Biennale: Einfach so ans Mittelmeer denken

Erwin Wurms russischer Aussichts-LKW vor dem österreichischen Pavillon. Oben angekommen, soll man ans nicht sichtbare Mittelmeer denken. Rätselhaft. Witzig ist das jedenfalls nicht.
Erwin Wurms russischer Aussichts-LKW vor dem österreichischen Pavillon. Oben angekommen, soll man ans nicht sichtbare Mittelmeer denken. Rätselhaft. Witzig ist das jedenfalls nicht.(c) APA/AFP/VINCENZO PINTO (VINCENZO PINTO)
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Der Ländercontest der bildenden Kunst hat begonnen. Österreich geht mit zwei vergleichsweise fast historischen Positionen ins Rennen: Erwin Wurm und Brigitte Kowanz. Pioniere der gefeierten Entfesselung der Skulptur.

Der erste Eindruck des Österreichischen Pavillons bei der Biennale Venedig ist ein schwieriger. Dass vor dem Hoffmann-Pavillon eine große Skulptur Erwin Wurms stehen wird, wusste man zwar. Was es aber sein wird, war Staatsgeheimnis. Man dachte also an Essiggurken, an Würste, die Wurm gerne als Symbole fürs österreichische Selbst aufstellt. Aber wäre ja fad gewesen. Also musste es anscheinend ein Lastwagen sein. Noch dazu ein auf der Nase stehender. Der internationale Besucher assoziiert mit derlei sofort – Terror (Berlin), Flüchtlingstod (Kühllastwagen). Noch dazu hat der syrische Künstler Manaf Halbouni im Frühjahr in Dresden (ab Herbst in Berlin) ausrangierte Linienbusse hochkant aufgestellt. Womit er Bilder aus Aleppo zitierte, wo man sich so vor Angriffen zu schützen versucht.

Aber wovor will Wurms LKW schützen? Welches „Friedensmahnmal“ soll ein nagelneuer russischer GAZ-Truck symbolisieren? Gesponsert vom Imperium des russischen Oligarchen Oleg Deripaska? Mit mulmigem Gefühl steigt man Stufen hinauf, der LKW dient auch als Aussichtsplattform. Um dort, auf zehn Meter Höhe, notgedrungen der Anweisung eines Schilds zu folgen: „Stillstehen und über das Mittelmeer schauen.“ Was man wohlgemerkt nicht kann, denn anders als vom Aussichtberg, den Hans Schabus 2005 über den Pavillon baute, sieht man das Meer von hier aus nicht. Man soll es sich also vorstellen. Und findet in seinem Kopf wieder nur Bilder von Krieg und Flüchtlingsschicksalen.

Was will der Oligarchen-LKW uns sagen?

Das passt so gar nicht zu dem, was man mit Wurm sonst verbindet. Wenn es ein Versuch ist, aus der Witz-Ebene auszusteigen, auf die Wurms Skulpturen und „One Minute Sculptures“ oft zu Unrecht reduziert werden, wirkt er in diesem dellenlosen Hochglanzsetting nahezu zynisch. Oder ist es einfach ein Missverständnis? Denn im Pavillon selbst geht es vergleichsweise harmlos zu. Dort hat Wurm ein präpariertes Wohnmobil samt Einrichtung aus den 1970er-Jahren aufgestellt, das man als Bühne für seine bekannten „One Minute Sculptures“ verwenden kann; konkrete, oft mit der eigenen Lächerlichkeit spielende Handlungsanweisungen. In Kombi mit dem Wohnwagen geht es also wohl um die Illusion von Freiheit, Abenteuer, Individualität, mit der wir einst ans Mittelmeer gekarrt wurden. Ins nächste Gehege, den Campingplatz. Woraus der Massentourismus entstand, genormtes Glück. Nur, was hat der Oligarchen-LKW damit zu tun? Wo bei einer Biennale jedes Detail politisch konnotiert gelesen wird?

Brigitte Kowanz hat derlei gesellschaftspolitische Fragezeichen ausgeschlossen in ihren Arbeiten, die in einem zentralen Zubau (Hermann Eisenköck) gezeigt werden: Neonröhren, vor Spiegeln zu Schlaufen gelegt, wie von Schatten hinterlegt mit dem Morsecode der Geburtsdaten von Dingen, die unsere digitale Welt formten – Internet, iPhone, Google etc. Die abstrakten Schlaufen sind zufällig, Franz-Westsche, unbewusste Wittgenstein-Kringel, wie man sie auf Schmierzettel zeichnet. Sie drehen uns in unzählbarer Spiegelung hinein in die „Ewigkeit und darüber hinaus“, so der Titel der Installation, in unfassbare, digitale Lichträume. Ob das als Denk- oder als Mahnmal einer älteren Generation gemeint ist, die immer noch fasziniert dieser neuen Welt unter (Bildschirm-)Glas gegenübersteht, lässt Kowanz offen.

Im Vergleich mit vielen anderen Pavillons dieser Biennale wirken die beiden österreichischen Positionen wie pionierhafte Veteranen einer längst geschlagenen Schlacht. Denn das, womit sich die die beiden ungefähr gleichalten Künstler (um die 60) seit Jahrzehnten beschäftigen, die Erweiterung der Skulptur – Wurm ins Performative, Kowanz ins Digitale – ist in der Kunst längst schon so alltäglich wie das Internet. Dennoch hatten Kowanz und Wurm darauf ähnlich einflussreiche Rollen wie Franz West, der zuvor den Pathos abräumte.

Man braucht nur in den englischen Pavillon zu schauen, wo die mit West fast gleichalte Bildhauerin Phyllida Barlow eine voluminösere, weichere West-Sprache pflegt, man wandelt wie durch grau-bunte Papiermaché-Ruinen. Man besucht Frankreich – herrlich ist diese Minimundus-Mobilität! – und findet sich in einem modernistisch-hölzernen Proberaum wieder, der hin und wieder von eingeladenen Profi-Musikern benutzt wird. Sonst steht man hier gelangweilt in einem sterilen Post-Pop-Tempel.

Wie überhaupt E-Gitarren sich wie ein wenig originelles Symbol des Widerstands durch viele dieser gerade so aktuellen performativen Installationen ziehen. Auch im deutschen Pavillon entdeckt man eine E-Gitarre unter dem Glas, das sich wie ein doppelter Boden durch den ganzen Pavillon zieht. Wie bei Wurm steht der Betrachter auf dem Podest. Nur muss er nicht performen, jedenfalls nicht absichtlich. Das passiert unter der Display-Oberfläche (Kowanz). Nur ist in dieser Unterglas-Welt nichts digital, sondern alles sehr existenziell.

Der Beitrag der jungen Künstlerin Anne Imhof ist jedenfalls der eindrucksvollste heuer. „Faust“ heißt er und ist so übertrieben „deutsch“, dass Ironie sich ausschließen muss: Vor dem Pavillon wachen Hunde in einem gläsernen Zwinger. Drinnen, im Folter-Terrarium, drücken sich ernste Jugendliche wie aus der Calvin-Klein-Werbung in Posen von Langeweile oder Ausweglosigkeit. Manchmal werden wild die Haare geschüttelt. Wird die Faust gegen die Brust geschlagen. Aber das sind Zitate von Leben. Dieser Faust hat seine Seele verloren. Eine Fünf-Stunden-Skulptur jugendlicher Depression. Da steigt man mit noch weherem Herzen wieder hinauf auf Wurms LKW, einer Generation angehörend, die sich schließlich noch erinnern kann, wie es war, einmal einfach nur so ans Mittelmeer denken zu dürfen.

Biennale Venedig mit 81 Länderpavillons, bis 26. 11. 2017.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2017)

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