„Verschwörungen“ auf Italienisch

Die Spaltung in links und rechts schadet der Demokratie. Hinter allem wittert man rasch politische Agitation.

Was soll es denn auch anderes sein? Natürlich ist es eine gigantische Verschwörung. Ein kommunistisches Komplott, in das der Staatspräsident, die Höchstrichter, ja die gesamte Justiz und die Medien sowieso verwickelt sind. Und das Opfer ist – wie immer – der beste Regierungschef, den Italien je hatte. Weil die anderen neidisch sind auf seinen Erfolg als Politiker, als Unternehmer (als Frauenheld). Und weil sie zurück an die Macht wollen, die finsteren Kommunisten, um Italien zu verderben, um zu verhindern, dass der begnadete Silvio das Land rettet.

Ja, so einfach kann die Welt sein. Zumindest die Welt, die Silvio Berlusconi für sein Publikum entwirft. Vor laufenden Fernsehkameras tat er so seinen Unmut darüber kund, dass es Italiens Höchstrichter gewagt haben, sein Immunitätsgesetz als verfassungswidrig zu verwerfen; das Gesetz, das ihn vor mehreren Verfahren schützt.

Natürlich ist die krause Argumentation des Premiers in Wahrheit eine billige Ausrede. Die Vorwürfe der Justiz sind keineswegs frei erfunden. Und dass der Medienunternehmer seit Jahren seine Regierungsmehrheit dazu missbraucht, im Parlament Gesetze zu basteln, mit deren Hilfe er sich der Verantwortung vor Gericht entziehen kann, ist eine Ohrfeige für den Rechtsstaat.

Trotzdem klingt Berlusconis Ausrede für Teile der Italiener nicht unplausibel. Nicht weil sie so große Fans von Verschwörungstheorien wären. Sondern weil das Land tief gespalten ist: in links und in rechts. Und da ist rasch alles irgendwie Politik. Da wird rasch hinter jeder öffentlichen Äußerung, jeder Entscheidung, jedem Zeitungsartikel politische Agitation vermutet – von der einen oder der anderen Seite.

Ein Grund für diese Spaltung des Landes liegt wohl in Italiens jüngerer – nicht wirklich bewältigter – Geschichte. In der Gesellschaft herrscht nach wie vor kein Konsens darüber, wer im Zweiten Weltkrieg in Italien die wirklich Bösen waren: die Faschisten oder die (linke) Resistenza. Die Rechte macht in dieser Diskussion für die faschistischen Verbrechen gern die deutschen Besatzer allein verantwortlich. Italiens Faschisten steigen dabei nicht so schlecht aus – zumindest nicht so schlecht wie kommunistische Partisanengruppen.

Auf diese Art zu denken stößt man nicht nur in postfaschistischen Kreisen. Angesprochen auf die Untaten des italienischen Diktators Benito Mussolini, holte auch Berlusconi immer wieder zum Aufrechnungsgegenschlag aus und verwies auf die „roten“ Massenmorde Stalins und der kambodschanischen Khmer Rouge. Und immer wieder drückten sich Berlusconi und andere Rechtspolitiker vor den Feiern am Tag der Befreiung Italiens vom Faschismus.

Zur nicht verarbeiteten inneritalienischen Auseinandersetzung im Zweiten Weltkrieg kommt die Angst vor der „roten Gefahr“ in der Nachkriegszeit. Die Kommunisten wuchsen damals zu einer wichtigen Größe heran. Damit hatten freilich nicht nur Faschismusnostalgiker ein Problem. Auch Italiens herrschende Christdemokraten und die Nato fürchteten eine kommunistische Machtübernahme und das Herausbrechen des Landes aus dem westlichen Bündnis.

Diese Spaltung in rechts und links, die in Italien viel ausgeprägter ist als in den meisten anderen europäischen Staaten, tut der italienischen Demokratie gar nicht gut. Denn bei Diskussionen über wichtige Fragen bleibt dabei immer wieder das Inhaltliche auf der Strecke. Wer Berlusconi aus guten Gründen kritisiert, setzt sich dem Verdacht aus, ein Linker oder gar ein Kommunist zu sein.

Eingefleischte Mitte-rechts-Wähler nehmen alle Volten Berlusconis in Kauf, nur um nicht für eine linke Partei stimmen zu müssen. Und selbst wenn sie sich dazu überwinden könnten, würden sie im linken Parteienspektrum ohnehin nur ein schwaches Angebot vorfinden. Die bisherige Stärke des Premiers resultiert nämlich auch aus der Schwäche der zersplitterten, vor allem mit sich selbst beschäftigten Opposition.

Berlusconi hat diese – ideologisch begründete – Spaltung verstärkt. Allein schon durch seine polarisierende Persönlichkeit, die kaum jemanden kalt lässt; die man nur hassen oder lieben kann. Und er treibt das „Wir/Ich gegen die bösen anderen“ ganz bewusst auf die Spitze. So beendete er seine jüngste Suada gegen seine „roten Verfolger“ mit dem Schlachtruf: „Hoch die Italiener, hoch Berlusconi!“ – als sei das Schicksal des Staates direkt mit seinem eigenen verknüpft. Solange Italien weiter gespalten ist und sich rechts der Mitte keine starke Alternative zu Berlusconi auftut, wird er bei einem Teil der Italiener auch weiter damit durchkommen.

Berlusconi und die Justiz Seite 5

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2009)

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