Kommt die „Amazonisierung“ der Arbeit?

Zukunft der Arbeit. Mit der Globalisierung werden Arbeitsaufträge nicht mehr (nur) an eigene Mitarbeiter vergeben, sondern über Plattformen weltweit an eine neue Form von Selbstständigen, sagt Sozialforscher Andreas Boes.

Wer über Digitalisierung und Zukunft der Arbeit spricht, weiß in der Regel zwei Dinge. Erstens: Einfache Tätigkeiten werden wie schon in der Vergangenheit automatisiert und fallen weg. Zweitens: Auch Wissensarbeiter haben keine Jobgarantie – sofern sie nicht gerade Algorithmen austüfteln und/oder programmieren. Auch ihre Jobs werden zunehmend digitalisiert.

Worüber noch relativ wenig gesprochen wird ist hingegen Cloudworking. Noch weniger gesprochen wird über die praktischen Auswirkungen. Doch die Veränderungen sind so einschneidend, dass Andreas Boes vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung in München (ISF) von einer Revolution spricht.

Wie sie, die Revolution, aussieht, davon kann man sich heute schon im kalifornischen Silicon Valley ein Bild machen. Viele Unternehmen beschäftigen keine oder nur mehr wenige Mitarbeiter, sondern lagern Tätigkeiten auf Plattformen aus: Cloudworking lautet das Schlagwort.

„Cloudworking“, sagt Boes, „wird zur neuen Leitorientierung der Organisation von Arbeit.“ Cloud-Plattformen fungieren als Rückgrat der offenen und flexiblen Zusammenarbeit zwischen fest angestellten Beschäftigten, Kunden und Soloselbständigen.“

Ein Instrument für die Organisation von Arbeit in der Cloud sind Crowdsourcing-Plattformen: Je nach Ausgestaltung der Plattform wird hier der große Auftrag, der von einem Unternehmen an die Plattform geht, in kleine Kapitel zerlegt und – analog zu Zeitarbeitsfirmen, wie wir sie heute schon kennen – an als geeignet geltende Arbeitskräfte quer über den Globus vergeben, die bei ihr gelistet sind. Oder aber, die Plattform gibt den Auftrag an alle oder einen eingeschränkten Kreis ihrer Mitglieder weiter. Die Plattform-Mitglieder bearbeiten den Auftrag freiwillig und liefern grundsätzlich unentgeltliche Lösungsvorschläge. Die Plattform gibt diese Vorschläge an den Auftraggeber weiter, der sich dann für einen Sieger entscheidet.

Gamification soll locken

Auch hier gibt es unterschiedliche Modelle: Manche Plattformen überweisen nur an den Sieger, manche auch an die Top-Gereihten eine Vergütung. Und weil viele Plattformen das Gamification-Prinzip umsetzen, vergeben sie an jene Plattform-Mitglieder, die gute Lösungen eingereicht haben, Punkte. Je mehr Punkte ein Plattform-Mitglied verbucht, umso besser – wie bei einem Spiel. Wer mehr Punkte hat, freut sich nicht nur über eine höhere Reputation, sondern wird auch eher eingeladen, sich um einen ausgeschriebenen Auftrag zu bewerben.

Kritiker, sagt Boes, sähen darin eine Art „eBay für Arbeitskräfte“. Sie fürchteten die „Amazonisierung“ von Arbeit (in Anlehnung an das Internet-Unternehmen) und das Herausbilden eines „digitalen Tagelöhnertums“.

Was damit auch einhergehe, sei eine neue Bedeutung für die Begriffe Arbeitnehmer und Selbstständige. Denn die digitalen Mitarbeiter würden zwar einerseits wie Selbstständige auftreten müssen, aber doch so schutzbedürftig sein wie die klassischen Arbeitnehmer. Doch die für Arbeitnehmer entwickelten Schutzrechte würden dann nicht mehr greifen. Das Vertragssystem zwischen den ungleichen Partnern – Arbeitgeber und Arbeitnehmer – habe sich über Jahrzehnte entwickelt, sagt Boes, und „dieses bewährte System droht nun zu erodieren“. Und damit bedroht seien letztlich auch „Wohlfahrt von Menschen und Gesellschaften in der digitalen Welt“. Zudem sei es auf einem globalen Arbeitsmarkt nicht mehr möglich, ein weitgehend über Lohnnebenkosten und Steuern auf Arbeit finanziertes Sozialsystem weiter aufrechtzuerhalten.

Hoffen auf Code of Conduct

Boes glaubt auch nicht, dass es möglich sein wird, diese neuen digitalen Mitarbeiter zu organisieren. Soll ihre Position gestärkt werden, müssten die Plattformen selbst in die Pflicht genommen werden: Zum Beispiel mit Zertifizierungen, Gütesiegeln oder Codes of Conduct, die Mindeststandards gewährleisten sollen. Und was die digitalen Mitarbeiter außerdem schützen könne, sei Druck über Social Media. Boes denkt dabei an eine Analogie zum Thema Kinderarbeit: Wer hier Standards nachweislich nicht einhalte, riskiere einen Shitstorm.

ZUR PERSON

Andreas Boes ist Vorstand und Institutsrat des Instituts für Sozialwissenschaftliche Forschung München (ISF). Er wird auf Einladung des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo) bei der Sozialstaatsenquete am 4. November („Arbeiten in der Wolke – Soziale Sicherung und Sozialstaatsfinanzierung im Spiegel digitalisierter Arbeitsmärkte“) sprechen. Sein Thema: „Cloudworking und die Zukunft der Erwerbsarbeit“. [ ISF ]

(Print-Ausgabe, 29.10.2016)

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