Gäste, die wider den Walzerschritt tanzen

Gustavo Dudamel conducts a concert at the foreign ministry headquarters in Caracas
Gustavo Dudamel conducts a concert at the foreign ministry headquarters in CaracasREUTERS
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Wie mancher Vorgänger dirigiert auch der jüngste Neujahrsdirigent aller Zeiten, der Venezolaner Gustavo Dudamel, nicht nur Werke der Wiener Strauß-Dynastie, sondern hat ein paar ausgefallene Titel parat.

Die Musik der Wiener Strauß-Dynastie dominiert das Neujahrskonzert der Philharmoniker. Das weiß die Welt. Doch hat das Orchester das Repertoire immer wieder sanft erweitert, um Musik von Zeitgenossen der Sträuße ebenso wie von deren Nachfolgern auf dem Feld des Walzers, der Polka, der Operette.

Dass der quirlige Venezolaner Gustavo Dudamel bei seinem Debüt am 1. Jänner auch Werke von Émile Waldteufel und Otto Nicolai ins Programm genommen hat, entspricht also einer guten Tradition. Wobei die „Schlittschuhläufer“ das populärste Werk Waldteufels darstellen, eines, das ganz klar vom Wiener Dreivierteltaktcharme inspiriert ist. Waldteufel (1837–1915) gehört freilich in die französische Musikgeschichte. Er war „Vorspieler“ der Kaiserin Eugénie und nach Ende des Zweiten Empire auch dem nachmaligen englischen König, Edward VII., attachiert, der ihm durch Vermittlung eines Verlegers zu weltweiter Popularität verhalf.

Als Schüler von Joseph Hellmesberger pflegte Waldteufel durchaus nicht die Nachfolge Jacques Offenbachs, sondern die wienerische Tradition. Insofern stehen die „Patineurs“ durchaus konsequent in einem philharmonischen Neujahrsprogramm.

Konsequent aus der Sicht des Orchesters und seiner Geschichte ist auch die Einbindung des „Mondaufganges“ aus Otto Nicolais Spieloper „Die lustigen Weiber von Windsor“, für den heuer erstmals der Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde zu Neujahrskonzertehren kommt.

Nicolai war ja Gründer der Wiener Philharmoniker, die Ouvertüre zu seiner populären Oper stand im Neujahrskonzert denn auch schon mehrmals auf dem Programm, unvergesslich anno 1992 als Auftakt des zweiten der beiden Carlos-Kleiber-Auftritte.

Russische Ballettklänge

Kleiber hat sich im Übrigen keine weiteren Ausritte aus dem reinen Strauß-Repertoire erbeten. Aus dem wienerischen Walzermilieu haben die Musiker am 1. Jänner im Musikverein ja doch hie und da schöne Perlen heraufgetaucht: Beim Compagnon von Strauß-Vater, Joseph Lanner, der unbedingt zur Familie gehört, aber auch bei jüngeren Kollegen von Franz von Suppé bis Carl Michael Ziehrer, vom häufig vertretenen Joseph Hellmesberger bis zu Franz Lehár wurde man häufig fündig.

Aber auch was jenseits von Wien die hiesige Tanzkultur widerspiegelte, kommt manchmal zu Ehren, der Vater der Operette, Jacques Offenbach, ebenso wie der „nordische Strauß“, Hans Christian Lumbye.

In jüngster Zeit tauchten freilich auch Komponistennamen auf dem Programmzettel auf, die Musikfreunde kaum mit dem Neujahrskonzert assoziieren dürften. So dirigierte Mariss Jansons den großen Walzer, aber auch das lyrische Intermezzo „Panorama“ aus Peter Iljitsch Tschaikowskys Ballettmusik zu „Dornröschen“, Franz Welser-Möst nutzte das Doppeljubiläumsjahr 2013 sogar zur Hereinnahme des zündenden Vorspiels zum dritten Aufzug von Wagners „Lohengrin“ und der Ballettmusik aus Giuseppe Verdis „Don Carlos“. Zwei Jahre zuvor, bei seinem ersten Neujahrsauftritt, gedachte Welser-Möst des 200. Geburtstags von Franz Liszt und wählte als Verbeugung den diabolischen „Mephistowalzer“.

Schubert war als Erster dran

Ballettmusik kam bei Daniel Barenboim zu Ehren: Er dirigierte als sanftes Zwischenspiel einmal die aparten „Pizzicati“ aus Léo Delibes' „Coppélia“, zollte aber ebenfalls Großmeistern des philharmonischen Stammrepertoires seinen Tribut, indem er die „Mondscheinmusik“ aus Richard Strauss' „Capriccio“ zelebrierte, aber auch das ganz und gar nicht tänzerische Finale aus Joseph Haydns „Abschiedssymphonie“ zu einem theatralischen Akzent nutzte: Wie einst bei der Uraufführung verließen die Musiker nach und nach das Podium . . .

Virtuose Ouvertüren vom Zuschnitt der „Donna Diana“ von Emil Nikolaus von Reznicek (bekannt dank der Signation der früheren TV-Serie „Erkennen Sie die Melodie?“) oder des „Römischen Karnevals“ von Hector Berlioz wählten Claudio Abbado bzw. Lorin Maazel zum Einstieg ins Programm.

Didaktisch, wie immer, erinnerte Nikolaus Harnoncourt daran, dass es Carl Maria von Weber war, der die typische Walzerfolge erfand, und dirigierte Berlioz' Orchesterfassung von dessen „Aufforderung zum Tanz“.

Harnoncourt holte auch „ungarische Tänze“ von Brahms herein, während Abbado mit der „Maskenballquadrille“ Querverbindungen zwischen Verdi und der Strauß-Familie aufdeckte – und an die Wurzeln des wienerischen Tanzvergnügens lotete, indem er Mozart'sche Kontratänze und einen Schubert-Galopp in die Nummernfolge einband. Bei Mozart nahm auch Mariss Jansons mit der „Figaro“-Ouvertüre eine Neujahrsanleihe. Die Ehre, erstmals Schubert am 1. Jänner dirigiert zu haben, kam freilich dem langjährigen Neujahrsvorgeiger zu: Eine der „italienischen Ouvertüren“ erklang 1978 unter der Leitung des legendären philharmonischen Konzertmeisters Willi Boskovsky.

DAS NEUJAHRSPROGRAMM 2017

Teil 1: Lehár: „Nechledil“-Marsch, Emile Waldteufel: „Les Patineurs“, Johann Strauß (Sohn): „'s gibt nur a Kaiserstadt“, Josef Strauß: „Winterlust“, Johann Strauß (Sohn): „Mephistos Höllenrufe“, „So ängstlich sind wir nicht!“

Teil 2: Suppé Ouvertüre „Pique Dame“, Ziehrer: „Hereinspaziert!“, Nicolai: „Mondaufgang“, Strauß (Sohn): „Pepita-Polka“, „Rotunde-Quadrille“, „Die Extravaganten“, Strauß (Vater): „Indianer-Galopp“,

Josef Strauß: „Die Nasswalderin“, Johann Strauß (Sohn): „Auf zum Tanze!“, „Tausend und eine Nacht“, „Tik-Tak-Polka“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2016)

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