David Lama: „Das Risiko spiegelt die eigene Überzeugung wider “

EM IM KLETTERN: HALBFINALE / LAMA  (AUT)
EM IM KLETTERN: HALBFINALE / LAMA (AUT)APA/ROBERT PARIGGER
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Schon mit 16 Jahren war David Lama der beste Hallenkletterer der Welt. Inzwischen hat er sich dem Alpinismus verschrieben, spricht über Egoismus, die Todeszone – und das Einkehren auf der Alm.

Sie haben das Sportklettern, den Wettkampf und den Trubel gegen das Hochgebirge getauscht. Die Einsamkeit dort ist Ihnen lieber?

David Lama: Ja, sicher sogar. Das war nie anders. Ich bin nicht wettkampfmäßig geklettert, weil ich mich dort vor Menschenmassen präsentieren kann. Ich habe es gemacht, weil ich den Vergleich wollte und eine super Zeit dabei hatte. Aber auch während meiner Wettkampfzeit habe ich immer schon gesagt: Richtiges Klettern ist für mich am Fels.

Es heißt, durch Ihre nepalesischen Wurzeln und klettertechnischen Fähigkeiten stellen Sie körperlich das Limit im Bergsteigen dar.

Ich sehe noch Spielraum. Ich merke, wie ich jedes Jahr fitter werde und wie mehr Erfahrung zusammenkommt. Ich glaube nicht, dass ich leistungsmäßig im Zenit bin. Sportklettern ist bei mir die Basis, im Vergleich zu anderen Bergsteigern habe ich einen irrsinnigen Vorteil. In der Halle kann man klettertechnische Fähigkeiten schnell und vor allem sicher erlernen. Wenn man früher am Berg über sein Limit hinausging, war das immer mit dem Risiko einer gröberen Verletzung verbunden. Man darf aber nicht meinen, dass der Berg eine Halle ist.

Sind Hallenkletterer, die sich in die Todeszone wagen, die Zukunft des Alpinismus?

Man muss zwischen Zukunft und Fortschritt unterscheiden. Nur weil man etwas schneller macht, Rekorde bricht, heißt das noch lange nicht, dass das die einzige Form für die Zukunft ist. Ich bin der Meinung, dass eine ewige Konstante des Bergsteigens – und da liegt für mich auch der Kern – bei den Erstbegehungen liegt. Wenn man immer schwierigere oder ausgesetztere Sachen macht, ist das der Bereich des Fortschritts. Aber man darf den Kern nicht vernachlässigen.

Ist das eine Kritik am Motto „Höher, weiter, schneller“?

Jeder darf machen, was er will. Nur für mich ist eine ideale Tour nicht dadurch gegeben, dass sie – wie Sie sagen – höher, weiter, schneller ist. Der Faktor des Abenteuers, das erste Verwirklichen einer Idee – das steht für mich im Vordergrund, nicht irgendein Rekord, irgendein Vergleichswert.

Sie sprechen von Ideen und deren Umsetzung: Bergsteigen und Klettern sind ein kreativer Ausdruck?

Ich würde das so sagen. Klettern ist nur die Übertragung von einer Idee in deinem Kopf auf das Material, den Berg. Das ist für mich auch das Schönste am Bergsteigen. Es gibt mir die Möglichkeit, mich zu verwirklichen. Bei einer Wand, die noch komplett undurchstiegen ist, habe ich wirklich den Freiraum, meine Linien zu zeichnen. Wie ein Künstler auf einem weißen Blatt Papier. Aber beim Bergsteigen ist es trotzdem anders als in der Kunst, weil es bleibt ja nichts zurück.

Beim Blick auf die Wand sehen nur Sie Ihre Linie . . .

Aber sobald die Idee übertragen, die Linie geklettert ist, schafft man schon Wissen für andere Bergsteiger: dass es machbar ist und wie es machbar ist. Also selbst wenn man nichts hinterlässt, hinterlässt man seine Idee.

Ihr Erfolgsrezept ist also, dass Sie kreativer sind als andere?

Das würde ich so nicht sagen. Aber eine gewisse Kreativität braucht man.

Dann nehmen Sie mehr Risiko in Kauf als andere?

(überlegt lange) Das ist eigentlich nicht der Kern der Sache. Risiko ist immer subjektiv. Die relevante Frage ist: Bin ich bereit, das Risiko, das gefordert ist, einzugehen, oder nicht? Und das hängt davon ab, ob ich glaube, dass das Ziel, das dem Risiko gegenübersteht, erreichbar ist. Und ob es für mich einen Wert hat, der das Risiko vertretbar macht. So spiegelt das Risiko, das man bereit ist einzugehen, die Überzeugung vom eigenen Tun wider. Das heißt nicht, dass ich das Risiko suche. Als Bergsteiger minimiere ich es sogar, so gut es geht, aber ich bin trotzdem bereit, gewisse Risiken einzugehen, wenn es dafürsteht. Das ist ein persönliches Empfinden. Jemand anderer sagt vielleicht, der Lama ist ein totaler Spinner. Aber mir bietet das Bergsteigen die Möglichkeit, mein Leben so zu leben, wie ich es will. Deswegen hat es einen sehr hohen Wert für mich.

Am Ende aber sind es Ihre Projekte, Sie müssen Bilder liefern: Bewertet man da Risiko nicht ein wenig anders, als man sollte?

Da sage ich ganz sicher nein. Weil ich niemandem verspreche, dass ein Projekt funktioniert oder dass ich mit irgendwelchen Bildern heimkomme. Aber ich muss dazusagen: Es reizt mich schon zu überlegen, wie ich meine Abenteuer erzählen kann. Grundsätzlich bringe ich mich gern in solche Produktionsfragen ein, aber ich verspüre deswegen keinen Druck.

Sind die bekanntesten Kletterer auch die besten?

Kann sein, muss nicht sein.

Sie sind heuer einige Male nach Nepal, der Heimat Ihres Vaters, zurückgekehrt. Sie haben sich am Lunag Ri und an der Annapurna versucht, aber es waren auch Reisen zurück zu Ihren Wurzeln. Es gibt auch einen Film („Lunag Ri“) darüber.

Es war anders, als man es als Außenstehender erwarten würde. Ich war über 15 Jahre nicht dort und habe gespürt, dass ich wieder zurück möchte. Nicht nur zum Bergsteigen, sondern auch mit meinen Eltern, um einfach wieder Anknüpfungspunkte zum Land zu finden. Gerüche sind wieder lebendig geworden, die Lieder der Schulkinder, die ich nie hätte widergeben können, haben eine Vertrautheit hervorgerufen. Aber ich weiß nicht, ob es meine zweite Heimat ist. Doch je mehr Erfahrungen ich in diesem Land und mit den Leuten mache, desto mehr Verbundenheit wird es geben.

Wie geht Ihre Familie mit Ihren Expeditionen in die Todeszone um?

Alles, was vorstellbar ist, kann potenziell eine Angst hervorrufen. Und beim Bergsteigen ist absolut vorstellbar, dass etwas passiert. Aber ich war ja nicht von Anfang an Extrembergsteiger. Meine Eltern sind da mit mir hineingewachsen und können damit sehr gut umgehen. Die Angst ist nicht dominierend, ich glaube sogar, sie ist nicht oft vorhanden. Sie vertrauen mir, weil sie wissen, dass ich Projekte nur dann mache, wenn es für mich wertvolle Erfahrungen sind.

Ihr wohl spektakulärstes längerfristiges Projekt ist die Nordostwand des Masherbrum in Pakistan. Wie oft haben Sie heute schon an diesen Berg gedacht?

Wahrscheinlich schon zwei- oder dreimal. Das Projekt beschäftigt mich seit Jahren. Zweimal haben wir es schon probiert. 2013 hat sich Peter (Peter Ortner, ein Osttiroler Bergsteiger, Anm.) beim Akklimatisieren verletzt, 2014 (mit Ortner und dem Tiroler Hansjörg Auer, Anm.) sind wir dann eingestiegen. Da haben wir gemerkt, wie groß und wild der Berg ist, und wie weit wir noch davon entfernt sind. Das hat natürlich am Selbstvertrauen genagt. Mittlerweile sind wir fitter geworden, haben mehr Erfahrung. Es gibt keine konkreten Pläne, aber ich will auf jeden Fall zum Masherbrum zurück. Weil ich es nach wie vor für möglich halte. Aber dazu muss ich noch besser werden, noch mehr Erfahrungen sammeln. Denn ohne großartige Chancen einzusteigen, wäre sinnloses Riskieren.

Wie viele Anläufe gibt man sich für solche Vorhaben? Wann haue ich den Hut drauf?

Da kann ich keine Zahl nennen. Beim Cerro Torre hat es drei Jahre gedauert(Lama gelang 2012 die erste freie Begehung der Kompressorroute in Patagonien, Anm.). Ich glaube, bei den Projekten, die mich reizen, braucht man Weitblick und eine gewisse Sturheit. Um sie zu erkennen und dann aber auch dranzubleiben. Jeder Mensch braucht irgendwo einen gesunden Egoismus.

Geht es im Alpinismus überhaupt sauber zu? In den Basecamps gibt es schließlich keine Dopingkontrollen.

Das muss es auch nicht. Weil es keinen Vergleich Mann gegen Mann gibt, keine Tour ist mit einer anderen vergleichbar.

Nachhelfen ginge aber sehr leicht.

Das wird auf den hohen Bergen auch viel gemacht. Ich habe mit Diamox und dergleichen absolut nichts am Hut. Aber als Notfallmedikation bei Höhenkrankheit habe ich es natürlich immer mit.

Früher war Bergsteigen eine elitäre Angelegenheit, inzwischen herrscht ein Outdoor-Boom, Klettern wurde zum Breitensport, auch in den Städten.

Jeder kann so bergsteigen, wie er es für richtig hält. Gerade in unseren Breitengraden gibt es unzählige Möglichkeiten. Trailrunning, Wandern, Klettersteige, Sportklettern – was man alles zum Bergsteigen dazuzählt, ist wieder eine persönliche Sache. Ich mache unterm Strich die Sachen, die mich reizen. Und davon habe ich genügend im Kopf, um mich noch viele Jahre im Bergsteigen verwirklichen zu können.

Stichwort Wandern: Geht David Lama auch einmal gemütlich auf eine Alm und kehrt ein?

In der Regel nicht. Ich laufe sehr viel in den Bergen herum, weil es ein super Training ist. Wenn ich ein bisschen Kleingeld eingesteckt habe, dann kehre ich auch gern einmal irgendwo ein.

Steckbrief

David Lama wurde am 4. August 1990 in Innsbruck als Sohn einer Tirolerin und eines nepalesischen Bergführers geboren.

Der Zillertaler Extrembergsteiger Peter Habeler erkannte sein Klettertalent, 1998 bestreitet Lama seinen ersten Wettkampf, als Zehnjähriger klettert er im Schwierigkeitsgrad 8a.

Mit 15 Jahren steigt Lama mit einer Sondergenehmigung in den Weltcup ein und kürt sich zum jüngsten Sieger der Geschichte. 2008 gewinnt er den Gesamtweltcup (Lead und Boulder).

Das Sportklettern rückte immer mehr in den Hintergrund, 2011 entscheidet sich Lama für den Alpinismus.

2012 gelang ihm die erste freie Begehung der Kompressor-Route am Cerro Torre in Patagonien, zu sehen im Kinofilm „Cerro Torre – Nicht den Hauch einer Chance“ (2014).

?Manuel Ferrigato/Red Bull Content Pool

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.12.2016)

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