Party, Dinner, Bar: Hauptsache Eskalation!

„The Party“ von Sally Potter.
„The Party“ von Sally Potter.(c) Berlinale/Adventure Pictures Limited 2017
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Auf der diesjährigen Berlinale lassen gleich drei Filme Geselligkeiten ausarten – und auch die knappen Titel erinnern an Vinterbergs „Das Fest“.

Was haben Sie nächstes Wochenende vor? Geben Sie vielleicht ein Dinner? Seilen Sie sich in eine nette Bar ab? Oder schmeißen Sie gar eine Party? Klingt alles sehr verlockend – doch wenn man das Kino befragt, bleiben Sie am besten allein zu Hause, denn Geselligkeiten bergen dort oft unvorhersehbares Katastrophenpotenzial.

Ein Musterbeispiel: Thomas Vinterbergs dänisches Dogma-95-Drama „Das Fest“ (1998). Bei der Geburtstagsfeier eines alten Hotelmagnaten kehrt sein Sohn den lange verdrängten Kindesmissbrauch des Vaters unter dem Teppich hervor und bringt so sämtliche Familienfassaden zum krachenden Einsturz. Der melodramatische, aber intensive und gut gespielte Film begründete Vinterbergs Karriere – und lieferte zugleich die Blaupause einer Eskalationsdramaturgie, auf die seither immer wieder zurückgegriffen wird, mit durchwachsenen Ergebnissen.

Auf der Berlinale schlugen gleich drei Filme in die „festliche“ Kerbe, und das nicht nur dem Namen nach: „The Party“, „The Dinner“ und „The Bar“ stecken ihre Ensembles in soziale Schwitzkästen (feierliche Zusammenkünfte oder beengende Räumlichkeiten) und sehen dann zu, wie die Verhaltensnormen aus dem Leim gehen. „The Party“ von Sally Potter (bekannt für die Virginia-Woolf-Adaption „Orlando“) ist das trivialste Mitglied dieses Trios: Ein bürgerliches Boulevardstück in Schwarz-Weiß, kurz und kurzweilig, aber ohne Biss. Es will ein „Gott des Gemetzels“ sein, schafft es aber nicht einmal vor die Tore des Pantheons.


Eine müde Farce. Berufspolitikerin Janet (Kristin Scott Thomas) möchte ihre Ernennung zur Gesundheitsministerin feiern und ruft den engsten Kreis zu sich: die abgeklärte Freundin (Patricia Clarkson), deren esoterisch angehauchten Partner (Bruno Ganz) und ein lesbisches Paar (Cherry Jones und Emily Mortimer). Irgendwie verirrt sich auch ein nervöser Banker in die Wohnung (Cillian Murphy). Zunächst üben sich alle in Höflichkeit, doch als Janets apathischer Ehemann, Bill (Timothy Spall), seine unheilbare Erkrankung verkündet, scheint der Boden für Bekenntnisse gelegt – und die freundlichen Hüllen fallen. Das Großdarstelleraufgebot kann die müde Farce nicht retten, weil sie nie weit genug geht. Statt echter Bosheit setzt es Schmalspursticheleien – wohl auch, um das Zielpublikum nicht zu vergraulen. Am witzigsten ist noch Ganz als tiefenentspannter Möchtegern-Streitschlichter.

„The Dinner“ von Oren Moverman, eine Bestsellerverfilmung, nimmt sich wesentlich mehr vor als Potters Divertissement – viel zu viel, um genau zu sein. Beim Familientreff im Nobelrestaurant müssen sich zwei entfremdete Brüder zusammenraufen, weil ihre Teenagersöhne ein Verbrechen begangen haben. Noch weiß niemand davon. Die Frage ist: Vertuschung oder Verantwortung? Stan, der Kongressabgeordnete (Richard Gere), will seine Moralprinzipien nicht über Bord werfen, der angeknackste Ex-Lehrer Paul (Steve Coogan) hingegen hat den Glauben an die Menschheit („Lauter Affen mit Handys!“) längst verloren und denkt nur an die Zukunft seines Jungen. Der Konflikt spitzt sich zu, aber statt sich auf das Kerndilemma zu konzentrieren, schweift der Film ab, ergeht sich in Rückblenden und bizarren Stilschnörkeln, etwa einem Fiebertraum über die Schlacht von Gettysburg – denn es geht hier auch um Politik, die Nationalseele und ähnlich große Themen. Im Versuch, sämtliche Elemente unter ein Dach zu bringen, scheitert Moverman zwar nicht gerade grandios, aber zumindest halbwegs interessant.

Álex de la Iglesia „El bar” bleibt erfreulicherweise bei den Basics: Beim Verlassen eines Lokals in Madrid wird ein Mann erschossen. Ein anderer eilt zu Hilfe – und stirbt ebenfalls. Die Verbliebenen geraten in Panik, zumal die Polizei sich nicht blicken lässt: Vielleicht eine Verschwörung? Oder ein Terrorist in ihrer Mitte? Die Bardame versucht zu beruhigen: „Wir sind hier alle Menschen.“ Doch genau darin liegt das Problem. Dass das Konzept des Films keiner Nahbetrachtung standhält, kümmert nicht: Wie schon in seinen früheren Arbeiten interessiert sich de la Iglesia weniger für Plotmechanik als für das schwarzhumorige Grausamkeitstheater von Durchschnittstypen unter Druck. Da mutiert der nette Barthipster von nebenan zum notgeilen Aggressor, da darf ein Obdachloser (großartig: Jaime Ordóñez) seine lang verdiente Rache an der Gesellschaft nehmen. Am Ende sitzen alle (buchstäblich) in der Scheiße. Das ist krass, aber konsequent – und Konsequenz ist genau das, was den Wettbewerbsbeiträgen „The Party“ und „The Dinner“ fehlt. Also ab in die Bar!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.02.2017)

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