Mit Sokrates bis zur bitteren Neige

(c) Georg Soulek / Burgtheater
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Stephan Müller hat zwei große Dialoge von Platon in Szene gesetzt. Fünf Herren versuchen, "Das Gastmah" und "Phaidon" zu spielen. Höchst anspruchsvoll.

Die Einladung zu „Platons Party“ haben einige Gäste bei der Premiere am Samstag im Kasino des Burgtheaters am Schwarzenbergplatz wörtlich verstanden und sich Wein, Bier oder Softdrinks auf die lang gestreckte Tribüne mitgenommen. Angesagt ist die Inszenierung von zwei Dialogen des griechischen Philosophen Platon, der seit ungefähr 2400 Jahren die Welt mit raffiniertesten, dialektisch aufgebauten Texten in Erstaunen versetzt. Da kann das Publikum auf jeden Fall a priori eine Stärkung für die zwei Stunden brauchen.

Man sitzt also vor einem Bühnenbild von Claudia Vallant, das wie ein Loch in der Realität aussieht – eine ausgefranste Mauer (siehe Foto). Ist das der Eingang zu einer Höhle? Zu jener aus dem berühmten Gleichnis in Buch 7 von Platons „Der Staat“? In ihm wird Welterkenntnis so ideal relativiert, dass man nicht anders kann, als dem abgeklärten Denker Sokrates zuzustimmen: „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ (Um die Öffnung herum werden hier später wie auf einem fragmentarischen Screen ergänzende Videos gezeigt, Szenen mit surrealen Körperteilen.)

„Politeía“ also? Aber nein, es kommt anders. Fünf Herren in Smokings tänzeln zu Techno-Musik herein, machen Ausdruckstanz, berühren einander zuweilen zärtlich und beginnen einen höchst anspruchsvollen Redewettbewerb. Erörtert werden zwei Überthemen, Eros und Tod, anhand zweier weltberühmter Dialoge, die sich bei diesen so elementaren bzw. letzten Dingen sinnvoll ergänzen: „Symposion“ und „Phaidon“.

Zuerst, im „Gastmahl“, steigern sich hier fünf Männer in aberwitzige Überlegungen zur Liebe in ihren sinnlichen wie auch übersinnlichen Formen hinein. Im zweiten Dialog geht es (nach der Pause) um den Tod des Sokrates, der zentralen Figur in den Dialogen seines Schülers Platon. Sokrates erhielt von Athen die Kapitalstrafe, weil er „die Jugend verderbe“. In Phaidon nimmt er dieses Todesurteil auf sich und trinkt den giftigen Schierlingstrank. Von Eros zu Thanatos. Zuvor erörtert er mit Freunden das Wesen der Philosophie, die Unsterblichkeit der Seele.

Wie kann man diese Dialoge umsetzen? Der Schweizer Regisseur Stephan Müller ist anspruchsvoll, er verlässt sich vor allem auf den schwierigen Text (in seiner mit Karl Heinz Ott erstellten Fassung). Dieser Abend erfordert hohe Konzentration und wohl auch Vorbereitung. Dann aber ist er erkenntnisreich, aufgelockert durch Tanz, Posen und Videos als Zierrat sowie chorischen Passagen.

Am Ende eine Überforderung

Im „Symposion“ eröffnet Daniel Jesch als Arzt Eryximachos die Debatte über Eros quasi mit Vernunftgründen. Als Aristophanes (der Dichter, der sich in seiner Komödie „Die Wolken“ über Sokrates lustig machte) erzählt Hermann Scheidleder gallig den Mythos vom kugeligen menschlichen Doppelwesen, das die Götter trennten, das nun aus zwei sehnsüchtigen Hälften besteht. Merlin Sandmeyer spielt den Schönling Agathón gestelzt, Michael Masula den herrischen Alkibíades, der die Party sprengt, mit Verve und etwas Pathos. Immer im Zentrum, die Fäden geschickt spinnend: der listenreiche Sokrates, der beim Denken hilft – eine beachtliche rhetorische Leistung von Martin Schwab.

Im „Phaidon“ (hier nicht mehr im Bild der Höhle, sondern im Gefängnis, einer Art Turnsaal) erläutert Sokrates den Thebanern Simmias und Kebes (Jesch und Sandmeyer) Transzendenz. Längst sind die drei dazu übergegangen, Passagen aus dem Textbuch herauszulesen. Das könnte bedeuten: Alles indirekt vermittelt. Oder: Letztlich hat Platon selbst diese tollen Darsteller überfordert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2017)

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