan Lendl und Goran Ivanišević sind als Trainer auf die Tour zurückgekehrt. Woher rührt dieser Trend?

Es geht darum, dass Topspieler nach dem letzten Quäntchen Erfahrung suchen. Und es gibt wenige, die diese Erfahrung gemacht haben, diese besonders wichtigen Punkte in großen Endspielen gespielt haben. Es sind Kleinigkeiten, die entscheiden, ob du einen Grand Slam gewinnst oder nicht.


Und bei Ihnen hält sich die Lust, als Trainer zu arbeiten, in Grenzen?

Ich hatte Angebote von Wawrinka (2014, Anm.) oder Bernard Tomic. Aber: Ich mag diesen Job nicht nur für zehn Wochen oder nur für die Sandplatzsaison machen, sondern mich einer Sache voll und ganz widmen. Allerdings wäre ich dann wieder 40 Wochen im Jahr unterwegs, würde in Lounges, Flugzeugen und Hotels herumhängen. Da könnte ich gleich meine Scheidungspapiere abgeben.

Zur Person

Thoma Muster wurde am 2. Oktober 1967 in Leibnitz geboren. Er gewann 44 Titel, sein größter Coup gelang ihm bei den French Open 1995. Ein Jahr darauf führte der Steirer für sechs Wochen die Weltrangliste an.

Tennis spielt der 49-Jährige aktuell „gar nicht“. Dies liege auch am fehlenden Partner. „Ich würde gern öfters spielen, aber es ergibt sich nicht wirklich.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

TENNIS - ATP, Erste Bank Open
Tennis

Marach/Martin: Wenn nur ein Punkt fehlt

Oliver Marach verpasste mit dem Franzosen Martin seinen zweiten Titel in Wien nach 2009 nur knapp.
TENNIS - ERSTE BANK OPEN: MURRAY
Tennis

Murray gewann Erste Bank Open zum zweiten Mal

Andy Murray triumphierte zum zweiten Mal nach 2014 in der Wiener Stadthalle. Der Brite kam seinem Ziel, der Nummer eins, einen großen Schritt näher.
TENNIS - ATP, Erste Bank Open
Tennis

Marach/Martin verpassen Wien-Titel nur knapp

Im Doppel-Finale der Erste Bank Open verlor das österreichisch-französische Duo Oliver Marach/Fabrice Martin gegen Lukasz Kubot/Marcelo Melo (POL/BRA-4) mit 6:4, 3:6, 11:13.
TENNIS - ERSTE BANK OPEN - VIERTELFINALE: MURRAY (GBR)
Tennis

Nach Ferrer-Aufgabe: Murray kampflos im Wien-Finale

David Ferrer hat am Samstag sein Halbfinale gegen Andy Murray in der Wiener Stadthalle absagen müssen. Murray trifft im Endspiel auf Jo-Wilfried Tsonga.
TENNIS - ATP, Erste Bank Open 2016
Tennis

Straka: „Von Thiem bin ich etwas enttäuscht“

Herwig Straka, Turnierdirektor in der Wiener Stadthalle, übt nach dem enttäuschenden Ausscheiden Kritik an Dominic Thiem. Die Politik verstecke sich „hinter Plattitüden und Floskeln“.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.