Einspruch gegen den Brexit

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BRITAIN-EU-POLITICS-BREXIT(c) APA/AFP/NIKLAS HALLE´N (NIKLAS HALLE´N)
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Ein Gerichtsurteil bringt den Plan von Premierminister Theresa May für den EU-Austritt ins Wanken. Der High Court gibt dem Parlament das letzte Wort beim Start der Verhandlungen mit Brüssel.

London. Bringen die britischen Gerichte den Brexit zum Kippen? Der High Court in London entschied am Donnerstag, dass allein das Parlament das Recht habe, die Entscheidung über den Beginn der EU-Austrittsverhandlungen des Landes nach Artikel 50 des EU-Vertrags zu treffen. „Der wichtigste Grundsatz unserer Verfassung ist die Souveränität des Parlaments, das nach seinem alleinigen Dafürhalten Gesetze beschließen und aufheben kann“, begründete Lord Chief Justice John Thomas den Urteilsspruch.
Für die Regierung, die das alleinige Recht auf Auslösung des Artikels 50 beansprucht hatte, bedeutete das Urteil einen herben Rückschlag. Während Premierministerin Theresa May eine Stellungnahme ablehnte, machte ihre Umgebung daraus kein Hehl: „Wir sind sehr enttäuscht“, sagte ihr Sprecher. „Das Land hat sich in einer Volksabstimmung, die vom Parlament beschlossen wurde, für den EU-Austritt entschieden. Und die Regierung ist entschlossen, diesen Willen zu respektieren. Wir werden gegen diese Entscheidung Berufung einlegen.“
Premierministerin May hatte angekündigt, bis Ende März 2017 die EU-Austrittsverhandlungen aufnehmen zu wollen. Das Parlament sollte zwar informiert werden, aber dabei keine Mitsprache erhalten. „Wir wollen uns nicht in die Karten schauen lassen“, lautete ihr Argument. Dagegen regte sich selbst unter Abgeordneten der regierenden Konservativen Widerstand. Eine überparteiliche Initiative sammelt bereits Unterstützung für einen gemeinsamen Gesetzesantrag, der dem Parlament das letzte Wort über den Brexit gewährt.
Heikel ist die Gerichtsentscheidung auch, da sich eine Mehrheit der Abgeordneten vor dem Referendum am 23. Juni für den Verbleib in der EU ausgesprochen hat. Radikale Brexit-Anhänger fürchten daher, dass eine Mitsprache des Unterhauses den Austritt verwässern, verzögern oder gar verhindern könnte. Einer ihrer Wortführer, der ehemalige Chef der nationalpopulistischen United Kingdom Independence Party, Nigel Farage, warnte gestern: „Ich fürchte, dass ein Betrug bevorsteht.“ Er drohte „dem Establishment“ mit massiven Gegenmaßnahmen: „Sie haben keine Ahnung von dem Ausmaß des Volkszorns.“
Das Urteil des High Court wird den Brexit allerdings kaum zum Kippen bringen. Keiner der 650 Unterhausabgeordneten kann es wagen, sich über die Entscheidung von 52 Prozent bzw. 17,4 Millionen Wähler hinwegzusetzen. Bezeichnenderweise forderte Oppositionsführer Jeremy Corbyn von der Labour Party in Reaktion auf das Gerichtsurteil die Regierung auf, „noch heute ihre Verhandlungsstrategie dem Parlament vorzulegen. Wir erwarten volle Transparenz und Rechenschaftspflicht.“ Von einem Exit vom Brexit war dabei keine Rede.

Hoffnung für weitere Kooperation

Selbst wenn das Höchstgericht nach seiner Verhandlung Anfang Dezember der Regierung recht gibt, sind mit der gestrigen Entscheidung die Chancen für einen „Soft Brexit“ (eine weitere enge Zusammenarbeit mit der EU) gestiegen. Denjenigen in der Regierung, die einen „Hard Brexit“ fordern, sind vorerst die Hände gebunden. Der Kurs des Pfunds gegenüber dem Dollar stieg auf den höchsten Stand seit zwei Wochen. Die Bank of England erhöhte ihre Wachstumsprognose auf 1,4 Prozent, erwartet aber zugleich wegen des gefallenen Wechselkurses einen Anstieg der Inflation auf 2,7 Prozent.
Mit der angekündigten Berufung spielt die Regierung auf Zeit. Aber die Dynamik ist nicht aufseiten der „Brexit-Bolschewiki“, wie sie der Publizist Rafael Behr jüngst genannt hat. Zuletzt musste die Regierung dem japanischen Autohersteller Nissan umfangreiche Versprechungen für neue Investitionen in Großbritannien machen. Die wirtschaftliche Realität fordert ihren Tribut.
Auch für eine Konfrontation mit dem Parlament ist Premierministerin May mit einer Mehrheit von nur sechs Mandaten kaum gerüstet. Selbst EU-Gegnern ist in den vergangenen Wochen die Ironie nicht entgangen, dass eines der Hauptargumente für den Brexit die Forderung war, dass die Souveränität des britischen Parlaments zurückerobert werden müsse. Doch genau diesem Parlament sollte nun die Entscheidungsgewalt entzogen werden. Der High Court hat dem gestern einen Riegel vorgeschoben.

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