Wir wundern uns schon, was alles möglich ist

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Wir erleben offenbar den Beginn der postdemokratischen Ära. Wähler stimmen für Kandidaten, die das funktionierende politische System sprengen wollen.

Es ist das beliebteste Vokabel aller Diskussionen über die Veränderung unserer Welt und Höhepunkt jedes Vortrags über die digitale Revolution: die Disruption. Darunter versteht man jenen Wandel, bei dem mitunter ein gesamter bestehender Markt durch Innovation für immer verschwindet. Springer-Chef Mathias Döpfner verwendete diesen Begriff nun zweckentfremdet, aber treffend in seiner „Welt“: „Putin wird die Krim annektieren? Das traut er sich nicht. Erdoğan wird die Todesstrafe einführen? So weit geht er nicht. Kaczyński wird das polnische Verfassungsgericht paralysieren? Das kann er nicht. Die Engländer werden für den Brexitstimmen? Das tun sie nicht. Trump wird Präsident? Niemals.“

Doch all das ist passiert. Und keiner kann sagen, was nun passieren wird.

Trump führt entweder die USA und mit ihr die gesamte Welt in Krieg und Niedergang. Oder aber er wird als zweiter Ronald Reagan die Wirtschaft stimulieren und Amerika tatsächlich größer machen. Die Finanzmärkte, die politische Veränderungen meist treffender als etwa Meinungsforscher bewerten, glauben tendenziell eher an Variante zwei. Vermutlich wird die Realität wie immer zwischen den Extremen liegen; und man muss weder Amerika-Feind noch überzeugter Anhänger der unterlegenen Demokraten sein, um zu sagen: Mit Donald Trump im Weißen Haus ist die Welt vorerst vermutlich einmal nicht sicherer und besser geworden.

Auch wenn keine Aussage seit dem Wahlsieg die Hysterie seiner Gegner dies- und jenseits des Ozeans rechtfertigt, ist es vielleicht nicht wahrscheinlich, aber zumindest denkbar, dass er seine zum Teil wüsten Ankündigungen aus dem Wahlkampf umsetzt. An dieser Stelle wird es interessant: Die Mehrheit (nicht der Wähler, aber der gewählten Wahlmänner) hat ihm dennoch und vielleicht sogar deswegen die Stimme gegeben. Soll heißen: Genau jener Kandidat, der sich als Sprengmeister des bisherigen Systems empfiehlt, bekommt auch das Mandat dazu.

Hierzulande fielen die Ankündigungen von Norbert Hofer, das kreuzbiedere Amt des Bundespräsidenten so auszuüben, dass sich alle wundern, zwar harmloser aus, aber der Mann spielt natürlich auf dem gleichen Klavier. Daher würde sich auch keiner wundern, würde der Burgenländer tatsächlich als erster Freiheitlicher Bundespräsident.

Woran liegt die Lust des Wählers, ein bestehendes politisches System zu demolieren, das in vielen der von Populisten betroffenen Länder zwar fehlerhaft ist, aber Jahrzehnte bis Jahrhunderte lang gut funktioniert hat? Natürlich gibt es zahlreiche Gründe, die je nach Land unterschiedlich sind. Österreich hat etwa eine sinnlose, weil gelähmte Koalition. In den USA haben die einen den wirtschaftlichen Abstieg hinter sich, die anderen wähnten diesen im Fall einer US-Präsidentin Hillary Clinton vor sich. Und England erlebte Masseneinwanderung und die gefühlte Arroganz Brüssels.

Aber dennoch gibt es ein zentrales Problem: Die Regierenden können nicht mehr erklären, was da gerade passiert und was die Politik und jeder Einzelne unternehmen soll und kann. Die Globalisierung, die Internationalisierung und die Digitalisierung gehen schon seit Langem vor sich, werden aber selten als Chance und Grund für massive notwendige Veränderungen unserer Bildung, unserer Gesellschaft und unserer Strukturen verstanden oder kommuniziert.

Stattdessen hören wir Phrasen und Floskeln in Washington, Brüssel und Wien. Stattdessen glauben viele, mit absurden Maßnahmen wie Schutzsteuern, neuen alten Grenzen und Besinnung auf die eigene Scholle die rasante Veränderung aufzuhalten. Das kann nicht funktionieren. Anders formuliert: Die USA werden nie wieder so wie in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts sein. Österreich wird nie wieder in Bruno-Kreisky-Watte zurückkehren und die Europäische Union nicht weiter die Post-Kalter-Krieg-Party feiern.

Aber – und das kann man nicht oft genug schreiben: Die nun viel zitierte Elite – Journalisten glauben immer, sie gehörten auch dazu – hat die Pflicht, sich und die Welt besser zu erklären. Und weniger das zu sagen, was gerade im eigenen Zirkel opportun ist.

E-Mails an:rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2016)

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