Die kalte Progression wird auch diese Regierung überleben

Bundeskanzler Kern und Vizekanzler Mitterlehner.
Bundeskanzler Kern und Vizekanzler Mitterlehner.(c) APA/HANS KLAUS TECHT
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Der Jubel über ein Ende der heimlichen Steuererhöhung ist verfrüht. Nur die untersten zwei Steuerstufen werden an die Inflation angepasst.

Es hat gewisse Vorteile, wenn man mit Variablen rechnet. Denn dann ist auch das Ergebnis recht variabel – und man kann es jedem recht machen. Man sieht es jetzt bei der von der Regierung als großen Erfolg verkauften Abschaffung der kalten Progression – also des Effekts, dass jemand nach einer Gehaltserhöhung bzw. einer Inflationsanpassung des Gehalts in eine höhere Steuerstufe rutscht und mehr Steuern bezahlt, weil eben die Steuerstufen nicht an die Inflation angepasst werden. 400 Millionen Euro kassiert der Staat dadurch pro Jahr. Die ÖVP drängt seit Jahren darauf, alle Steuerstufen automatisch an die Inflation anzupassen. Die SPÖ dagegen will keine Automatik und nur die geringen Einkommen entlasten.

Der jetzt erzielte Kompromiss ist für Besserverdiener wenig erfreulich. Zwar wird ab einer Inflation von fünf Prozent automatisch angepasst, womit sich die ÖVP durchgesetzt hat (und bestärkt das dadurch, dass im Koalitionspakt 2.0 der Begriff „automatisch“ in zwei Sätzen drei Mal vorkommt) – allerdings gilt die Automatik, und hier hat sich die SPÖ durchgesetzt, nur für die untersten zwei Einkommensstufen (bis 11.000 bzw. 18.000 Euro im Jahr). Das heißt also: Bei allen Einkommensteilen über 18.000 Euro brutto im Jahr schlägt die kalte Progression wieder voll zu.

Da das für die ÖVP nicht so gut aussieht, hat man gestern Berechnungen ausgeteilt, wie sich die Entlastung auswirkt, würden alle Steuerstufen – nicht nur die ersten zwei – um fünf Prozent angepasst werden. „Abgeltung der kalten Progression bringt eine Milliarde Entlastung“, titelte umgehend die Austria Presse Agentur. Schön wär's. Wie sich die geplante Anpassung der untersten zwei Steuerstufen um fünf Prozent tatsächlich auf höhere Einkommen auswirkt (50.000, 70.000 oder 100.000 Euro brutto im Jahr), konnte das Finanzministerium gestern nicht sagen.

Geplant seit 2015

Der alte Streit über die Anpassung auch der höheren Steuerstufen an die Inflation wird in der Koalition neu prolongiert. Die Regierung verpflichtet sich nämlich zu Erstellung eines „Progressionsberichts“. Dieser Bericht „ermittelt das steuerliche Mehraufkommen aus der kalten Progression“ und die Auswirkungen auf die unterschiedlichen Steuerstufen. Auf Basis dieses Progressionsberichts entscheidet die Politik „über die weiteren Entlastungsmaßnahmen“. Man wird also in einigen Jahren wieder eine ähnliche Debatte haben, wie in den vergangenen Monaten.

Aber die Rechnung für die Anpassung der untersten zwei Steuerstufen beginnt laut Plan ohnehin erst im Jänner 2019. Warum erst 2019? Weil bis dahin die Steuerreform wirke.

Auch eine interessante Berechnung. Denn von der Abschaffung der kalten Progression sprach Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) erstmals im Juli 2015. Damals hoffte er auf eine Einigung mit dem Koalitionspartner 2016 und auf ein Inkrafttreten 2017. Im Oktober 2015 sprach er bereits von einer Abschaffung der kalten Progression „2017 oder 2018“, weil die Steuerreform bis dahin wirke. Im Oktober 2016 hieß es „2018 oder 2019“. Jetzt ist es also 2019 geworden. Eigentlich ist dieser Zeitplan ohnehin ein recht relativer. Denn diese Koalition wird das Ende der kalten Progression zweifellos nicht mehr erleben.

E-Mails an:norbert.rief@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2017)

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