Die Weltbank bekämpft ihre Sinnkrise

Jim Yong Kim
Jim Yong Kim(c) Clemens Fabry
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Früher revoltierten Aktivisten gegen die US-dominierte Entwicklungsbank. Heuterevoltieren ihre Mitarbeiter gegen den Chef. Denn Kim weist der Weltbank neue Wege.

Vorbei sind die Zeiten, als die Weltbank die beliebteste Zielscheibe im Arsenal des Antiimperialismus war. Aber wie soll auch eine Institution noch als Hassobjekt dienen, wenn ihr aktueller Anführer früher selbst gegen sie auf die Straße ging? Jim Yong Kim erlebte 1994 als junger Arzt in Peru hautnah mit, was die Weltbank bewirkte: Damit Staaten zu ihren Krediten kamen, mussten sie ein makroökonomisches Wohlverhalten an den Tag legen, das künftiges Wachstum fördern sollte.

Mitten in der schweren Verschuldungskrise, in der Südamerika damals steckte, bedeutete das: eisern sparen. Das erinnert zwar an die südeuropäischen Staaten in der Eurokrise. Aber der Vergleich hinkt kräftig, wegen der enormen Unterschiede im Wohlstandsniveau. Im damals noch bitterarmen Peru führten Einschnitte ins zarte Pflänzchen Gesundheitssystem dazu, dass die Cholera ausbrach. Kim hatte 1987 Partners in Health gegründet, eine NGO für Gesundheitsvorsorge in Entwicklungsländern. Er musste kein Ökonom sein, um zu verstehen: Wenn tödliche Infektionskrankheiten wüten und Kinder nicht mehr in die Schule gehen, kann das für eine Volkswirtschaft nicht förderlich sein. Also wetterte er in einem Buch mit dem Titel „Für Wachstum sterben“ gegen die Willkür der Weltbank und forderte lautstark ihre Abschaffung.

Die Rolle Chinas. Heute haben sich die Wogen längst geglättet. Die Annäherung der Standpunkte erfolgte von beiden Seiten. Zum einen nahm sich die Weltbank die Kritik ihrer Gegner zu Herzen. Zum anderen aber hat der Weltverlauf gezeigt, dass ihre Grundausrichtung so falsch nicht war. Es ist eine der größten Erfolgsgeschichten der Menschheit: Der Anteil der „absolut Armen“, die mit weniger als zwei Dollar täglich auskommen müssen, sank in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten von 37 auf unter zehn Prozent der Weltbevölkerung. Der Löwenanteil des Rückgangs kam von China. Die Werkzeuge dafür waren: private Initiative, Marktwirtschaft und freier Handel mit dem Rest der Welt – genau jene Wachstumsimpulse, die auch die Weltbank stets von Regierungen eingefordert hat. Direkte Hilfe für die Armen aber hat deprimierend wenig bewirkt: In Afrika, wo sie weiterhin dominiert, bleibt der Anteil der extrem Armen bei 55 Prozent wie einbetoniert. Die Weltbank verbindet Hilfe mit Systemwandel: Sie vergibt mit den Mitteln der Geberländer Kredite und Zuschüsse, großteils an Staaten, um damit Projekte zu finanzieren – insbesondere Investitionen in die Infrastruktur, wie Straßen oder Staudämme. Dafür fordert sie Rechtsstaatlichkeit ein, vor allem null Toleranz gegenüber Korruption. Im Idealfall schafft sie damit die Voraussetzungen dafür, dass ein Land aus eigener Kraft Wachstum und Wohlstand für alle generieren kann.

Freilich hat die Weltbank deutlich an Bedeutung eingebüßt. Früher hatte sie ein Monopol als Financier der ärmsten Staaten. Heute finden Entwicklungsländer Alternativen. Sie können sich am Kapitalmarkt finanzieren oder sich an direkte Konkurrenten der Weltbank wenden: die Neue Entwicklungsbank der BRIC-Staaten, die Asiatische Entwicklungsbank und die von China dominierte Asiatische Infrastrukturinvestmentbank (AIIB). Peking investiert auch eigenständig stark in Afrika. Dabei geht es den Geldgebern um lukrative Deals. Die Einhaltung von Menschenrechten oder Umweltschutz spielt keine Rolle. Den Regierungen der Empfängerländer bleiben strenge Regeln erspart, die sie als paternalistisch empfinden. Unversehens findet sich die Weltbank aus Sicht ihrer früheren Gegner in der Rolle der Guten wieder – oder zumindest des geringeren Übels. Wobei die Kritik sofort wieder aufflammt, sobald sie ihre Vorgaben etwas lockert, um nicht ganz ins Hintertreffen zu geraten.

Wie ein Wirbelwind.
Dieser Wandel hat die Institution in eine Sinnkrise gestürzt und die über 10.000 Mitarbeiter verunsichert. Als Kim 2012 das Kommando übernahm, zeigte er ein offenes Ohr für ihre Klagen, über den Bedeutungsverlust und die wuchernde Bürokratie im eigenen Haus. Wenige aber rechneten damit, dass der neue Chef mit dem Wirbelwind eines ehrgeizigen Managers alles auf den Kopf stellen würde. Kim folgte der Empfehlung von McKinsey-Beratern, die Aufgaben neu zu gruppieren. Bisher war die Bank nach Ländern organisiert. In jedem dieser Bereiche gab es Experten für Themen wie Energie, Gesundheit oder Landwirtschaft. Aber zwischen den „Silos“ tauschten sich die Experten nicht aus. Wer für ein Problem eine tolle Lösung fand, setzte sie nur in dem ihm zugewiesenen Land um, statt sie weltweit auszurollen. Das soll sich durch die neue Unterteilung in 14 Global Practices ändern. Dazu kommt ein Sparprogramm im Ausmaß von 400 Mio. Dollar, das Jobs wackeln lässt. Die Folge: So manche der vielen hauseigenen Ökonomen und Finanzexperten revoltieren gegen ihren Chef. Wie es ihre akademische Art ist, auch gern schriftlich, analytisch brillant und mit Zahlen und Kurven untermauert.

Kim hat die Stürme bisher gut überstanden. Er genießt das Vertrauen der großen Geberländer, die ihm heuer zu einer zweiten Amtszeit verholfen haben. Damit kann er weiter an einem konkreten Ziel arbeiten, das er seiner Mannschaft gesetzt hat: bis 2030 die extreme Armut besiegen. Genauer: auf drei Prozent drücken (ein niedrigerer Wert ist kaum möglich, weil es immer irgendwo Naturkatastrophen oder Kriege gibt). Freilich: Den politischen Rückhalt zu Hause in den USA hat Kim soeben verloren. Mit Präsident Obama traf er sich gern zum Golfspielen. Dessen Nachfolger Donald Trump hat schon in seinem Wahlkampf klargemacht, in welche Richtung seine Reise geht: weniger amerikanisches Engagement in internationalen Institutionen.

Steckbrief

Jim Yong Kim (56) wurde in Seoul geboren. Als er fünf Jahre alt war, wanderte seine Familie in die USA aus.

Der Mediziner und Anthropologe gründete 1987 die NGO Partners in Health, die arme Länder in Sachen Gesundheitsvorsorge berät.

Bei der WHO setzte Kim von 2004 bis 2006 ein ehrgeiziges Programm zur Aids-Bekämpfung erfolgreich um.

Dartmouth College war die nächste Station: Ab 2009 war Kim Präsident dieser US-Eliteuni.

Seit Juli 2012 ist er der 12. Präsident der Weltbank in Washington.

Das „Forbes“-Magazin zählt ihn zu den 50 mächtigsten Menschen der Welt.

„Doktor Kim“ ist mit einer Kinderärztin verheiratet und hat zwei Söhne.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2016)

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