Ein kleines Tirol für Wien

Rechts der Sommer, links der Winter: Wolfgang Pröhl vor einem Teil des Tirolerlands in Wien.
Rechts der Sommer, links der Winter: Wolfgang Pröhl vor einem Teil des Tirolerlands in Wien.(c) Clemens Fabry
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Beim Naschmarkt haben Wiener in fünf Jahren Arbeit eine riesige Modellstadt aufgebaut. Eine recht beeindruckende Spinnerei.

Das ist wieder einmal typisch: Da macht man mit der Baufirma einen Einzugstermin aus, man bestellt die Umzugsfirma, packt den Lkw – und dann ist noch nicht einmal der Rohbau fertig. Hilflos steht die Familie mit Sack und Pack vor der Tür.

Ein ganz anderes Problem haben die jungen Menschen, die demonstrierend durch die Straße ziehen und einen veritablen Stau verursachen: „Rente mit 30“, fordern sie auf einem Plakat, „120 Tage Urlaub“ auf einem anderen. Von der Aufregung, die es gar nicht weit entfernt gibt – abseits der niederländischen Botschaft, die passend in einem orangefarbenen Wohnwagen untergebracht ist –, bekommen sie nichts mit: Ein Häftling ist aus dem Gefängnis ausgebrochen und wird von der Polizei verfolgt.

Es ist einiges los in Wiensbruck mit seinen 22.000 Einwohnern und 1100 Gebäuden. Allerdings spielt sich all das auf einer Fläche von 124 Quadratmetern ab, und man muss teilweise schon sehr genau hinschauen, um die Szenen überhaupt zu entdecken: etwa die kleine Geburtstagsfeier beim Campingplatz, bei der ein Ochse gegrillt wird, oder eben die niederländische Botschaft im Wohnwagen.

Wiensbruck ist eine Modellstadt, alles hier findet im Maßstab 1:87 statt. Seit Freitag ist das Miniatur-Tirolerland in der Franzensgasse in Wien geöffnet, das bald eine „ganz wichtige Attraktion in Wien“ werden soll, wie Initiator Wolfgang Pröhl hofft. Nicht grundlos: Das Miniatur-Wunderland in Hamburg, das mit 1490 Quadratmetern bedeutend größer ist, hat pro Jahr fast eine Million Besucher. Ein paar Zehntausend werden sich in Österreichs größtem Miniaturland dann wohl auch ausgehen.

Wenn man die Anlage sieht – beispielsweise die 22.000 Minifiguren, von denen jede einzelne an den Füßen leicht angeschliffen wurde, damit der Kleber besser hält, und anschließend nach einigem Nachdenken speziell positioniert wurde; oder die 5000 Bäume, jeder handgemacht; oder die 3500 LED-Lichter, die alle verdrahtet und angeschlossen werden mussten – dann stellt sich vor allem eine Frage: Geht's noch gut? Haben die Menschen, die das gebaut haben, kein Leben?

„Doch“, sagt Pröhl lachend, „aber sie haben auch eine große Leidenschaft.“ Eine sehr große sogar: 13.500 Arbeitsstunden stecken in der Anlage, umgerechnet sind das 1800 Arbeitstage. Seit Anfang 2011 haben viele verschiedene und immer wieder wechselnde Freiwillige daran gearbeitet, 46 waren es insgesamt. Der harte Kern bestand aus sechs, sieben Personen.

„Hätte man das alles in Auftrag gegeben und bauen lassen, wäre man auf Kosten von etwa 600.000 Euro gekommen“, rechnet Pröhl vor. Allein für Material, um die ehemalige Bar nahe des Naschmarkts um- und die Anlage aufzubauen, hat man 250.000 Euro ausgegeben. Dank der Sponsoren – etwa eines Elektronikhändlers und eines Tankstellenbetreibers, die dafür eine Filiale in der Miniaturstadt erhalten haben – blieben Pröhl am Ende etwa 100.000 Euro, die er in seine Stadt investieren musste.


Casting für Helfer. Die Idee für die Stadt im Kleinformat kam dem Wiener im Mai 1996 auf einem Flug nach Alaska, „irgendwo zwischen Grönland und Baffin-Island“. Pröhl: „Eine riesengroße Modellbahn, bei der die Bahn nicht mehr so wichtig und dominant ist, wo sich alles dreht, bewegt, leuchtet und fährt.“ Die Reaktion seines Freundes Harald, der im Flugzeug neben ihm saß: „Hast du nach drei Gin Tonic immer solche komischen Ideen?“

Wolfgang Pröhl arbeitete damals als Fotograf und gestaltete Reisediashows, mit denen er durch Österreich, Deutschland und die Schweiz tourte. Außerdem war er für einige Zeit Hotelchef, betrieb ein Lokal, organisierte die erste Erotikmesse in Österreich, arbeitete auf einem Kreuzfahrtschiff. „Ich habe viele Erfahrungen gesammelt“, sagt er heute.

Es dauerte, bis er „Modellstadtbetreiber“ seinem Lebenslauf hinzufügen konnte. „Es gab viele Versprechungen, viele, die mitmachen wollten – aber am Ende löste sich immer alles in Luft auf.“ Also machte er es ab 2011 selbst, organisierte ein Casting für Modellbaubegeisterte und sicherte sich so seine freiwilligen Helfer. Dann der Name: „Mini-Austria wäre zu schwammig gewesen, außerdem hätte sicher jedem Besucher etwas gefehlt. Es musste ein kleines Land sein, eines mit Bergen und Tälern – also nicht Burgenland –, eines mit positivem Image – sorry, Kärnten – und eines mit Gebäuden, die man kennt.“ Wie das Goldene Dachl etwa, die Ottoburg oder die Altstadt von Rattenberg, die man detailverliebt nachgebaut hat. Auf den Namen Wiensbruck kam man durch eine Internetabstimmung, die anderen Gebiete heißen Filzbühel (Wintergebiet) und Örzl (Berge und Feste).

Mehr als 80 Attraktionen bewegen sich, besonders raffiniert sind die Autos, die – wie etwa bei der Verfolgungsjagd nach dem Gefängnisausbruch – dank kleiner Drähte auf den Straßen dahinflitzen. Der deutsche Claus Ilchmann hat viele davon von Hand gebaut. Sie haben eine einzigartige automatische Abstandssteuerung mit Infrarotsensoren, die sie natürlicher fahren lässt als billigere Konkurrenzprodukte.

Apropos bewegliche Attraktionen: Eine davon findet man auf einem Dach, ein junges, recht aktives Liebespaar – vielleicht nicht ganz jugendfrei. Aber man muss es ohnehin erst einmal unter den 22.000 Figuren finden . . .

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2016)

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