E-Autos, Carsharing: Industrie im Umbruch

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Eine Rekordmeldung jagt die andere: Heuer erwartet die Autoindustrie einen weltweiten Absatz von etwa 85 Millionen Pkw. Doch der Rekord ist teuer erkauft – und steht auf sehr wackeligen Beinen.

Es ist fast schon peinlich und erinnert ein wenig an einen alternden Junggesellen, der verzweifelt eine Ehefrau sucht: Kaum ein Monat vergeht, an dem sich Sergio Marchionne nicht irgendwem anbietet. Lange Zeit wollte der Fiat-Chef sein Unternehmen mit General Motors fusionieren. Vergangene Woche suchte er sich Volkswagen aus und sprach über die Vorzüge, die ein gemeinsamer Konzern hätte. VW-Vorstandschef Matthias Müller wies die Avancen auf der Genfer Automesse brüsk zurück: „Ich bin für nichts gesprächsbereit, ich kümmere mich um VW, ich kümmere mich doch nicht um Fiat.“ Die Partnersuche Marchionnes geht also weiter.

Aber eigentlich verfolgt der Herr über Fiat, Lancia, Alfa Romeo, Ferrari, Maserati, Chrysler, Jeep und Dodge mit seinem Werben eine Zukunftsstrategie. Wohin der Weg für die Autoindustrie geht, hat bereits das Zusammengehen von Opel und der französischen PSA-Gruppe (Peugeot, Citroën, DS) gezeigt: Langfristig werden nur die wirklich Großen überleben.


Wachstum in Asien. Derzeit jubelt die Industrie. Der Weltverband der Automobilhersteller (OICA, 39 Mitglieder) vermeldete für vergangenes Jahr einen weltweiten Absatz von 93,9 Millionen Fahrzeugen (Pkw, Busse, Nutzfahrzeuge). Im heurigen Jahr soll allein der Pkw-Markt auf 85 Millionen Fahrzeuge wachsen, ungefähr drei Prozent mehr als noch 2016.

Doch dieser Rekord ist teuer erkauft und steht auf wackeligen Beinen. Die Absätze in Europa holt man sich mit massiven Preisnachlässen, die Tageszulassungen, die auch zum Schönen der Statistik dienen, liegen konstant hoch. Die weltweite Krise 2008/2009 wirkt weiterhin nach, der Markt erholt sich nur langsam.

In den USA, Kanada und Mexiko ging es deutlich rascher, vor allem die US-Amerikaner kaufen wieder Neuwagen. Südamerika dagegen steckt in der Krise fest. In Brasilien, dem wichtigsten Markt, sind die Verkäufe im vergangenen Jahr um knapp ein Viertel eingebrochen. Seit 2013 hat sich die Autoproduktion in dem Land fast halbiert, von rund 3,7 Mio. Fahrzeugen auf 1,9 Mio. Einst war Brasilien der viertgrößte Automarkt der Welt, aktuell hält man Platz neun.

Der große Hoffnungsmarkt der Automobilhersteller ist und bleibt Asien, wo man in den vergangenen zwölf Jahren eine kontinuierliche Wachstumsstory schrieb. Die Absätze haben sich seit 2005 mehr als verdoppelt und auch im vergangenen Jahr legte man wieder deutlich zu.

Die Nachfrage kann trotzdem nicht mit der Produktion, vor allem in Europa, mithalten. In Studien sprechen Experten von einer Überkapazität von etwa 20 Millionen Fahrzeugen. Das ist zusammengenommen ungefähr das, was PSA, Suzuki, Honda, Fiat und Ford im Jahr 2015 produzierten. Sergio Marchionne ist mit seiner Suche nach einem Partner also auf dem richtigen Weg, weil es in den kommenden Jahren eine gewaltige Marktbereinigung wird geben müssen.

Ein Grund dafür ist unter anderem die wachsende Beliebtheit von Carsharing. Gerade in den Städten werden immer weniger Autos gekauft – so die Jungen überhaupt noch einen Führerschein haben. Auch das ist mittlerweile keine Selbstverständlichkeit mehr. Zum Trend zum Carsharing kommen die Elektroautos, die für die Hersteller einen unangenehmen Nebeneffekt haben: Sie sind weniger reparaturanfällig und haben wegen des Mangels an beweglichen Teilen ein deutlich geringeres Serviceintervall. Damit bricht der profitable Service- und Ersatzteilmarkt ein.


VW kooperiert mit Tata.
Vielleicht lehnte VW-Chef Müller die Annäherungsversuche von Fiat auch deswegen ab, weil im Hintergrund bereits eine andere Allianz geschmiedet wurde. Ende vergangener Woche gab VW bekannt, dass man eine langfristige Partnerschaft mit dem indischen Autobauer Tata Motors (besitzt auch Jaguar und Land Rover) ausloten will. Ziel sei es, bei der Entwicklung ganzer Fahrzeuge zusammenzuarbeiten.

VW versucht mit dieser Allianz, in den Schwellenländer Fuß zu fassen, wo noch Wachstum möglich ist – und dafür braucht man billige Autos. Tata hat das Know-how dafür, VW kann die Autos effizient bauen. Die Deutschen haben große Erfolge mit ihrem sogenannten modularen Querbaukasten, der Plattform für viele Fahrzeuge ist. Konkret bauen 43 Modelle von Audi, Seat, Škoda und VW – vom Audi A3 bis zum VW Tiguan – auf diesem Querbaukasten auf.

Apropos Wandel zum E-Auto: Noch ist der Diesel auch bei Verkehrsminister Jörg Leichtfried beliebter. Im Elektrogolf hat Leichtfried seit Sommer 2016 gerade einmal 3504 Kilometer zurückgelegt. In seinem Diesel-BMW waren es allein in einem halben Jahr 37.000 Kilometer.

Steckbrief

85 Millionen Pkw sollen heuer weltweit verkauft werden, schätzt der Weltverband der Automobilhersteller.

VW
ist trotz des Dieselskandals im vergangenen Jahr der größte Autohersteller der Welt gewesen. Die Deutschen setzten 10,2 Millionen Fahrzeuge ab. Der ewige Rivale Toyota landete auf Platz zwei.

China ist das Land, in dem die meisten Fahrzeuge hergestellt werden. 2016 waren es 28,1 Millionen Pkw, Lkw und Busse.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2017)

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