Fünf Sterne suchen neue EU-Fahne

Der Belgier Guy Verhofstadt führt die liberale Fraktion im Europaparlament an – und möchte nun Schulz-Nachfolger werden.
Der Belgier Guy Verhofstadt führt die liberale Fraktion im Europaparlament an – und möchte nun Schulz-Nachfolger werden.(c) REUTERS
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Movimento 5 Stelle des italienischen Populisten Beppe Grillo sagt sich von der EU-skeptischen Ukip los und will bei der liberalen Fraktion andocken. Doch diese zögert.

Brüssel. „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?“ Dieses dem legendären deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer zugesprochene Zitat macht momentan in der italienischen Fünf-Sterne-Bewegung (Movimento 5 Stelle, M5S) die Runde. In einer Onlinebefragung am Sonntag und Montag sprachen sich 78,5 Prozent der Sympathisanten der Anti-Establishment-Partei für einen fliegenden Fraktionswechsel im Europaparlament aus: Die Gruppierung soll demnach die von ihr im Jahr 2014 mitgegründete europaskeptische Fraktion Europa der Freiheit und der direkten Demokratie (EFDD) verlassen und der EU-freundlichen Fraktion der europäischen Liberalen (Alde) beitreten.

Die Marschrichtung vorgegeben hat wieder einmal Beppe Grillo, der Leitstern der Fünf-Sterne-Bewegung. Auf seiner Website begründete der Komiker und Populist den Kurswechsel damit, dass die bisherige EU-Parlamentsfraktion der Movimento 5 Stelle nun antriebslos sei, da ihr größtes Mitglied, die offen europafeindliche United Kingdom Independence Party (Ukip), ihr Ziel eines EU-Austritts Großbritanniens erreicht habe. Ein Verbleib bei EFDD würde sie bedeutungslos machen, hingegen würde Alde gemeinsam mit den Fünf Sternen zur drittgrößten Fraktion im Europaparlament aufsteigen. M5S stellt derzeit 17 Europaabgeordnete, die Liberalen kommen auf 68 Mandate. Voraussetzung für eine Kooperation ist für Grillo, dass sich seine Mandatare nicht an etwaige Beschlüsse der Fraktion halten müssen und im Europaparlament eigenständige Politik machen können. Inhaltliche Berührungspunkte mit Alde ortet der italienische Politiker unter anderem bei der Förderung der digitalen Ökonomie und einer nachhaltigen Landwirtschaft in der EU.

Sollten die Fünf Sterne EFDD verlassen, wäre dies für die Fraktion ein schwerer Schlag: Um den Fraktionsstatus zu erhalten, muss eine Gruppierung mindestens 25 Mandatare aus mindestens sieben EU-Mitgliedstaaten haben. Ohne die Italiener hätte die Fraktion 27 Mandatare aus sieben Staaten: davon 20 Briten. EFDD würde so zur Ukip-Delegation mit Wurmfortsatz schrumpfen. Insofern verwundert es nicht, dass Ukip-Europaabgeordneter Nigel Farage den angestrebten Fraktionswechsel der Italiener als „komplett unlogisch“ kritisiert.

Kritik kommt auch von der Lega Nord, der zweiten populistischen Partei in Italien: Parteichef Matteo Salvini warf Grillo vor, seine Überzeugungen „für ein paar Euro und einige Posten“ über Bord zu werfen.
Aus inhaltlicher Perspektive betrachtet, ist das Andockmanöver bei den Liberalen höchst fragwürdig. Während Grillo Italien aus der Eurozone führen will und immer wieder gegen die Vormundschaft der Brüsseler Eurokraten wettert, zählt Alde zu den europafreundlichsten Fraktionen im Plenum.

Kampf um Schulz' Nachfolge

Eingefädelt wurde die Liaison von Alde-Chef Guy Verhofstadt. Der Belgier will nämlich den scheidenden EU-Parlamentspräsidenten, Martin Schulz, beerben. Die Abstimmung über Schulz' Nachfolge findet am 17. Jänner statt, als Favoriten gesetzt werden die Italiener Gianni Pittella (Sozialdemokraten) und Antonio Tajani (Europäische Volkspartei) – doch die Mehrheitsfindung im Plenum dürfte sich zäh gestalten. Als Anführer der drittgrößten Fraktion könnte Verhofstadt als später Kompromisskandidat zum Zug kommen.

Dieser Plan setzt allerdings voraus, dass die liberalen Europaabgeordneten mitspielen. Doch bereits vor dem für Montagabend angesetzten Treffen der Alde-Delegationsführer, bei dem über die Aufnahme der Italiener gesprochen werden sollte, war das Murren nicht zu überhören. „Ich halte nichts davon“, sagte gestern die französische Europaabgeordnete Sylvie Goulard, die in der Fraktion für Wirtschafts- und Währungspolitik zuständig ist, zur „Presse“. Die Haltung der Fünf-Sterne-Bewegung gegenüber der gemeinsamen Währung sei „total inakzeptabel“, eine derart opportunistische Volte wäre den Wählern der Liberalen nicht zu vermitteln.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2017)

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