Theaterberufe: Die drei Damen von der Requisite

Ulrike Kremsner, Mary Jane Fritsch und Dominique Wiesbauer
Ulrike Kremsner, Mary Jane Fritsch und Dominique Wiesbauer(c) Teresa Zötl
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Hier wird an nicht abführendem Zwetschkenkompott gebastelt und an Kirschkernen für Kirschenallergikerinnen: Um beim Theater in der Requisite zu arbeiten, muss man erfindungsreich sein und improvisieren können.

Die Frage ist: Wie macht man Zwetschkenkompott? Nein, kein echtes: Ein Bühnenzwetschkenkompott, das schön rot aus dem Glas leuchtet und das man trotzdem offen herumstehen lassen kann, ohne dass es gleich schimmelt! Mary Jane Fritsch, Ulrike Kremsner und Dominique Wiesbauer, im Theater der Jugend für die Requisite verantwortlich, haben es mit Wachs und Gelatine versucht: Kerzen geschmolzen, in Form gegossen, rote Sauce darüber – fertig. Ein paar Tage lang sah es tatsächlich so aus, als könnte das funktionieren. Aber dann stiegen die Temperaturen, und das Experiment musste abgebrochen werden. Nicht sehr ansehnlich, was da in den Gläsern wuchs.

Der zweite Versuch klappte besser: Ultraschallkontaktgel statt Gelatine war die Lösung. Auf so etwas kommt man aber auch nur, wenn die Mutter als Physiotherapeutin arbeitet. Jetzt stehen Dutzende Gläser mit ungenießbarem Kompott auf dem Holzwägelchen hinter der Bühne. Und dazwischen ein Glas mit genießbarem. Das klingt, als sei es vergleichsweise leicht zu besorgen. Aber, erklärt Mary Jane Fritsch, so einfach ist das nicht. Denn die Inszenierung sieht vor, dass Frank Engelhardt als kompottsüchtiger König Ferdinand der Glorreiche ein ganzes Glas pro Vorstellung zu verzehren hat! „Und?“, frage ich. „Zwetschkenkompott. Sie wissen doch!“, sagt Fritsch. Wenn man nicht riskieren möchte, dass der Hauptdarsteller die halbe Vorstellung auf der Toilette verbringt?

Erdbeermus für die Lippen. Fritsch rührt also im selbst angesetzten Wackelpudding. Aus Johannisbeersaft! Doch der Pudding ist zu weich geraten. Egal, jetzt ist es zu spät, ein neues Rezept auszuprobieren, in einer halben Stunde beginnt die erste Hauptprobe, also wird schnell im Supermarkt Götterspeise gekauft und untergemischt. Die Konsistenz passt. Der Geschmack? Na ja. Zum Glück gilt der Schauspieler als unproblematisch, und von Allergien ist er auch nicht geplagt. Anders als Hauptdarstellerin Sabrina Rupp, die keine Kirschen verträgt, aber als wilde Sofie eifrig Kirschkerne spucken soll. Für sie haben die Requisiteurinnenein Täschlein blankgeputzter Kirschkerne vorbereitet – und ein Gläschen mit Erdbeermus, das sie sich auf die Lippen schmieren soll, damit die Spuckerei auch echt aussieht.

Die Requisite ist ein Dreiergespann. Die einzige Abteilung im Haus ohne Chef. Als ihre ehemalige Vorgesetzte vor drei Jahren in Pension ging, sprachen die drei Requisiteurinnen beim Technischen Direktor des Theaters, Anton Hilmbauer-Hofmarcher, vor und unterbreiteten ihm einen Vorschlag: Sie wollten abwechselnd Verantwortung für die Produktionen übernehmen. Sechs Produktionen pro Jahr gibt es, also für jeden zwei.

Alles ändert sich täglich. Diesmal hält Ulrike Kremsner das Zepter in der Hand: Sie überlegt, was besorgt, gekauft, gefertigt werden muss, sie erstellt die Listen und hält sie auf dem Laufenden, was allein schon eine ziemliche Arbeit ist, weil sich in Probezeiten täglich alles ändert. Oder zumindest vieles. Sie geht die Liste durch und kontrolliert, ob vor der Vorstellung jedes Requisit auf seinem Platz ist: Steht die richtige Anzahl an Kompottgläsern auf dem Wagen? Lehnt die Lanze beim Abgang rechts? Der Nasenpopelentferner ist kaputt. Die vier Styroporzwetschken hängen an der Dekoration, das Tablett mit den Porzellantassen wartet in der Unterbühne. Aber sind sie auch richtig angeklebt?

Währenddessen erklärt Dominique Wiesbauer, die bei dieser Produktion als Assistentin firmiert, einem Bühnentechniker, dass das mit dem Blatt so nicht gehe. In einer Schlüsselszene der „Wilden Sofie“ soll es vom Baum segeln, direkt in den Schoß des Prinzen – nur tut es das keineswegs immer. „Und was soll ich da machen?“, fragt der Techniker. „Wir sollen die Aerodynamik des Blattes verbessern“, erklärt Dominique, klingt dabei ein kleines bisschen ironisch und hat eine Idee: Statt nur eines Blatts soll der Baum einfach mehrere fallen lassen, eines wird schon richtig landen, so, dass das Publikum es bemerkt und der Prinz nicht aufstehen muss. Das klappt dann auch.

Dann, das ist während der Probe. Heute sind sie zu zweit, Ulrike Kremsner und Dominique Wiesbauer, die eine links, die andere rechts, beide schwarz gekleidet, wie es üblich ist für das Personal hinter der Bühne. Manchmal muss man warten, hat Zeit für ein Scherzchen. Manchmal muss alles ganz schnell gehen, dann heißt es für Dominique Wiesbauer laufen: flink-flott über Gänge und Wendeltreppen hinab, zur Unterbühne, wo sie das Bett aufschüttelt für den kranken Prinzen und die Teetassen auf die Hubvorrichtung stellt. Dann schnell wieder hinauf. Der Schauspieler wird gleich in eine Zwetschke beißen und das angebissene Stück dann hinter die Bühne werfen. Dominique muss es aufheben, bevor noch jemand darüberstolpert. Geschafft! Pünktlich zum Wurf steht sie parat. Aber die Zwetschke ist ja noch heil! Der Schauspieler hat also nur so getan. Dann noch eine Schrecksekunde: Die Garde geht rechts ab statt links! Zum Glück steht Ulrike Kremsner dort und nimmt den Schauspielern die Lanzen ab.

Manöverkritik am Schluss: Dank Doppelklebebands ist keines der Kompottgläser zu Boden gedonnert – aber als ein Glas aufgehoben wurde, hat das Klebeband deutlich sichtbar Fäden gezogen. Das war sicher auch im Publikum zu erkennen, also muss eine andere Lösung her. Die Truhe soll mit dem Verschluss nach vorn auf der Bühne stehen, lässt der Regisseur ausrichten, das sähe besser aus. Der Nasenpopelentferner ist nicht kaputt, die von den Requisiteurinnen liebevoll gebastelte Schraubvorrichtung wird jetzt doch nicht gebraucht.

Auf der Treppe begegnet uns ein Schauspieler: „Übrigens, wir gehen jetzt rechts ab.“ Als ob die Requisite das nicht bemerkt hätte! Es ist die erste Hauptprobe. Da ist das immer so. Morgen wird erst einmal am Kompottrezept gebastelt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2009)

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