VW: Wie viel wusste die Konzernspitze?

(c) REUTERS (RUSSELL BOYCE)
  • Drucken

Das FBI hat nicht nur einen leitenden VW-Mitarbeiter in den USA verhaftet. Die US-Behörden werfen dem Unternehmen nun auch vor, dass das Management die Vertuschung des Dieselskandals angeordnet habe.

Wien. Auf der Automesse in Detroit geben sich Konzernchefs alljährlich die Klinke in die Hand. Sie stellen neue Modelle und Konzeptfahrzeuge vor, halten Reden, sind für die Öffentlichkeit schlichtweg sichtbar. Und so ließen es sich weder Daimler-Chef Dieter Zetsche, Renault-Nissan-Vorstand Carlos Ghosn oder Volvo-Präsident Håkan Samuelsson nehmen, auf die Bühne zu treten. Doch einer blieb der nordamerikanischen Autoshow in diesem Jahr fern: VW-Konzernchef Matthias Müller.

Er sagte die Teilnahme an der für die Branche wichtigen Zusammenkunft ab. Die offizielle Erklärung: Das Unternehmen habe kein eigenes Veranstaltungsformat vor Ort, eine Teilnahme erscheine daher nicht notwendig. Abgesehen davon stünden die Messeaktivitäten des Konzerns hinsichtlich ihrer „Effizienz und Wirkung“ auf dem Prüfstand.

Müller dürfte dies durchaus zupasskommen. Erstens: Im vergangenen Jahr war der neue VW-Chef in Detroit ordentlich ins Fettnäpfchen getreten. Hatte er doch in einem Radiointerview gesagt, dass der Abgasskandal ein technisches Problem sei – was so nicht stimmte. Und zweitens klickten erst am vergangenen Wochenende die Handschellen für einen leitenden VW-Angestellten. Er war bei einem Urlaub in Florida vom FBI verhaftet und einem Gericht in Miami vorgeführt worden. Die US-Behörden werfen dem Mitarbeiter die Beteiligung beim Abgasbetrug vor. Der Mann soll in den USA mit Umweltfragen für das Unternehmen betraut gewesen sein. Es war dies die erste Verhaftung einer Führungsperson im Zusammenhang mit dem Dieselskandal. Für kommenden Donnerstag ist nun eine Anhörung geplant.

„Weitere Verschleierungen genehmigt“

Das allein wäre schon brisant genug, doch es kommt noch schlimmer: In den Gerichtsdokumenten zu der Strafanzeige werden schwere Vorwürfe gegen das Management erhoben. Demnach habe die Konzernspitze nicht nur seit Juli 2015 über die Manipulationen Bescheid gewusst, sie soll die zuständigen US-Mitarbeiter auch noch autorisiert haben, den Betrug gegenüber den US-Behörden weiter zu leugnen.

Die Vorwürfe sind zwar nicht neu, doch diesmal stützen sich die Anklagebehörden auf die eidesstattliche Erklärung eines FBI-Agenten und auf Aussagen mehrerer Konzerninsider. Zum Teil wurde diesen zugesagt, keine Strafverfolgung in den USA befürchten zu müssen. „Statt für eine Offenlegung des Defeat Devices (Betrugssoftware) gegenüber der US-Aufsicht einzutreten, genehmigte das VW-Management die weitere Verschleierung“, heißt es in der Klageschrift.

Volkswagen hat stets betont, weder aktive noch frühere Vorstandsmitglieder seien in den Betrug verstrickt. Matthias Müller ist erst seit 25. September2015 Konzernvorstand von VW, zuvor war er Chef der Sportwagentochter Porsche. VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch wiederum war früher Finanzvorstand im Konzern. In Deutschland wird bereits gegen VW-Angestellte und Manager strafrechtlich ermittelt. Anklage gab es dort bisher keine. Erst Anfang November des Vorjahres geriet Pötsch ins Visier der Staatsanwaltschaft Braunschweig. Die Behörde geht dem Verdacht nach, dass VW möglicherweise bewusst verspätet über die finanziellen Folgen des Skandals informierte.

Strafe noch in dieser Woche

Der US-Klageschrift zufolge wurde die Betrugssoftware in den USA bei Dieselfahrzeugen zwischen 2006 bis 2015 eingesetzt. Im Herbst des Vorjahres war der Skandal dann aufgeflogen, nachdem der US-Umweltbehörde Ungereimtheiten aufgefallen waren. Die Software sorgte dafür, dass die Fahrzeuge nur auf dem Prüfstand die entsprechenden Grenzwerte für Stickoxide einhalten. Im Straßenverkehr hingegen waren die Emissionen wesentlich höher als erlaubt. Da die Ingenieure es nicht schafften, striktere Vorgaben hinsichtlich des Schadstoffausstoßes zu erfüllen, hätte man sich dafür entschieden, die Tests mit einer entsprechenden Software zu umgehen. Elf Millionen Autos sind weltweit von dem Dieselskandal betroffen.

Auf eine 16 Mrd. Euro schwere Strafzahlung in den USA hat sich das Unternehmen bereits verständigt. Noch in dieser Woche könnte es zu einem weiteren Vergleich kommen. Diesmal geht es um eine milliardenhohe Geldstrafe wegen des Verstoßes gegen das US-Luftreinhaltegesetz. In Verhandlungen mit dem US-Justizministerium sehe ein Vergleichsentwurf Strafzahlungen in Höhe von rund 4,3 Mrd. Dollar (4,1 Mrd. Euro) vor, teilte VW am Dienstag mit.
Die Verhandlungen seien weit fortgeschritten. Mit der Einigung sollen verschiedene strafrechtliche Untersuchungen sowie zivilrechtliche Bußgeldverfahren beigelegt werden, hieß es.

Einen nachhaltigen Imageschaden aus dem Dieselskandal dürfte das Unternehmen jedenfalls nicht davongetragen haben. Im vergangenen Jahr haben die Deutschen 10,3 Millionen Fahrzeuge verkauft – und sind damit wohl zum größten Autohersteller der Welt aufgestiegen. Der japanische Konkurrent Toyota hat seine Zahlen für 2016 allerdings noch nicht vorgelegt. (ag./nst)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Unternehmen

FBI reicht Betrugsklage gegen VW-Manager ein

Die USA nehmen auch Angestellte von Volkswagen ins Visier. Das FBI hat die Verhaftung eines VW-Managers bestätigt. Der Fall soll bereits in einer Woche in Miami verhandelt werden.
Volkswagen
Unternehmen

"America's love": Volkswagen versucht Comeback in den USA

Nach dem Abgasskandal will der deutsche Autokonzern mit maßgeschneiderten Modellen auf dem US-Markt punkten.
Unternehmen

VW steht offenbar kurz vor Milliardenvergleich mit US-Justiz

Volkswagen will die Auseinandersetzung noch vor Trumps Amtsantritt beilegen. Schon in der kommenden Woche könnte es eine Einigung geben.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.