Die Rückkehr der Russen nach Wien

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der stärkere Rubel verbilligt Auslandsreisen für russische Touristen.

Wien. Wenn man nicht weiß, worüber man mit Russen reden soll, schneidet man am besten das Thema Urlaub an. Meist kommen sie einem ohnehin damit zuvor, um sich stundenlang darin zu ergehen, wo es am schönsten war. Und ob es ihnen wieder einmal gelungen ist, einen Ort zu entdecken, an dem sie auf keine Landsleute gestoßen sind. Am besten ist es einem russischen Sprichwort zufolge nämlich „dort, wo wir Russen noch nicht waren“.

So viele Plätze davon gibt es nach der ölpreisgetriebenen Boomzeit der Nullerjahre ohnehin nicht mehr. In den vergangenen drei Jahren fand man an vielen von ihnen aufgrund der tiefen Rezession und der Rubelabwertung aber kaum noch Russen an. Beginnend mit 2015 brach der Auslandstourismus laut russischem Tourismusindustrieverband (RST) so stark zusammen wie seit dem Rubelcrash 1998 nicht mehr. Nun aber scheint mit der Flaute Schluss zu sein. Ersten Zahlen zufolge fliegen die ob ihrer hohen Tagesausgaben beliebten russischen Touristen wieder vermehrt ins Ausland. Wie die Zeitung „Wedomosti“ jüngst berichtete, sind im ersten Quartal die Ausgaben im Ausland gegenüber 2016 um gut 40 Prozent hochgeschnellt.

Wiederentdeckung Europas

Auch bei der Reiselust selbst ist eine Trendumkehr festzustellen – mit der Auffälligkeit, dass gerade die Staaten der EU, die mit dem offiziellen Moskau im Clinch liegt, am beliebtesten sind. Ablesen ließ sich dies an den Buchungen für die aktuellen Maifeiertage, neben dem Neujahrsurlaub die beliebteste Urlaubswoche in der ersten Jahreshälfte: Was die Buchungen für Anfang Mai betraf, so zeigten die Daten der größten Ticketbuchungsplattform Aviasales, dass unter den fünf beliebtesten Destinationen fünf europäische Staaten auftauchten – mit Zuwachsraten von 70 bis 144 Prozent gegenüber 2016.

Dass Österreich bei dieser Momentaufnahme nicht oben aufschien, tut nichts zur Sache. Vom Trendwechsel profitiert Österreich genauso, wie Gerald Böhm, Chef der Österreichwerbung in Moskau, auf Anfrage erklärt: „Die Trendwende kam mit Oktober 2016. Das hat in erster Linie mit dem erstarkten Rubel und dem stabilen Wechselkurs zu tun.“ Die Statistik zeigt, dass im Zeitraum November 2016 bis März 2017 die Zahl der Nächtigungen von Russen in Österreich um 8,7 Prozent zugenommen hat. Die bisher nur vorläufigen Zahlen für März zeigen ein Plus von 28,1 Prozent. Damit rangiert Russland nach Herkunftsländern auf Platz zwölf und gilt nach der Schweiz als stärkstes Nicht-EU-Herkunftsland. Besonders erfreulich: In Wien liegt Russland wieder unter den Top 5 der nächtigungsstärksten Herkunftsnationen.

„Wir sprechen von einer Stabilisierung“, so Böhm: „Für das Gesamtjahr haben wir leichte Hoffnung.“

Die Vorsicht in der Formulierung hat ihre Gründe. Nach zwei Jahren Rezession wächst Russlands Wirtschaft zwar wieder, die Prognosen bewegen sich aber im Bereich von einem Prozent. Auch muss die Statistik richtig eingeordnet werden: Im stärksten Jahr hinsichtlich des russischen Herkunftsmarktes, 2013, hatten sich die Nächtigungen in Österreich auf 1,95 Millionen belaufen. 2016 war es nur noch die Hälfte (977.348). Die Steigerung in den vergangenen Monaten beruht also auf dem Basiseffekt.

„Made in Russia“ wird nun relativiert

Dass der Rubel zwischen Mitte 2014 und Anfang 2016 durch den Ölpreisverfall um mehr als die Hälfte abgewertet und den Auslandstourismus auf den Kopf gestellt hatte, war übrigens ganz im Interesse des Kremls gewesen. Der Tourismusumsatz im Inland schnalzte in die Höhe. Die Ausgaben der Russen im Ausland brachen 2015 um 30 Prozent auf 35 Mrd. Dollar und im Vorjahr auf 24 Mrd. Dollar ein, so die globale UN-Tourismusorganisation UNWTO. „Made in Russia“ wurde hip, Urlaube auf der Krim und in Sotschi zum Ausdruck wahrer patriotischer Gesinnung. Da nahm man sogar in Kauf, dass inländische Anbieter die Situation preislich schamlos ausnützten.

Inzwischen freilich machte der Rubel die Hälfte des Verlustes wett. Die Russen, die zunehmend zu Individualreisenden werden, ziehen das Ausland wieder in Betracht. Und westliche Anbieter atmen durch: Die Russen sind nämlich nicht nur wegen der Spendierfreude beliebt. Sie füllen in der ersten Jännerhälfte mit ihren zeitverschobenen Neujahrsferien eine wichtige Tourismuslücke.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2017)

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