„13 Reasons Why“: Darf man Suizid so nicht zeigen?

Clay und Hannah
Clay und Hannah(c) Beth Dubber/Netflix (Beth Dubber/Netflix)
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Die Netflix-Serie mit dem deutschen Titel „Tote Mädchen lügen nicht“ handelt von einem Mädchen, das Suizid begangen hat. Nun wird vor diesem „gefährlichen Inhalt“ gewarnt. Zu Recht?

13 Reasons Why“ kommt auf den ersten Blick wie eine der üblichen Jugendserien daher: Sie spielt einer High-School, handelt von allen möglichen (romantischen) Verwicklungen und Dramen des Teenageralters. In einem Punkt hebt sie sich aber deutlich von Genrekollegen wie „Gossip Girl“ etc. ab, denn sie erzählt die Geschichte der 17-jährigen Schülerin Hannah Baker, die Suizid begangen hat.

Der Titel „13 Reasons Why“ – auf Deutsch lautet er reißerischer „Tote Mädchen lügen nicht“ – bezieht sich auf Hannahs Abschiedsbrief oder eher Abschiedstonaufnahme. Denn Hannah (Katherine Langford) hat 13 Gründe für ihren Tod auf Audiokassetten darlegt. Sie richtet sich dabei immer an eine konkrete Person. Eine Schuhschachtel mit den Kassetten wird reihum von einer dieser genannten 13 Personen an die nächste weitergegeben –so auch an Hannahs Schulkollegen Clay (Dylan Minnette), mit dem die Erzählung einsteigt. Der Teenager hat mit Hannah zusammengearbeitet und war verliebt in sie. Er zögert zuerst, sich die Aufnahmen anzuhören. Freilich tut er es trotzdem. Während wir in Rückblenden mehr über Hannahs Vergangenheit erfahren, reagiert Clay auf der Jetzt-Zeit-Ebene auf die Dinge, mit denen er konfrontiert wird.

Hannahs Schilderungen sind unangenehm. Ich habe mir nicht mehr als zwei Folgen der Serie am Stück ansehen können, zu sehr hat sie mich mitgenommen und aufgeregt. Auch weil mir der in „13 Reasons Why“ geschilderte Alltag der Jugendlichen realistisch vorkommt: Hannah ist auf der verzweifelten Suche nach Freunden, sie ist immer wieder Mobbing und sexueller Belästigung ausgesetzt.

Netflix veröffentlicht keine Zuschauerzahlen, aber „13 Reasons Why“ dürfte ein Hit bei den Zuschauern sein, denn bisher wurde keine Serie des Streaming-Anbieters häufiger auf Twitter erwähnt. Das dürfte auch an drei Szenen liegen, die heftig diskutiert wurden: zwei Vergewaltigungsszenen und die Szene mit Hannahs Selbstmord.

Es gibt einen Leitfaden für Suizidberichterstattung

Letztere wird von Kritikern und Experten verurteilt, denn im Gegensatz zur Romanvorlage von Jay Asher zeigt die Serie die Tat im Detail. Das alarmierte Jugendschützer und die Suizidprävention in vielen Ländern. Für Medien gibt es etwa einen Leitfaden für Suizidberichterstattung: Sensationsträchtige mediale Berichterstattung über Suizide könne weitere Suizide auslösen, heißt es darin. Das wird als "Werther-Effekts" (wegen der gehäuften Fälle nach dem Erscheinen von J. W. Goethes „Die Leiden des jungen Werther“) bezeichnet.Man solle keine Details zur Tötungsart nennen und Heroisierung oder Romantisierung der Tat oder der Person, die sich getötet hat, tunlichst vermeiden.

Die oben genannten Punkte wurden der Serie vorgeworfen (ich sehe das anders, siehe unten). In den USA kritisierten Pychologen, dass „13 Reasons Why“ psychische Probleme hervorrufen oder gar verstärken könne. Die neuseeländische Medienaufsichtsbehörde hat zudem angeordnet, dass Teenager unter 18 die Serie nur im Beisein der Eltern oder anderer Erwachsener anschauen dürfen.

Die Serienmacher – unter den Produzenten ist auch Ex-Teeniestar Selena Gomez – verteidigten „13 Reasons Why“ freilich. Man breche Tabus und zeige, wie Selbstmord wirklich aussehe, nämlich qualvoll, argumentierten sie.

Hannah
Hannah(c) Beth Dubber/Netflix (Beth Dubber/Netflix)

Mich persönlich hat „13 Reasons Why“ beeindruckt und ich halte die Serie für sehenswert – aber auch problematisch. Hier meine Gründe dazu. Und ja, es wird ein wenig gespoilert, aber dass Hannah tot ist, weiß man schließlich seit der ersten Folge ...

Was ich an „13 Reasons Why“ gut finde:

Porträt des Lebens in der High School

Zu Beginn ihrer Erzählung ist Hannah neu in die Stadt gezogen und sie tut sich schwer damit, Freundinnen oder Freunde zu finden. Sie vereinsamt zunehmend. Die Gefahr, sich als Schülerin inmitten einer Menge Gleichaltriger allein zu fühlen, scheint mir in den USA größer zu sein als in Österreich. Hierzulande ist man – auch wenn man keiner Clique angehört – immer noch ein Klassenkollege und damit Teil des „Teams“. In High Schools fehlt der Klassenverband. Zudem ist das Leben der Schüler viel mehr von der Schule bestimmt. Entweder man gehört zu einer Gruppe – ob zu den Cheerleadern, den Footballern oder den „Kreativen“ – oder man ist allein. Das stellt die Serie eindrucksvoll da.

Teenager-Ängste

Stalking, (Cyber-)Mobbing und Außenseitertum: „13 Reasons Why“ thematisiert diese Probleme ohne sie kleinzureden. Die Sorgen der Teenies in Serien wie „Gossip Girl“ oder „Pretty Little Liars“ wirken im Vergleich dazu an den Haaren herbeigezogen. Auffallend in „13 Reasons Why“ ist, dass die dargestellten Eltern unterschätzen oder gar nicht wissen, welches Ausmaß die vermeintlich leicht lösbaren jugendlichen Probleme auf ihre Kinder haben. So wollen Hannahs Eltern nach ihrem Tod herausfinden, ob ihre Tochter gemobbt wurde. Das lässt nur einen Schluss zu: Sie hat ihnen nichts erzählt.

Das Geschlechterverhältnis

In den High School gibt es – man kennt das aus vielen US-Filmen und -Serien – eine Hierarchie, und die Sportler stehen ganz oben in der Nahrungskette. Die Stars des Football- oder Basketball-Teams: das sind Burschen. In der High School gehe es darum, diese Burschen glücklich zu machen, sagt Hannahs Kurzzeit-Freundin Jessica einmal. Was sie damit meint? Vermutlich nicht nur, sie auf dem Spielfeld anzufeuern. Sondern auch, sie in der Schule zu unterstützen. Und vielleicht sogar (so verstehe ich Jessicas Andeutung), ihnen sexuell zur Verfügung zu stehen.

Seltsam finde ich die Art, wie die Burschen mit den Mädchen umgehen – wie sie sie „beschützen“. In der Serie spricht die Cheerleaderin Sheri einmal mit dem Fotografen-Stalker Tyler, sofort kommt einer aus der Football-Gang, um sie zu fragen, ob sie eh mit dem reden will. Als ob sie das nicht selbst entscheiden könnte. Oder geht es hier um Besitzverhältnisse?

Die beiden Erzähler Hannah und Clay gehören diesen Gruppen nicht an und verhalten sich anders – so fällt dieses seltsame Verhalten der Burschen und Mädchen zueinander auch dem Zuseher stärker auf. Für mich ist das einer der spannendsten Punkte in „13 Reasons Why“.

Teenager, Sex und Gewalt

Hannah wird von den Burschen in ihrer High School auf ihren Körper reduziert: erst durch Fotos, dann durch eine Liste. Und schließlich finden auch „nette“ Jung nichts mehr dabei, sie anzufassen, auch wenn sie das nicht will. Es ist die Basis der „Rape culture“. Dass diese Darstellung kein reines Fantasieprodukt ist, kann man in der berührenden und absolut sehenswerten Doku „Audrey & Daisy“ sehen – in der es um zwei Mädchen geht, die erst sexuell missbraucht wurden, danach Opfer von „Cybermobbing“ und in ihrer Schule als Schlampen beschimpft wurden.

Das hängt auch mit der prüden amerikanischen Sexualmoral zusammen: Als sexuell aktives Mädchen bist du eine Schlampe, als Bursche ein Held.

Aber wie ist das mit den Vergewaltigungsszenen?
Vergewaltigungen kommen öfter vor in Serien, aber meist werden sie nur angedeutet oder es wird weggeblendet. „13 Reasons Why“ schaut hin, zeigt die Gesichter der Opfer – auch in Rückblicken. Ich finde das gut, weil man angesichts dieser Bilder nicht auf die Idee kommen kann, dass der Bursche nur etwas „falsch verstanden“ oder „falsch interpretiert“ hat – sondern er setzt sich über den Willen der Mädchen hinweg. Er tut ihnen Gewalt an. Den Vergewaltiger selbst zeichnet die Serie eher schablonenhaft. Erst gegen Ende der Serie lernen wir ihn ein wenig besser kennen. Er wirkt auf mich so, als würde er einem Macho-Vorbild nacheifern (der Whiskey) und als ob er schon viel Erfahrung mit (häuslicher) Gewalt gemacht hat.

Die Musik

Ich habe durch Jugendserien oft auch gute Musik kennengelernt, zuletzt durch „O.C., California“. Die Musik in „13 Reasons Why“ ist ein Mix aus vielen Achtziger-Jahre-Songs und Aktuellem. Insgesamt sehr gelungen.

Das Plakat zur Serie
Das Plakat zur Serie(c) Netflix

Was ich nicht gut finde:

Das Motiv der Rache

Bis kurz vor Ende der Serie ist Hannahs Vereinsamung und Verzweiflung spürbar, durch die dramatischen Ereignisse auf den Partys von Jessica und Bryce rückt diese Psychologisierung in den Hintergrund. Hannah erlebt, wie reale Verbrechen – Vergewaltigung, Stalking, Fahrerflucht – vertuscht werden. Ihre Kassetten und ihre Anweisungen, an wen diese gehen sollen, kann man auch als Versucht interpretieren, Rache zu nehmen. Ich finde diese Rache-Erzählungen (die in so vielen Serien vorkommen) abgedroschen.

Die Erzählperspektive

„13 Reasons Why“ handelt von einem Mädchen, das gestorben ist – trotzdem steht ein Bub im Zentrum der Handlung, und das Wort Handlung trifft es hier genau: Hannah wird immer weniger handlungsfähig. Ihre Versuche, etwas zu tun, scheitern – oder sie gibt sie auf.

Die Darstellung des Suizids

Die Szene, in der Hannah stirbt, ist schmerzhaft, man kann sie sich kaum ansehen. Ich frage mich, ob es klüger ist, über ein Thema, das sicher viele Jugendliche beschäftigt, zu schweigen oder darüber zu sprechen. Ich neige zu Letzterem. Aber ich muss mich da an die Meinung der Experten halten, die die Darstellung höchst problematisch finden. Da hätten die Serienmacher mehr Sensibilität zeigen sollen.

Hannah lässt sich die Haare schneiden - auch ein Versuch, wieder Kontrolle über ihren Körper zu erlangen
Hannah lässt sich die Haare schneiden - auch ein Versuch, wieder Kontrolle über ihren Körper zu erlangen(c) Beth Dubber/Netflix (Beth Dubber/Netflix)

Fazit:

Wer sich die Serie ansieht, dürfte schnell zu dem Schluss kommen: Hannah ist keine Heldin. Vor allem: sie hat nichts Heldenhaftes getan, ihr Suizid ist eine Tragödie – für alle. Ihre Eltern leiden und Clay selbst rutscht beinahe in eine Depression, er ist völlig überfordert von seiner Trauer. Man wünscht sich, dass Hannah noch leben würde. Dass ihre Eltern sie in die Arme schließen können – und Clay sie küssen kann. Man wünscht diesem klugen, hübschen und manchmal nervigen Mädchen ein glückliches Leben. Hat sie am Ende „gewonnen“, weil sie sich mit den Kassetten gerächt hat? Nein. Sie ist tot. Sie hat nichts mehr davon.

Man will Hannah und allen Teenagern der Serie zurufen: Redet mit jemandem! Sagt endlich einmal jemandem, wie es euch wirklich geht! Auch an die Erwachsenen, die Lehrer und Eltern, will man appellieren: Lasst euch nicht mit einem 'Es geht mir gut' abspeisen, wenn ihr seht, dass es jemandem nicht gut geht. Hört auf, mit euren Kindern nur in Floskeln zu reden.

Jugendbuch-Autor Asher selbst sagt: „Selbstmord ist ein unangenehmes Gesprächsthema. Aber es passiert, also muss man darüber reden. Es ist gefährlich, nicht darüber zu reden, weil es immer Raum für Hoffnung gibt.“

Eine zweite Staffel von „13 Reasons Why“ ist bereits bestellt.

Notfallnummer: Unter der Nummer 147 sind die Berater von Rat auf Draht rund um die Uhr für Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene und deren Bezugspersonen da. Die Beratung ist anonym und kostenlos – und zu jedem Thema, das Kinder und Jugendliche beschäftigt.

Hilfesuchende können sich weiters an das Kriseninterventionszentrum Wien wenden: www.kriseninterventionszentrum.at

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