Der Sandinist und Ex-Revolutionär hat seine Position als Nicaraguas Präsident nach der Wahl am Sonntag sicher. Mit seiner Frau und seinen sieben Kindern kontrolliert er das mittelamerikanische Land wie einst der Somoza-Clan.
Buenos Aires/Managua. Morgen wird Daniel Ortega zum vierten Mal zum Präsidenten gewählt werden. Ein anderer Wahlausgang ist undenkbar in Nicaragua, wo der Führer der sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) und seine Familie seit 2007 eine ähnliche Machtfülle angesammelt haben wie einst der Somoza-Clan, den die marxistischen FSLN-Guerilleros 1979 gestürzt hatten. In sämtlichen Umfragen kommt der Amtsinhaber auf rund 60 Prozent. Auf die anderen Kandidaten entfallen maximal zwölf Prozent. Sie sind somit ohne Chance.
Der Partido Liberal Independiente (PLI), die einzige Partei, die den FSLN-Chef womöglich hätte herausfordern können, wurde vorzeitig ausgebremst. Im Juni verbot das oberste Gericht die Kandidatur des Spitzenkandidaten Eduardo Montealegre. Dann suspendierte das Parlament 28 Abgeordnete, die gegen den Richterspruch protestiert und aus der Partei ausgetreten waren. Schließlich zog sich, mitten im Wahlkampf, der neue PLI-Spitzenkandidat Pedro Reyes ins Privatleben zurück. Den erstaunten Bürgern erklärte dieser darauf, ihm fehle die Zeit für das Präsidentenamt.
Alles unter Kontrolle
Um allen Eventualitäten vorzubeugen, verbot Ortega zudem den Einsatz von internationalen Wahlbeobachtern, die er – nach massiver Kritik nach den Kommunalwahlen im Vorjahr – als „Gesindel“ bezeichnet hatte. Die Wahlbehörde protestierte nicht. Sie steht ebenso unter Ortegas Kontrolle wie das oberste Gericht und das Parlament.
So ist der Weg frei für den 70-Jährigen, der nach der Revolution 1979 die Übergangsregierung der sandinistischen Front geleitet hatte und 1985 erstmals zum Präsidenten gewählt wurde, damals noch ein überzeugter Marxist. Während der 17 Jahre in der Opposition hat Ortega seine ideologische Position indessen gemäßigt. Seit 2007 regiert er das drittärmstes Land Amerikas wieder, dessen Wirtschaft seither stetig um vier bis fünf Prozent zulegt.
Einer der Gründe dafür war Ortegas inzwischen pragmatischer Umgang mit dem Wirtschaftssektor und die weitgehende Einhaltung marktwirtschaftlicher Grundregeln. Der andere war Venezuela. Dessen Präsident Hugo Chávez überließ dem Compañero in Managua Erdöl stets zum Freundschaftspreis, woran auch die inzwischen heikle Lage der venezolanischen Staatsfinanzen nichts änderte.
Nun steht aber die Zukunft der bolivarischen Revolution ebenso infrage wie die erhofften Einnahmen aus dem Kanal, den eine chinesische Firma durch Nicaragua baggern will. Nach der Abkühlung der Weltkonjunktur und der Verbreiterung des Panamakanals steht in den Sternen, ob Nicaraguas 40-Milliarden-Dollar-Projekt, das 2025 fertiggestellt sein sollte, überhaupt begonnen wird.
Familienclan an den Schalthebeln
Nicaraguas Verantwortlicher für das größte Bauvorhaben in der Landesgeschichte heißt Laureano Ortega. Er ist der zweite Sohn des Präsidenten. Insgesamt hat Ortega sieben leibliche und zwei Adoptivkinder. Und sieben der neun besetzen inzwischen strategische Posten. Der Erstgeborene Rafael steht, gemeinsam mit seiner Ehefrau, der staatlichen Erdölgesellschaft vor. Und die Söhne Maurice, Daniel Edmundo und Juan Carlos kontrollieren drei private TV-Sender sowie den staatlichen Canal 6. Der Familie gehören auch drei wichtige Radiosender.
Weil alle anderen TV-Kanäle mittlerweile dem befreundeten mexikanischen Unternehmer Ángel González zugefallen sind, muss sich der Präsident nicht groß mit medialer Kritik herumschlagen. Allerdings scheiterte im Vorjahr der Versuch, auch noch das Internet zu kontrollieren. Ortegas Töchter Luciana und Camila arbeiten als „Beraterinnen“ der Präsidentschaft, und gelegentlich beschäftigt Camila auch die Klatschpresse mit Auftritten als Model.
„Weder die sandinistische Front noch der Staat besitzen noch Institutionen“, sagt Luis Carrión, einst neben Ortega Mitglied der neunköpfigen Dirección Nacional und heute als Wirtschaftsberater tätig. „Alles wird dem Willen der herrschenden Familie untergeordnet. Die Nominierung von Rosario Murillo für die Vizepräsidentschaft macht das überdeutlich.“
Die Ehefrau als Nummer zwei
Rosario Murillo ist Daniel Ortegas Ehefrau und ab morgen wohl auch gewählte Vizepräsidentin Nicaraguas. Seitdem die frühere Kulturjournalistin die erfolgreiche Wahlkampagne 2006 organisiert hat, sind die Eheleute auch ein Polit-Team. Seit Jahren galt Murillo, obwohl ohne formelles Amt, bereits als Nummer zwei im Staat. Die 65-Jährige war verantwortlich für die generösen Sozialprogramme, was ihr und ihrem Mann hohe Sympathiewerte bei der armen Bevölkerung eintrug. Mehrfach bereits hat sie ihren Mann auf Auslandsreisen vertreten, und seit Jahren ist sie wesentlich öfter in der Öffentlichkeit zu sehen als ihr Mann – auch via TV und sozialer Medien.
„Die Nominierung von Murillo offenbart, dass Ortega sehr krank sein muss“, sagt Dora María Téllez, einst Ortegas Kampfgefährtin und heute Mitglied der abgespaltenen Sandinistischen Erneuerungsbewegung. Tatsächlich ist auffallend, dass Ortega seit einiger Zeit die Sonne meidet und immer wieder mehrtägige Auszeiten nimmt. Nicaraguas Verfassung verbietet es übrigens, dass Verwandte des Amtsinhabers für die Vizepräsidentschaft kandidieren. Ortega und Murillo argumentieren, sie seien zwar verheiratet, aber nicht verwandt.
AUF EINEN BLICK
Daniel Ortega. Nicaraguas Präsident, Daniel Ortega, kann bei den Präsidentenwahlen am Sonntag mit fast 70 Prozent rechnen. Es wäre insgesamt bereits die vierte Amtszeit des bald 71-jährigen Lehrersohns. Nach dem Sturz des Diktators Augusto Somoza 1979 gehörte er als führender Kommandant der Sandinisten erst der fünfköpfigen Junta an, eher er 1985 erstmals zum Präsidenten gewählt wurde. 1990 verlor er die Wahl gegen Violeta Chamorro, eine bürgerliche Zeitungsherausgeberin und Somoza-Gegnerin. 2006 schaffte Ortega das Comeback als Präsident. Er hat die Opposition weitgehend ausgeschaltet und eine Annäherung an die Kirche erreicht. Regierungsgegner bezeichnen die Wahl als Farce, zumal Ortega seine Frau, Rosario Murillo, als Vize erkoren hat. Internationale Beobachter sind zu der Wahl nicht zugelassen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2016)