„Seite an Seite als Freund Israels“

Kanzler Kern zu Besuch bei altösterreichischen Emigranten in Jerusalem.
Kanzler Kern zu Besuch bei altösterreichischen Emigranten in Jerusalem.(c) APA/BKA/ANDY WENZEL
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Christian Kern bekennt sich in Jerusalem zu Österreichs Mitverantwortung für den Holocaust. Dabei erzählt er eine Episode, die sich in seine Familiengeschichte eingebrannt habe.

Jerusalem/Ramallah. Zwi Nigal – stramme Haltung, makelloses Wiener Deutsch, flinke und freundliche Augen – blickt zurück. Vor 78 Jahren musste er Wien verlassen. Da hieß der Sohn einer jüdischen Eisenbahnerfamilie noch Hermann Heinz Engel und ging ins Gymnasium in der Zirkusgasse.

Die Nazis zerstörten seine Jugend. Im Jänner 1939 flüchtete der Schüler nach Israel. Allein. Sein Vater starb in einem KZ. Seine Mutter kam erst nach einem fünfjährigen Zwangsaufenthalt in einem britischen Lager auf Mauritius ins Gelobte Land nach. Zwei Jahre lang arbeitete Nigal zunächst mit anderen Jugendlichen in einem Kibbuz. Mit 18 trat er in die britische Armee ein, in der er im Zweiten Weltkrieg als Infanterist in Italien focht. Der Krieg endete für ihn in Tarvis an der Grenze zu Kärnten.

1946 kehrte er nach Wien zurück, als britischer Soldat. Doch in Wien wollte er nicht mehr leben. Er schloss sich der Hagana an, kämpfte 1948 im israelischen Unabhängigkeitskrieg. Insgesamt 27 Jahre diente Zwi Nigal als Soldat, wechselte später in die Industrie.

„Die Berge können ja nix dafür“

Jetzt sitzt der 94-Jährige an einem mit Papierbechern und -Tellern gedeckten Tisch im Klubraum der österreichischen Pensionisten in der Schalom-aleichem-Straße in Jerusalem und wartet auf Kanzler Christian Kern. Rund 30 Holocaust-Überlebende haben sich versammelt. Früher kamen mehr zu solchen Veranstaltungen. Doch die letzten Zeitzeugen sterben aus. Nur noch geschätzte 800 Altösterreicher leben in Israel.

Nomi Meron kauert in einem Rollstuhl, an der Brust der 93-Jährigen ein rot-weiß-rotes Verdienstzeichen. Mit 14 musste sie in Wien vor johlenden Nazis den Gehsteig putzen. Doch die Musikerin hat sich ausgesöhnt mit Österreich. „Die Berge können ja nichts dafür“, sagt sie. Auch Zwi Nigal kommt mittlerweile gern nach Wien.

Kern schüttelt jedem von ihnen die Hand. Er scheut den Kontakt nicht, er sucht ihn. Das Treffen scheint ihm ein Anliegen zu sein. Und dann erzählt er eine Episode, die sich eingebrannt habe in die Geschichte seiner Familie. Seine Großmutter habe als Haushälterin für eine jüdische Familie in Wien-Favoriten gearbeitet. Sie habe auch noch für ihre Dienstgeber gekocht, als die sich auf dem Dachboden vor den Nazis versteckten. Kerns Mutter, damals vielleicht 13 Jahre alt, habe den zwei Verfolgten oft das Essen gebracht. Noch heute, mit 89, erinnere sie sich, wie die Gestapo die zwei letztlich abgeholt habe. Sie seien nie wieder aufgetaucht.

Persönliches Band ins Dunkel

Dieselbe Anekdote erzählt Kern einige Stunden früher Israels Staatspräsidenten, Reuven Rivlin. Damit knüpft er auch ein persönliches Band zurück ins dunkelste Kapitel österreichisch-jüdischer Geschichte. Nach langen Jahren der Leugnung übernehme Österreich die Verantwortung. „Wir werden alles unternehmen, um die Erinnerung wach zu halten“, sagt Kern. Denn das sei auch entscheidend, in welcher Gesellschaft die nächste Generation lebe. Und wenn der Antisemitismus, wie zuletzt vermehrt, sein hässliches Haupt erhebe, werde Österreich seinen jüdischen Mitbürgern immer beistehen.

Es ist eine unzweideutige Botschaft, die Kern überbringt. Und er schreibt sie auch ins Empfangsbuch des israelischen Staatsoberhaupts: „Wir stehen Seite an Seite als ein wahrer Freund Israels.“

Rivlin erinnert in seinem Begrüßungsstatement noch an ein anderes Familienband, das Kern mit Israel verbindet: An seine Frau Eveline, die ein Start-up-Unternehmen in Tel Aviv gegründet hat. Einige innovative Firmen will Kern heute Montag besichtigen. Das Delegationsgespräch mit Rivlin dreht sich in einer Art Tour d'horizon um die Krisenregion des Nahen Ostens. Die jüdischen Siedlungen in den besetzten Gebieten streift Kern nur, er will das Thema am Dienstag anschneiden, beim Treffen mit Premier Benjamin Netanjahu.

Eilig besucht Kern am Sonntag auch die Palästinensergebiete, legt einen Kranz im Jassir-Arafat-Memorial nieder, bespricht mit Premier Rami Hamdallah das baldige Treffen von PLO-Chef Mahmoud Abbas mit Donald Trump in Washington. Vielleicht ist es Zweckoptimismus, doch manche Palästinenser hoffen auf neue Dynamik durch den 45. US-Präsidenten. Sie wollen an den „großen Deal“ glauben, den der Neue versprochen hat, können es aber wohl kaum: Die Amerikaner haben soeben den Baubeschluss für eine neue jüdische Siedlung im Westjordanland achselzuckend hingenommen.

Im Sandsteinpalast der PLO

Den Palästinenserpräsidenten kann Kern nicht treffen: Abbas stimmt sich für die Visite in Washington mit Jordanien und Kuwait ab. Die palästinensische Nationalratsabgeordnete Hanan Ashrawi empfängt den Kanzler stattdessen im Sandsteinpalast der PLO.

Am Abend schließt sich der Kreis. Kern nimmt an der offiziellen Eröffnung der Zeremonien des Holocaust-Tages in der Gedenkstätte Yad Vashem teil. Für Kern der wichtigste Termin am Sonntag. „Eine Auszeichnung“, sagt er. Am heutigen Montagmorgen wird er Yad Vashem neuerlich besuchen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2017)

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