Die ausgelassenen Abgesänge auf den Populismus kommen zu früh

Niederlage für Geert Wilders (links).
Niederlage für Geert Wilders (links). REUTERS
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In den Niederlanden hielt sich der Wahlerfolg für Geert Wilders in Grenzen. Doch es wäre übertrieben, daraus einen europaweiten Trend herauszulesen.

In Europas Regierungszentralen, von Brüssel über Paris bis Berlin, breitete sich noch in der Wahlnacht geradezu Enthusiasmus über den Wahlausgang in den Niederlanden aus. Diese Mischung aus Erleichterung und Euphorie verriet indes die Nervosität vor dem Trend zum rechtspopulistischen Furor und der Protestwelle, die im Vorjahr die westliche Welt bis nach Österreich erfasst hatten. Brexit, Trump, Wilders, Le Pen: Die Schwarzmaler hatten in linearer Entwicklung ein Bild skizziert, wie es Hieronymus Bosch, der niederländische Meister der Apokalypse, als Menetekel für die EU und die Eliten nicht furchterregender hätte entwerfen können.

Der Hype war groß, die Entwarnung nun umso größer. Das Schreckgespenst des „holländischen Trump“ sei gebannt, die Deiche in den Niederlanden hätten gehalten, das Horrorszenario eines Nexit – eines Ausstiegs aus EU und Euro – sei abgewendet, so lautete der Tenor. Peter Altmaier, der Adlatus Angela Merkels, verfiel gar ins Holländische, um die Nachbarn als „Champions“ der Demokratie zu feiern. Ein Jubelchor aus Konservativen und Sozialdemokraten stimmte in den Lobgesang über das „Fest der Demokratie“ ein, von dem ein proeuropäisches Signal ausgehe.

Die Stimmung kippte von einem Extrem ins andere. Bei nüchterner Betrachtung taugt die Wahl in einer der EU-Gründernationen, in der die Sympathie für Europa immer noch tief verwurzelt ist und in der die Wirtschaft wieder angezogen hat, jedoch nur begrenzt als Votum mit Symbolcharakter, zu dem es die Proeuropäer von Angela Merkel bis Emmanuel Macron jetzt stilisieren. Zu zersplittert und kleinteilig ist das niederländische Parteiensystem, als dass die Wahl, in der sich ein grüner „Jessias“ alias Jesse Klaver mit gerade einmal neun Prozent als insgeheimer Gewinner fühlen durfte, eine scharfe Trendwende markieren könnte, wie dies Mark Rutte und seine EU-Konsorten postuliert haben.

Der Regierungschef kann sich zunächst einmal selbst auf die Schulter klopfen. In dem medial herbeigeschriebenen Duell rang Rutte seinen Herausforderer Geert Wilders mit treffsicher gesetzten Pointen nieder, indem er sich mit Geschick und Entschlossenheit als Staatsmann inszenierte, der den Krawallmacher vom rechten Rand in die Schranken wies. In der irrwitzigen Eskalation der diplomatischen Krise mit der Türkei, die Präsident Erdoğan mit immer absurderer Rhetorik befeuerte, traf Rutte nicht nur den richtigen Ton, sondern bewies auch das Gespür für eine Politik, die sich nicht aus falsch verstandener Toleranz und Liberalität alles von Ankara diktieren lässt. Die Konfrontation mit Erdoğan nutzte am Ende weniger Wilders, der neuerlich auf einen Krieg der Worte aus war, als vielmehr dem gemäßigten Premier.

Für „Henk und Ingrid“, die von Wilders zitierten Durchschnittsholländer, ist dessen Rhetorik dann doch zu schrill und radikal. Seit Donald Trump in Washington regiert, hat die Lust der Holländer an einem „Dutch Donald“ in Den Haag ohnehin markant nachgelassen. Der jähe Aufstieg Pim Fortuyns, des rechtspopulistischen Avantgardisten, ließ in den Niederländen zwar manche Dämme brechen. Doch eine Regierungsrolle ist für Geert Wilders in der Konstellation der niederländischen Demokratie, die eine Mehrparteienallianz fast zwingend vorschreibt, nicht vorgesehen.

So gesehen war ein Premier Wilders nur ein Popanz. Er gilt zwar als Umfragechampion, seine Funktion ist aber die des Bad Cop. Viele sehen in dem Exzentriker den geborenen Oppositionspolitiker, der die etablierten Parteien mit seinen Parolen anstachelt. Seine Forderungen sind abgeschwächt in den Mainstream eingegangen. Von Premier Rutte abwärts variieren viele seine populistische Politik gegen Migranten und Flüchtlinge in einer Wilders-light-Version.

Angesichts von „nur“ 13 Prozent, die Wilders Freiheitspartei erzielte, fielen die Gratulationen aus Europas rechter Ecke schaumgebremst aus. Die Probe aufs Exempel findet bei den Präsidentenwahlen in Frankreich statt: Marine Le Pen hat ein viel größeres Wählerpotenzial als Wilders und die Wahl eine weit größere Sprengkraft. In Paris steht im Frühjahr das Schicksal Europas auf der Kippe, und das Spiel der Krawallmacher gegen Angstmacher geht von vorn los.

E-Mails an: thomas.vieregge@diepresse.com

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