Die Geister, die die Weltbank rief

Werner Kiene
Werner Kiene(c) Werner Kiene
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Der Kreditgeber lernt dazu: Vor einem Staudammbau in Uganda lässt er Geister beschwören, um sie mit der Überflutung heiliger Felsen anzufreunden. Asiens Staatsfonds zeigen da weit weniger Skrupel.

In steilen Stufen fließt der Weiße Nil nach Norden. Von Stromschnellen umtost, ragen die Bujagalifelsen in den Himmel. Am Rand des Flusses steht ein alter Mann mit schwarzen Rastalocken und schlohweißem Bart. Er beschwört die Geister im Fluss. Sie mögen sich damit abfinden, dass ihre heiligen Felsen bald unter Wasser liegen werden, verschluckt vom größten Staudamm Ugandas, finanziert von der Weltbank. Sie sollen ihre Aura ins Trockene bringen, zu einem anderen Platz stromabwärts wandern. Oder vielleicht sind sie unter Wasser sogar besser aufgehoben, geschützt vor dem Raftingrummel und ahnungslosen Touristen.

Vor diesen ist Jaja Bujagali, der Hüter des heiligen Ortes, schon vor 20 Jahren geflohen. Jetzt kehrt das Medium wieder an seine alte Wirkungsstätte zurück, um mit den „Spirits“ Kontakt aufzunehmen und sie in einer Opferzeremonie gnädig zu stimmen. Lange lehnte er das Projekt des Bujagalidamms ab: „Die Geister sagen mir, das ist gefährlich, es bringt Unglück...“

360 Mio. Dollar hat die Weltbank an Darlehen und Garantien für den Damm bereitgestellt, als Teil eines breit angelegten Entwicklungsplans: Nur fünf Prozent der Bevölkerung Ugandas hat heute einen Stromanschluss, was private Investitionen und Wachstum hemmt.

Ombudsmann aus Kärnten. Während der Zeremonie spaziert eine Schulklasse vorbei. Die Kinder machen große Augen, verstehen nicht, was passiert. Christliche Missionare haben in Uganda ganze Arbeit geleistet. „Tagsüber lächeln die Menschen verlegen bis spöttisch, wenn man sie auf den Glauben ihrer Väter anspricht. Aber von meinen Vertrauten weiß ich: Wenn es dunkel wird, erwachen ihre Zweifel, ob sie hier das Richtige tun.“ Das erzählt Werner Kiene, der als Ombudsmann der Weltbank an der Zeremonie bei den Bujagalifällen teilgenommen hat.

Fünf Jahre lang, bis Ende Oktober, leitete der gebürtige Kärntner das „Inspection Panel“ der Weltbank – eine unabhängige Instanz, an die sich jeder wenden kann, der sich von einem von der Weltbank finanzierten Projekt geschädigt fühlt. Zwar kann das Dreierteam pro Jahr nur etwa acht der 1800 laufenden Projekte prüfen. Aber schon seine Existenz soll helfen, dass die Weltbank-Standards eingehalten werden.

Seit Jahrzehnten ist der westlich dominierte UN-Financier das liebste Hassobjekt von Ökonomen, Globalisierungskritikern und Umweltschützern. Die Liste der Vorwürfe ist lang: Die Bank binde ihre Kredite an zu harte Auflagen. Im Prinzip richtige Forderungen – Privatisierung, wirtschaftliche Öffnung, Abbau von Subventionen – würden viel zu rasch durchgepeitscht, ohne Wahrung sozialer Mindeststandards. Und bei den typischen Megaprojekten werde nicht nur die Umwelt zerstört, sondern es würden auch tausende ausgesiedelte Menschen entwurzelt und ihrer Lebensgrundlage beraubt.

Die ständigen Prügel blieben nicht ohne Wirkung. Die Armen dürfen nicht noch ärmer werden, lautet heute das Credo in Washington. Eine Legion von Evaluatoren und Controllern – allein an die 150 für die Aufdeckung von Korruptionsfällen – soll seine Befolgung sichern. Doch das ist immer noch ein Segen, der sich von oben nach unten ergießt, von den alles besser wissenden westlichen Experten auf Menschen, deren Lebenswelt und Kultur sie oft bis heute nicht verstehen.

Das 1993 gegründete „Inspection Panel“ aber läuft von unten nach oben, weil es erst bei Beschwerden aktiv wird. Bis vor Kurzem war das eine recht stille Revolution. Doch mit der Verbreitung des Internets, zu dem auch in Entwicklungsländern viele Zugriff haben, häufen sich die Proteste der kleinen Leute: Die globale Zivilgesellschaft ist nur noch einen Mausklick von der Verteidigung ihrer Rechte entfernt.

Auch beim Bujagalidamm gab es die üblichen Beschwerden: Umweltschutzauflagen würden missachtet, Abgesiedelte erhielten nicht eine gleichwertige Kompensation für ihre bisherige Wohn- und Arbeitsstätte – das ist Alltag für den Ombudsmann. Doch das Reich der Geister blieb für ihn lange geheimnisvolles Neuland. Warum halfen die großzügig finanzierten Zeremonien nichts, warum blieb großes Unbehagen zurück?

Heiligtum für Millionen. Erst am letzten Tag seiner „Fact finding Mission“ stießen Kiene und ein angeheuerter Anthropologe auf eine kleine katholische Forschungseinrichtung, die übrigens von den österreichischen Sternsingern finanziert wurde. Dort löste sich das Rätsel: Die Bujagalifelsen sind nicht nur, wie angenommen, der Herrgottswinkel für die Hausgötter von ein paar hundert Anrainern, sondern ein zentrales Heiligtum des ganzen Busoga-Stamms. Der aber hat drei bis vier Millionen Mitglieder – und Jaja Bujagali ist ihr geistiger Führer, eine Art Papst.

Wie bei den Römern gab es da in grauer Vorzeit ein Zwillingspaar. Der eine Bruder begründete leiblich den Stamm, der andere vollzog eine Metamorphose und erstarrte zum Felsen im Fluss. Für ein 250-Megawatt-Kraftwerk wird also der Gründungsmythos eines ganzen Volkes auf den Boden eines Stausees versenkt. Der Damm ist längst im Bau, bis 2011 soll er fertig sein. Wenig Zeit, um die Dämonen zu bannen. Dass ein solcher spiritueller Fauxpas nicht mehr passieren darf, hat sogar der Weltbank-Aufsichtsrat gelobt – künftig soll die Welt der Geister schon in Projektplanungen Einzug finden.

Konkurrenz ohne Regeln. Auf diese fast rührenden Skrupel ist Kiene stolz – und sieht doch die Gefahr dahinter: „Die Weltbank wird zunehmend von der Angst getrieben, etwas falsch zu machen. Das hemmt die Risikofreude und macht die Organisation schwerfällig.“ Vor allem aber droht sie als Finanzpartner für Großprojekte aus dem Rennen geworfen zu werden.

Denn Washington bekommt Konkurrenz von Banken und Staatsfonds aus China und den arabischen Ländern. Denen aber sind Umweltschutz, Anrainerrechte oder gar Stammesmythen oft herzlich egal – und das macht sie zu beliebten Partnern vieler afrikanischer Regierungen, denen die strengen Auflagen der Weltbank lästig sind.

Zwar haben 67 Banken mit den „Equator Principles“ einen freiwilligen Verhaltenskodex für internationale Projekte unterschrieben, der auf Weltbank-Regeln basiert. Aber nur ein einziges chinesisches Institut findet sich auf der Liste, von Staatsfonds ganz zu schweigen. Auf dem Radar der Globalisierungsgegner aber bleibt, in schöner Tradition, nur die Weltbank im Fokus der Entrüstung. Und so wird es wohl bleiben – auch wenn die Geister, die sie anrief, längst in Frieden ruhen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2009)

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