Tajani ist Favorit für Schulz-Nachfolge

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Der italienische Ex-Kommissar und Berlusconi-Vertraute muss sich einer Kampfabstimmung mit dem sozialdemokratischen Fraktionschef Gianni Pittella stellen. Dieser hat die Große Koalition im Parlament aufgekündigt.

Straßburg. In einer Kampfabstimmung mit Gianni Pittella hätte Antonio Tajani die besseren Karten. Das bestätigte in der vergangenen Woche einer, der noch immer hofft, in diesem Zweikampf um die Nachfolge von Martin Schulz als lachender Dritte übrig zu bleiben: der liberale Guy Verhofstadt. Der EVP-Europaabgeordnete und ehemalige EU-Industriekommissar Tajani gilt als Favorit für das Amt des EU-Parlamentspräsidenten, weil er nicht nur auf die Stimmen der größten Fraktion, der Europäischen Volkspartei (EVP), sondern auch auf Unterstützung bei den eher EU-skeptischen Kräften – etwa der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (ECR) und vor allem auf zahlreiche südeuropäische Abgeordnete hoffen kann.

Der einstige Mitbegründer der Forza Italia und Berlusconi-Vertraute will sich denn auch als unparteiischer Kandidat präsentieren, der mit mehreren Lagern zusammenarbeiten kann. Wird er tatsächlich gewählt, müsste er als Präsident wohl auch weiterhin variable Mehrheiten organisieren. Denn die sozialdemokratische Fraktion (S&D) hat die bisherige Große Koalition aufgekündigt. In den vergangenen Jahren hat die mit 189Abgeordneten zweitstärkste Kraft de facto mit der EVP (217Abg.) und den Liberalen (68Abg.) alle wichtigen Entscheidungen des Hauses beeinflusst. Doch mit dem Abgang von Martin Schulz, dem Architekten dieser engen Zusammenarbeit, ist der Pakt der proeuropäischen Kräfte im Parlament geplatzt. S&D-Chef Gianni Pittella sieht sich an einen schriftlichen Deal mit der EVP und den Liberalen, wonach zur Halbzeit der Legislaturperiode ein Christdemokrat das Amt des Parlamentspräsidenten übernehmen soll, nicht gebunden. Er will selbst dieses Amt übernehmen. In einer Aussprache mit den EVP-Abgeordneten kündigte er sogar an, sollte er nicht Schulz-Nachfolger werden, würde seine Fraktion keinen einzigen EVP-Kandidaten als Vizepräsident des Hauses unterstützen. „Damit bricht das fragile Gleichgewicht im Parlament gänzlich zusammen“, warnt ein EVP-Sprecher.

Am kommenden Dienstag wird der neue Parlamentspräsident in bis zu vier Wahlgängen bestellt. Wobei im letzten Wahlgang nur noch die zwei stimmenstärksten Kandidaten übrig bleiben. Zwar werden mehrere Fraktionen – darunter auch die Grünen – Kandidaten ins Rennen schicken. Neben Tajani und Pittella hat aber eigentlich nur der Fraktionschef der Liberalen, Guy Verhofstadt, noch Chancen, in einer Pattsituation als Kompromisskandidat gewählt zu werden.

Die linke Fraktion und die Grünen werden Tajani nicht unterstützen. Sie kritisieren seine Nähe zu Berlusconi und machen ihn für eine industriefreundliche Politik als Kommissar (2008–2014) verantwortlich. In dieser Zeit, so ihr Vorwurf, habe er trotz erster Hinweise nichts gegen den VW-Abgasskandal unternommen. Viele Liberale würden hingegen nach einem Ausscheiden Verhofstadts eher für Tajani als für Pittella stimmen. (wb)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2017)

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