Anstoss

Das heikle Spiel mit den Weltrekorden

Das Marathonexperiment „breaking2“ erregt viele Puristen, dabei garantiert dieser Rekordlauf sauberen Sport.

Hundert Meter unter neun Sekunden? Sechseinhalb Meter hoch, zehn Meter weit – der Mensch strebt seit jeher nach neuen Grenzen, der Sport lebt von Rekorden. Wer es schafft, wird gefeiert – wenngleich seit Jahren stets ein Dopingverdacht mit im Spiel ist.

Das ist die Folge jahrzehntelanger Duldung von Betrug und Missbrauch in der Leichtathletik. Weiterhin prangen Weltrekorde in den Büchern, deren Protagonisten entweder längst gestorben oder deren Zeiten so unerreichbar sind, womit fragwürdig bleibt, ob ihre Entstehung ohne leistungssteigende Mittel möglich waren. Ein Pauschalurteil über Weltrekordler zu fällen, wäre trotzdem fatal. Damit raubt man sich und all denen, die tatsächlich sauber waren, den (naiven) Glauben respektive ihre Integrität.

Dass Europas Verband genau das der IAAF-Dachorganisation aber nun vorschlägt, ist grotesk: Verdächtige Bestmarken sollen gelöscht werden. In diesem Fall ist plötzlich eine Kollektivstrafe möglich, bei gedopten Russen im Weltsport aber nicht? Mit der simplen Löschung seiner Vergangenheit läuft man in keine saubere Zukunft. Man dokumentiert ab diesem Zeitpunkt nur, heillos gescheitert zu sein. Und werden denn alle neuen Rekorde ungedopt aufgestellt? Das ist doch nur reine Heuchelei.

Im Fall des von Nike vorangetriebenen Experiments „breaking2“, bei dem am Wochenende auf der Rennstrecke von Monza 42,195 Kilometer unter zwei Stunden gelaufen werden sollen, geht es auch um neue Limits. Es wird aber nicht als Weltrekord gewertet: Schuhwerk, 18 Tempomacher, Windschutz, Wetter; es ist, auch aus Imagegründen, ein garantiert sauberer Laborversuch. Und Olympiasieger Eliud Kipchoge ist das Zugpferd auf der 2400 Meter langen Schleife.

Dass sich Puristen darüber mokieren, das Fehlen von Elite, Frauen, Wettkampffeeling oder Regeln reklamieren, ist nicht verwunderlich, irritiert jedoch. Sehen wollen sie dieses Rennen unbedingt, um jeden Preis.

Diese Sensationslust erinnert irgendwie an Felix Baumgartners Sprung aus der Stratosphäre. Sein als Weltwunder verkaufter „Jump“ wurde wenig später von einem unbekümmerten Google-Manager wiederholt; ganz ohne Schnickschnack, fern des medialen Hypes. Während in diesem Fall die Sinnhaftigkeit streitbar bleibt, wird das Marathonexperiment in ein paar Jahren von einem Afrikaner in einem echten Rennen verwirklicht – womöglich mit einem gravierenden Makel. Weil er dann, sollten in der Gegenwart Rekorde gelöscht werden, in der Zukunft schneller gelaufen sein wird als all diejenigen, die gedopt haben könnten. Und seiner Leistung soll man dann Glauben schenken?

E-Mails an: markku.datler@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.05.2017)

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Leichtathletik. Kenias Olympiasieger Eliud Kipchoge, 32, soll am Samstag auf der Rennstrecke von Monza einen Marathon unter zwei Stunden laufen. Ein Weltrekord unter „Laborbedingungen“ mit 18 Tempomachern und einer Million Dollar Gage.

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