Ein Freund der Revolution

Rewe-International-Chef Frank Hensel kann sich nicht vorstellen, sich auf einen Deal mit Amazon einzulassen.
Rewe-International-Chef Frank Hensel kann sich nicht vorstellen, sich auf einen Deal mit Amazon einzulassen. (c) Clemens Fabry
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Rewe-Chef Frank Hensel will nicht wie das "Karnickel auf die Schlange Amazon" starren. Am Ende würden nur der Kunde und die Bereitschaft zählen, Neues zu probieren.

Wien. Wenn Frank Hensel von technologischem Fortschritt spricht, fällt schnell der Satz: „Es ist nichts mehr unmöglich.“ Mit Spar-Chef Gerhard Drexel teilt sich der gebürtige Ostdeutsche, der die Rewe International mit Marken wie Merkur, Billa, und Adeg seit 2008 leitet, rund zwei Drittel des österreichischen Lebensmittelhandels.

Eine Zukunftsvision für diesen Markt teilen die zwei aber dezidiert nicht. Drexel lancierte vergangenen Herbst seinen Internetshop – mit der Anmerkung, dass das Onlinegeschäft mit Lebensmitteln überschätzt werde. Billa hingegen startete seinen im Jahr 1999.

Das kann sich Frank Hensel, der in ebendiesem Jahr erst von Mitbewerber Spar zur Rewe-Gruppe gewechselt ist, freilich schwer persönlich auf die Fahnen heften. Einen gewissen Pioniergeist hat er aber zweifellos beibehalten: „Man muss an allem dran sein – ohne dass ich weiß, ob es sich in der Praxis umsetzen lässt und vielleicht auch noch rentabel ist.“ Von der Rentabilität des Onlineshops sei Rewe trotz der längeren Anlaufzeit ebenso entfernt wie Spar, diagnostiziert Handelsforscher Peter Schnedlitz.

Unbegrenzte Möglichkeiten

Das Finanzielle hat bei diesem Versuch für Hensel anscheinend auch keine Priorität. Der olympische Gedanke „Dabei sein ist alles“ klingt stark durch, wenn Hensel von Digitalisierung spricht. „Wir haben nahezu unbegrenzte Möglichkeiten. Nur die Gefahr, dass man am Ende zu den Verlierern zählt, weil man den Anschluss verpasst, ist auch höher als bei anderen Revolutionen.“ Es klingt wie eine Warnung an die Händlerkollegen. Hensel attestiert seiner Branche zu wenig Bereitschaft, Neues zu probieren.

Er selbst will sich nicht als Getriebener der Internetindustrie sehen. Um Amazon, das mit seinem Lieferservice für frische Lebensmittel, Amazon Fresh, schon seit einigen Monaten vor Österreichs Grenzen mit den Säbeln rasselt, herrsche zurzeit ein Hype. „Aber am Ende kochen sie auch mit Wasser und beobachten die Märkte.“ Dass der Onlineriese früher oder später seine Ankündigung wahr macht und ins Land kommt, steht für den Rewe-Chef außer Frage. „Davor sollte man aber keine Angst haben und nicht wie das Karnickel auf die Schlange starren.“

Wenn sich sein Konzern auf etwas konzentrieren müsse, dann nur auf den Kunden. Von den klassischen Hausfrauen, die einmal pro Woche einen Einkaufszettel schreiben und ihn beim Billa abarbeiten, gebe es immer weniger. Sie würden von den jungen Spontankäufern abgelöst, die am ersten Tag indisch essen, am zweiten fasten und sich am dritten vegan ernähren wollen. Das Einzige, das er mit Sicherheit wisse: „Es gibt nicht den Online- oder den Offlinekunden, sondern einen, der sich bedient, wie es ihm passt.“ Darauf würden mittlerweile auch die großen Internethändler reagieren und Kooperationen mit klassischen Innenstadtgeschäften eingehen. Ob er sich selbst auf einen Deal mit Amazon einlassen würde? „Ich wäre vorsichtig, wenn Amazon den Vorschlag macht, mit uns zu kooperieren. Ich glaube, dass er immer Eigeninteressen in den Vordergrund rückt und der Juniorpartner nicht gut dabei aussteigt.“

„Globalisierung nicht schlecht“

Inmitten der Digitalisierung und Globalisierung beobachtet der Rewe-Chef den Gegentrend zur Regionalität. „Je weniger greifbar die Dinge werden, desto mehr orientiert sich der Mensch an seinem nahen Umfeld. Globalisierung per se ist aber nichts Schlechtes.“ Ein Händler, der gegen Freihandel ist, ist für Hensel ein Paradoxon. Von der Anti-Ceta-Kampagne seines Branchenkollegen Gerhard Drexel distanziert er sich. „Wir sind nicht an der Polarisierung des Konflikts interessiert.“ Die Diskussion sei für ihn nicht ehrlich, da auch bei den vehementen Freihandelsgegnern internationale Produkte in den Regalen stehen.

„Als Grundprinzip gilt: Im Handel darf es nicht nur einen Gewinner geben.“ Mit dem heutigen Ceta-Vertrag sieht er das gewährleistet. Die Geheimniskrämerei der EU-Kommission gehöre der Vergangenheit an und die Politik stehe in ihrer Ablehnung von Schiedsgerichten oder niedrigen Lebensmittel- oder Hygienestandards heute geschlossen da. „Und TTIP ist kein Thema mehr“, fügt er hinzu.

Sollte es eines Tages in Handelsfragen wieder zur Annäherung mit den USA kommen, wird Frank Hensel nicht mehr an der Spitze der Rewe International stehen. Mitte 2018 nimmt er nach gut zehn Jahren als Vorstandsvorsitzender den Hut. Über seine Nachfolge in Wiener Neudorf oder seine nächsten Karrierestationen bewahrt die Kölner Zentrale Stillschweigen. Hensel hält sich knapp: „Zurückblicken liegt mir nicht so – eher, nach vorn zu schauen.“

VERANSTALTUNGSHINWEIS


„Wirtschaft Wissenschaft Unplugged“
ist eine Kooperation von „Presse“, WU und Erste Group. Am 15. März (18 Uhr) diskutieren auf dem Campus WU Rewe-International-Chef Frank Hensel und Handelsforscher Peter Schnedlitz über „360° Handel – Perspektiven auf den Marktplatz der Zukunft“.

diepresse.com/unplugged

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.03.2017)

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