Personenfreizügigkeit: Schweizer Grenzen bleiben offen

Offene Stellen sollen in der Schweiz vorrangig an Inländer vergeben werden. Arbeitgeber werden aber nicht dazu gezwungen.
Offene Stellen sollen in der Schweiz vorrangig an Inländer vergeben werden. Arbeitgeber werden aber nicht dazu gezwungen.(c) Bilderbox
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Bern scheut davor zurück, den Zugang zum Arbeitsmarkt für EU-Ausländer zu erschweren – ein böses Omen für britische Abschottungsbestrebungen.

Brüssel/Bern. Die Quadratur des Kreises ist missglückt. Seit knapp drei Jahren suchten in der Schweiz Regierung und Parlament nach einem Weg dafür, wie sich das Ergebnis der Volksabstimmung über die Einschränkung der Einwanderung aus dem EU-Ausland mit den vertraglichen Verpflichtungen der Schweiz gegenüber der EU vereinbaren ließe. Am gestrigen Freitag gab sich der Nationalrat in Bern geschlagen: Die Abgeordneten verabschiedeten ein Gesetz zur Umsetzung des Referendumsergebnisses, das dem Wählerwillen nur in einem sehr beschränkten Ausmaß Rechnung trägt.

Die Volksinitiative „Gegen Masseneinwanderung“ wurde im Februar 2014 mit 50,3 Prozent der Stimmen angenommen – die Schweizer Gesetzgeber erhielten damit den Auftrag, binnen drei Jahren ein Gesetz zur Reglementierung der Immigration zu beschließen. „Die jährlichen Höchstzahlen und Kontingente für erwerbstätige Ausländerinnen und Ausländer sind auf die gesamtwirtschaftlichen Interessen der Schweiz unter Berücksichtigung eines Vorranges für Schweizerinnen und Schweizer auszurichten“, heißt es im Text des Referendums.

Die am Freitag beschlossene Reform, deren Details noch fixiert werden müssen, geht immerhin auf den letzten Aspekt ein: Für Branchen und Regionen, in denen die Arbeitslosigkeit überdurchschnittlich hoch ist, dürfen künftig zeitlich befristete Maßnahmen zur Förderung von inländischen Stellensuchenden gesetzt werden. Dieser Vorrang lässt sich allerdings insofern relativieren, als Arbeitgeber erstens nicht dazu verpflichtet werden, Einheimischen den Vorrang zu geben, und die ohnehin symbolische Bevorzugung zweitens über die Stellenangebote an den Arbeitsämtern erfolgen soll – sobald allerdings ein Arbeitsuchender aus dem EU-Ausland beim Schweizer Arbeitsamt registriert ist, darf er nicht schlechter behandelt werden als Einheimische. Von Kontingenten und Höchstzahlen ließen die Schweizer Abgeordneten von vornherein die Finger. Mit gutem Grund: Die Teilnahme der Schweiz am EU-Binnenmarkt ist an die Einhaltung der Personenfreizügigkeit geknüpft.

„Gesetz geht in die richtige Richtung“

Nun liegt es an der EU-Kommission, zu beurteilen, ob der Schweizer Beschluss binnenmarktkonform ist. Die Brüsseler Behörde wird nach Auskunft eines Sprechers in den nächsten Tagen das Gesetz begutachten. „Auf den ersten Blick geht das Gesetz in die richtige Richtung“, hieß es gestern aus dem Hauptquartier der Kommission. Ein negatives Urteil würde bedeuten, dass die Schweiz nach einer sechsmonatigen Frist von Teilen des Binnenmarkts ausgeschlossen wäre – denn die Vereinbarung über die Einhaltung der Personenfreizügigkeit ist unter anderem an die Anerkennung technischer Standards und den Zugang zu öffentlichen Aufträgen geknüpft.

Der Schweizer Umfaller ist ein böses Omen für die Briten, die gern die Freizügigkeit einschränken, aber nach ihrem EU-Austritt den Zugang zum Binnenmarkt behalten wollen. Allfällige Hoffnungen auf einen Präzedenzfall haben sich nun zerschlagen. Umgekehrt hatten die Schweizer darauf gehofft, von einer Aufweichung der Personenfreizügigkeit auf Wunsch der Briten profitieren zu können, doch spätestens seit Jahresbeginn setzte sich in Brüssel und den EU-Hauptstädten die Einsicht durch, dass der freie Verkehr von Gütern, Kapital, Dienstleistungen und Menschen unteilbar ist. Für die Schweizer wie für die Briten steht viel auf dem Spiel: Mehr als die Hälfte ihrer Exporte geht in die EU.

Mit den gestrigen Beschlüssen dürfte allerdings noch nicht das letzte Wort gesprochen worden sein. Die Gesetzgeber in Bern müssen noch die Masseneinwanderungsinitiative von 2014 legistisch neutralisieren – etwa durch eine neuerliche Volksabstimmung im kommenden Jahr. Außerdem ist alles andere als sicher, dass die Befürworter von Obergrenzen nun klein beigeben werden. Mitinitiiert wurde die Masseneinwanderungsinitiative von der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei, der größten Partei des Landes. „Die SVP lehnt diesen den Volkswillen verletzenden Verfassungsbruch ab“, sagte gestern ihr Fraktionsvorsitzender, Adrian Amstutz. Ein der SVP nahestehendes Aktionskomitee kündigte in der Zwischenzeit eine neue Volksinitiative an, um die Personenfreizügigkeit doch noch zu kappen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.12.2016)

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