Deutsche Bahn: Die 850 Baustellen des Richard Lutz

Richard Lutz, bisher Finanzvorstand, soll Rüdiger Grube als neuer Deutsche-Bahn-Chef folgen.
Richard Lutz, bisher Finanzvorstand, soll Rüdiger Grube als neuer Deutsche-Bahn-Chef folgen.(c) APA/AFP/JOHN MACDOUGALL
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Die Deutsche Bahn hat einen neuen Chef – und alte Probleme. Auf den neuen Vorstandsvorsitzenden Richard Lutz (52) wartet eine Herkulesaufgabe: Ein Milliarden-Investitionsprogramm und ein schwächelnder Güterverkehr.

Berlin. Alle möglichen Namen geisterten durch Berlin, wer nun in die Chefetage des gläsernen Hochhauses am Potsdamer Platz einziehen würde, dem Sitz der Deutschen Bahn. Würde es ein Externer, vielleicht Siemens-Manager Siegfried Russwurm? Oder doch der ehemalige Kanzleramtschef von Angela Merkel Ronald Pofalla? Es raschelte im deutschen Blätterwald. Der Name Richard Lutz aber fiel selten bis nie. Nun sickerte durch, dass der 52-jährige Pfälzer, schon jetzt Interimschef, zur Dauerlösung werden soll. Am 22. März dürfte Lutz offiziell zum Vorstandsvorsitzenden gewählt werden – und damit zum Erben von Rüdiger Grube, der am Tag seiner geplanten Verlängerung als Bahnchef nach einem Streit über die Vertragslaufzeit plötzlich hingeschmissen hatte.

„Verwaltung des Status quo“

Im Rückblick macht die Kür des bisherigen Finanzvorstands Lutz durchaus Sinn angesichts des Anforderungsprofils, das sich in den letzten Wochen herausgeschält hatte: In einem internen Papier sollen mehrere Aufsichtsräte der Arbeitnehmerseite „einen Kenner des Einsenbahnbetriebs“ verlangt haben. Lutz, den Eisenbahnersohn aus der Pfalz, zog es 1994 direkt von der Universität zum Staatskonzern Deutsche Bahn. Zweitens musste der neue Mann schnell verfügbar sein. Und Lutz war schon da. Drittens gab es Widerstände gegen einen politischen Bahnchef. Also gegen Pofalla. Vor allem die SPD sträubte sich gegen den ehrgeizigen Infrastrukturvorstand. Lutz, der Betriebswirt, soll auch fachlich der beste Kandidat gewesen sein, zitierte das „Handelsblatt“ aus der Großen Koalition, die den Vorstand nun weiter umbauen will. Auch hier zählt Russwurm zu den Kandidaten.

Die Grünen indes empörten sich über die Chefwahl: Lutz seit 23 Jahren bei der Bahn, stehe für die „Verwaltung des Status quo“. Der Neue erbt viele Baustellen. Zunächst im Wortsinn. Neue Gleise, Signale, Weichen: Die Deutsche Bahn pumpt heuer 7,5 Milliarden Euro in die Infrastruktur. An bis zu 850 Baustellen soll jeden Tag gearbeitet werden. Aber vor allem verließ Grube die Bahn inmitten des Reformprojekts mit dem spröden Titel „Zukunft Bahn“, das im Schreckensjahr 2015 eingeleitet wurde. Damals war der Konzern mit seinen 300.000 Mitarbeitern in 130 Ländern zum ersten Mal seit Jahren in die tiefroten Zahlen gerutscht. 2016 fuhr die Bahn wieder in die Gewinnzone.

Aber noch ist nicht alles auf Schiene. Schon gar nicht im Güterverkehr, der sich zusehends auf die Straße verlagert: Die seit Jahren defizitäre Tochter DB Cargo lastet deshalb schwer auf dem Staatskonzern. Im Vorjahr schrumpfte ihr Umsatz weiter um knapp vier Prozent auf 4,6 Mrd. Euro, und das obwohl das Transportvolumen in Deutschland einen neuen Rekordstand erreicht hat. Nur eben nicht auf der Schiene. Das mag auch daran liegen, dass der Schienengüterverkehr in Punkto Digitalisierung der Konkurrenz auf vier Rädern hinterherhinkt. Der Lkw ist die flexiblere, günstigere Alternative, wenn auch nicht die umweltfreundlichere. Also springt Berlin ein: Die Regierung will die Trassenpreise senken, die Schiene wieder attraktiver machen. Auch ein Sanierungsprogramm für DB Cargo ist paktiert. Bis 2021 sollen rund 2000 Stellen abgebaut werden. Den neuen Chef wird wohl auch das Langzeitprojekt Stuttgart 21 begleiten sowie die Fernbus-Konkurrenz und die Frage nach der Zukunft der Konzerntöchter Arriva und DB Schenker, deren 2016 geplante Börsengänge nach dem Brexit-Votum abgesagt wurden.

Aber es gab zuletzt eben auch Fortschritte: Die ICE-Züge etwa bieten in der Zweiten Klasse kostenlos W-Lan, die imageschädliche Unpünktlichkeit bekam die Bahn besser in den Griff: 2016 rollten im Fernverkehr 78,9 Prozent der Züge nach Fahrplan (2015: 74,4 Prozent). Wobei sich das im Baustellenjahr 2017 wieder ändern könnte.

AUF EINEN BLICK

Führungswechsel. Richard Lutz soll am 22. März zum neuen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn (DB) gewählt werden. Der 52-Jährige Betriebswirt ist seit 1994 im Konzern und seit 2010 im Vorstand, zuletzt zuständig für Finanzen. Seit dem Rücktritt von Rüdiger Grube hatte er den Vorstand interimistisch geführt. Einem Bericht der Zeitung „Die Welt“ zufolge ist zudem Siegfried Russwurm als Technikvorstand vorgesehen. Der scheidende Siemens-Manager war als aussichtsreicher Kandidat für den Bahnchef-Posten gehandelt worden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2017)

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