Szenen eines rot-schwarzen Rosenkriegs bis zur Scheidung der Noch-Regierungspartner: Der SPÖ-Bundeskanzler markierte für ein paar Stunden den starken Mann, dem ÖVP-Obmann schlug Feindseligkeit entgegen.
Wien. Wolfgang Brandstetter muss als lebende Pufferzone herhalten. Der Justizminister hat nicht nur auf der Regierungsbank, sondern auch schon zuvor beim Ministerrat mit ungewöhnlich viel Aufmerksamkeit zu kämpfen gehabt. Heute, Mittwoch, wird er dann als Vizekanzler auf ÖVP-Seite angelobt. Brandstetter sitzt Dienstagmittag zwischen den beiden Konkurrenten des kommenden Nationalratswahlkampfes, Bundeskanzler SPÖ-Chef Christian Kern im enggeschnittenen, grauen Anzug und dem seit Sonntag geschäftsführenden ÖVP-Obmann Sebastian Kurz in Blau – diesmal mit Krawatte.
Es ist der Tag, an dem die Modalitäten für die rot-schwarze Scheidung festgelegt werden. Es ist 12.14 Uhr, als Kurz den auf der Regierungsbank sitzenden Bundeskanzler am Ärmel anstupst. Es folgt ein schnelles, unterkühltes Händeschütteln. Neben dem Kanzler sitzt das vollzählige SPÖ-Regierungsteam, als Kern ab 12.20 Uhr eine viertelstündige Erklärung abgibt, wie es mit Rot-Schwarz bis zur Neuwahl weitergeht. Kurz sitzt eingekeilt zwischen Brandstetter und Finanzminister Hans Jörg Schelling.
„Chaos verhindern“
Sein einjähriges Jubiläum als Bundeskanzler hat sich Kern sicher anders vorgestellt. Noch wenige Stunden davor hat er beim Ministerrat bekräftigt, nur Kurz selbst könne auf ÖVP-Seite Vizekanzler sein. Bei seiner Erklärung im Nationalrat muss der SPÖ-Kanzler nur vier Stunden später zurückstecken. Brandstetter, den er „in höchstem Maße schätze“, darf nun doch statt Kurz den Vizekanzler machen. Aber die Arbeit in der Regierung wird nun bis auf das Allernotwendigste auf Eis gelegt, vorbereitete Koalitionsvorhaben sollen direkt im Parlament fertiggestellt werden.
Kern bleibt nur unter donnerndem Applaus der SPÖ-Parlamentarier, giftige Pfeile in Richtung seines künftigen schwarzen Gegners im Wahlkampf abzuschießen: „Wenn man die Verantwortung nicht wahrnimmt, fehlt die Glaubwürdigkeit.“ Und das alles, um in den Monaten bis zur Neuwahl „vielleicht sogar Chaos zu verhindern.“
Kurz kann im Nationalrat erst eine Stunde später nach den Klubobleuten – ausgestattet mit einem Spickzettel – sprechen. Er versichert, man werde den Koalitionspartner nicht überstimmen: „Ich fühle mich an das Koalitionsabkommen gebunden.“ Von SPÖ-Seite tönt ihm gereizt entgegen: „Probier's amol, er ist ja noch jung“). Nicht nur am Gelächter über diese Kurz-Aussage ist zu merken, dass dieser den schwereren Stand bei den Abgeordneten außer jenen der ÖVP hat. Die SPÖ-Regierungsmitglieder registrieren süffisant lächelnd, dass sich die Opposition vorrangig auf den neuen ÖVP-Chef einschießt.
Einen Fehler hat Kurz allerdings selbst schon zuvor gemacht. Denn während eines Teils der Reden der Klubobleute ist sein Platz auf der Regierungsbank verwaist. Das lassen ihm viele Abgeordnete nicht durchgehen. „Wo ist er?“, schallt es erbost durch den Plenarsaal. Da ist ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka eben am Wort. Der Steirer ist für viele ohnehin ein rotes Tuch, ihm schlägt noch lauteres Hohngelächter entgegen, erst recht, als er verspricht, dass sich die ÖVP „jetzt auf die Arbeit konzentrieren“ werde. SPÖ-Fraktionschef Andreas Schieder ist ruhiger. Er kanzelt, auf Kurz gemünzt, den „Egomanen“ ab.
Die gesamte Opposition sonnt sich in dem Zustand, dass FPÖ, Grüne, Neos und Team Stronach bei der Suche nach einem Wahltermin einiger und schneller als die Noch-Regierungspartnern waren. FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache, vor Wochen noch als mögliche stärkste Kraft in aller Munde, pendelt zwischen staatstragender Attitüde und gewohnter blauer Brachialsprache mit Seitenhieben auf den neuen ÖVP-Konkurrenten: „Bei Kern hat es zwölf Monate gedauert, bis der Lack ab ist. Sie, Herr Kurz, bei Ihnen wird's keine zwölf Monate dauern.“
Bei Grünen-Obfrau Eva Glawischnig kriegt ebenfalls Kurz das weitaus meiste Fett ab. Sie warnt ihn davor, nun eine „Orbanisierung“ des Parlaments durchzuziehen. Das schwarz-blaue Wahlkampfgespenst wird schon einmal von ihr entstaubt. Neos-Chef Matthias Strolz höhnt zwar auch, dass Rot-Schwarz nicht einmal mehr die Kraft habe, „das Chaos zu einem Abschluss zu bringen“. Er kehrt aber vor allem den Staatsmann hervor, der einen „Pakt der Verantwortung fordert, um milliardenteure Wahlgeschenke wie vor der Wahl 2008 zu verhindern.
In der Früh hatte es von Seiten Kerns noch ganz anders geklungen. Die Regierung – oder das, was davon übrig ist – traf sich zu einem frühen Ministerrat im Parlament.
Entschuldigt war nur einer: Reinhold Mitterlehner, offiziell noch Vizekanzler und Wirtschaftsminister. Auch Brandstetter sollte ursprünglich nicht anwesend sein. Am Ende sagte er aber seine geplante Russland-Reise ab. Zumindest der Vizekanzler-in-spe war bei der Regierungssitzung dabei.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2017)