Cäsarismus, die Wahl im Dom und Angst vor dem Präsidenten

ARCHIVAUFNAHME KARL RENNER 1945
ARCHIVAUFNAHME KARL RENNER 1945(c) APA (Heeregeschichtl. Museum / Arsena)
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Die Kür eines Staatsoberhaupts konnte schon früher länger dauern. Auch die Art der Wahl war umstritten.

Im Jahr 1931 hätte sie nach langen Diskussionen endlich stattfinden sollen, die erste Volkswahl eines Bundespräsidenten. Tatsächlich durften die Österreicher erst 20Jahre später ihr Staatsoberhaupt bestimmen. Dagegen nimmt sich die jetzige Wahlverschiebung ja noch bescheiden aus.

Tatsächlich zeigt ein Blick in die Geschichte, dass es mit der Kür eines Bundespräsidenten schon früher nicht so einfach war. Auch die Frage, ob man überhaupt ein Staatsoberhaupt benötigt, entzweite einst die Geister. Alles begann 1919, als die Konstituierende Nationalversammlung nach der Monarchie ihre Arbeit aufnahm. Karl Seitz wurde zum Ersten Präsidenten dieser Nationalversammlung gewählt. Dem Sozialdemokraten fielen als Parlamentspräsidenten so wie momentan Doris Bures und ihren Amtskollegen jene Aufgaben zu, die ein Bundespräsident typischerweise hat. „Der Präsident der Nationalversammlung vertritt die Republik Deutschösterreich nach außen, empfängt und beglaubigt die Gesandten und ratifiziert die Staatsverträge“, hieß es im Gesetz.

Doch schon bald plädierten Juristen dafür, ein echtes Staatsoberhaupt, einen Bundespräsidenten zu schaffen. Aber die Sozialdemokratie hatte kurz nach der Monarchie deswegen grobe Bedenken. Sie fürchtete einen „Cäsarismus“ durch ein Staatsoberhaupt, noch dazu, wenn es vom Volk gewählt wurde. Die Christlich-Sozialen hingegen wollten einen direkt gewählten Präsidenten. Es kam zum Kompromiss. Man beschloss, das Amt des Bundespräsidenten einzuführen, dieser sollte aber durch die Bundesversammlung, also durch Parlamentarier bestimmt werden. Die Verfassung trat 1920 in Kraft.

Doch schon die erste Wahl des Bundespräsidenten zog sich lang hin. In vier Wahlgängen gelang es weder Rot noch Schwarz noch den Großdeutschen, ihren Kandidaten durchzubringen. Erst als die Christlich-Sozialen den parteifreien, aber der Großdeutschen Volkspartei nahestehenden Michael Hainisch ins Spiel brachten, gelang es, den ersten Bundespräsidenten der nunmehrigen Republik Österreich zu küren. Die damalige Verfassung hat dem Staatsoberhaupt freilich wenig Kompetenzen gegeben, wie eine Anekdote zeigt. Als Hainisch einmal sein Taschentuch verlor, hob es ein Passant auf. Der Bundespräsident bedankte sich und erklärte, das Taschentuch sei schließlich die einzige Sache, in die er seine Nase stecken dürfe.

Ende der 1920er-Jahre starteten die Christlich-Sozialen rund um Kanzler Ignaz Seipel einen weiteren Anlauf, um den Bundespräsidenten direkt wählen zu lassen. Die Sozialdemokraten erwiderten, die Direktwahl eines Staatsoberhaupts würde die Demokratie gefährden. Darauf fand 1928 auch die Wahl von Wilhelm Miklas zum Bundespräsidenten in der Bundesversammlung statt. Und auch das klappte erst im dritten Wahlgang – und nur, weil am Ende die oppositionellen Sozialdemokraten leere Stimmzettel abgaben.

Ja, nein, ein bisschen, gar nicht

Nun wurde es erst richtig turbulent. Mit der Verfassung 1929 stärkte man den Bundespräsidenten, er bekam jene Kompetenzen, die er heute hat. Und er sollte nun direkter gewählt werden. Zunächst plante die bürgerliche Regierung, dass man bei einer Volkswahl im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erhalten muss, um Bundespräsident zu werden. Im zweiten Wahlgang, in dem die Kandidaten wieder antreten dürfen, sollte bereits die relative Mehrheit zum Wahlsieg reichen.

Dann schwenkte man nach Einwänden von Landeshauptleuten um, und wollte den zweiten Wahlgang doch als Stichwahl der beiden stärksten Kandidaten abhalten. Dann plante man wieder um und wollte nur noch im ersten Wahlgang das Volk abstimmen lassen. Für den Fall, dass dort niemand die Absolute bekommt, sollten die Parlamentarier einen der drei bei der Volkswahl beliebtesten Kandidaten als Staatsoberhaupt küren. Und dann verständigte man sich schlussendlich doch wieder darauf, dass der Bundespräsident nur vom Volk allein mit Stichwahl im zweiten Wahlgang gewählt werden soll. Inzwischen waren nun auch die Sozialdemokraten bei der Novelle mit an Bord.

Die Volkswahl wurde nach diesem langen Hin und Her endlich Gesetz, der Urnengang schließlich für 1931 angesetzt. Doch kurz davor machte man erst recht wieder einen Rückzieher. Inmitten der globalen Wirtschaftskrise und der innenpolitisch instabilen Lage beschloss man auf Antrag der Großdeutschen, den amtierenden Bundespräsidenten, Wilhelm Miklas, doch noch einmal durch die Bundesversammlung wiederzuwählen: Eine Anlassgesetzgebung.

Im Austrofaschismus, der sich nach Ausschaltung des Parlaments im Jahr 1934 eine ständestaatliche Verfassung gab, war für die Direktwahl des Bundespräsidenten erst recht kein Platz mehr. Waren es lang die Sozialdemokraten gewesen, die sich gegen eine Volkswahl des Staatsoberhaupts sträubten, war diese nun dem autoritär regierenden christlich-sozialen Kanzler Engelbert Dollfuß ein Dorn im Auge. Stattdessen schwebte ihm vor, dass alle Bürgermeister Österreichs im Stephansdom zusammenkommen und dort das Staatsoberhaupt wählen. Daraus wurde aber nichts, stattdessen verlängerte man Miklas per Verfassungsgesetz im Amt. Übrigens sah die Maiverfassung von 1934 in Artikel 75 vor, dass ein neuer Bundespräsident unbedingt mit den Worten „So wahr mir Gott helfe!“ seinen Amtseid leisten muss. Heute ist eine religiöse Beteuerung fakultativ, Kandidat Norbert Hofer hat aber erklärt, von dieser Formel Gebrauch machen zu wollen.

Wenig Freude beim Wahlsieger

Auch nach der NS–Zeit wurde es zunächst wieder nichts mit einem vom Volk gewählten Bundespräsidenten. Man entschloss sich 1945, Karl Renner von der Bundesversammlung zum Staatsoberhaupt küren zu lassen. Erst im Jahr 1951 – also 20 Jahre nachdem die erste Volkswahl eines Präsidenten hätte stattfinden sollen – durften die Österreicher endlich selbst ihr Staatsoberhaupt wählen.

Doch der nun solcherart zum Staatsoberhaupt erwählte Wiener Bürgermeister Theodor Körner soll über seinen politischen Aufstieg gar nicht so erfreut gewesen sein. Er war trotz gesundheitlicher Probleme aus Parteiräson angetreten, zumal zuvor andere Genossen abgesagt hatten. Auch das Zeremoniell, dem man als Staatsoberhaupt unterliegt, behagte Körner gar nicht: So trug er ungern den vielerorts noch obligatorischen Hut. Er heiratete nicht. Und bei Reisen sprang er gern aus dem noch fahrenden Zug, um dem roten Teppich auf dem Bahnsteig zu entkommen.

Das Amt hatte Körner aber trotzdem angenommen. Was soll man auch machen, wenn man vom Volk, das so lang auf dieses Recht warten musste, zum Bundespräsidenten gewählt wird?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2016)

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