Der Staatschef soll Schweigegeldzahlungen an seinen Parteifreund Cunha gutgeheißen haben. Das belegen Tonbandaufnahmen.
Brasília/Buenos Aires. Die Bombe platzte zur besten Sendezeit. In ihren Hauptnachrichten am Abend meldete Brasiliens größte Sendekette, Globo, es existiere eine Tonaufnahme, die belege, dass Präsident Michel Temer einen Großunternehmer zur Zahlung von Schweigegeld aufgefordert habe. Die Ermittlungen gegen Temer wurden bereits eingeleitet.
Am 7. März habe der Mandatar in seiner Residenz Joesley Batista empfangen, der zusammen mit seinem Bruder Wesley den weltgrößten Fleischkonzern, JBS, besitzt. Der Milliardär berichtete während des Gesprächs, dass er in den kommenden 20 Jahren jede Woche 500.000 Reais (145.000 Euro) an Vertrauensleute des inhaftierten Eduardo Cunha zahlen müsse, damit dieser nicht gegenüber der Justiz auspacke. Cunha, wie Temer führendes Mitglied der liberalen Partei PMDB, war von Februar 2015 bis Mai 2016 der Präsident des brasilianischen Kongresses und ein intimer Kenner des gigantischen Schmiergeldsystems in Brasília. Seine Aussage brächte das gesamte politische System des Landes in Gefahr. Das sah offenbar auch Temer so und sagte zu dem Unternehmer: „Das müssen Sie unbedingt weiterzahlen, ist das klar?“
Was Temer nicht wusste: Der Unternehmer schnitt die Konversation mit, um sich abzusichern. Später markierten Detektive im Firmenauftrag auch die Scheine und filmten die Übergabe des Geldes an einen Mittelsmann. Verhängnisvoll wurde das, nachdem der Fleischkonzern, inzwischen selbst unter dem Druck der Korruptionsermittler, vor ein paar Wochen beschloss, mit der Justiz zusammenzuarbeiten und das Material zu übergeben.
Die Justizbehörden bestätigten bisher die Meldung von O Globo nicht explizit, aber umfassende Durchsuchungen am späten Mittwoch und Donnerstag scheinen die These zu stützen. So wurde unter anderem der Kongress in der Hauptstadt untersucht. Neben Temer haben die Batista-Brüder auch den Senator und Führer der Sozialdemokraten, Aécio Neves, mitgeschnitten, als dieser um eine Spende von umgerechnet etwa 600.000 Euro bat. Er wollte damit die Anwaltskosten bezahlen, die seine Verwicklung in den Petrobras-Skandal mit sich bringt. Am Donnerstagmorgen wurde Neves vom obersten Gerichtshof mit sofortiger Wirkung als Senator suspendiert.
Präsident Temer stritt am Mittwochabend alle Vorwürfe ab. Doch scheinen ihm nur wenige zu glauben, die Kurse an der Börse von São Paulo stürzten Donnerstag ab. Offenbar fürchten die Marktteilnehmer, dass Temer nun sein wichtigstes parlamentarisches Projekt, die Reform des Pensionssystems, nicht mehr durch den Kongress bekommt. Die Neuregelung des Rentenwesens wird als Schlüsselelement angesehen, um die Staatskasse zu entlasten, die während der vergangenen Jahre enorme Defizite von bis zu zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts produzierte. Temer hatte bisher in beiden Parlamentskammern eine Mehrheit von etwa 80 Prozent. Nun könnten viele abspringen.
Temer ließ Donnerstagfrüh verlauten, er habe nicht die Absicht zurückzutreten. Doch kann er das durchstehen? Schon in den Mega-Causas Odebrecht und Petrobras war der PMDB-Chef im Zwielicht, aber ihn schützte die Immunität, weil die angeblichen Delikte vor der aktuellen Amtsperiode stattfanden. Das ist nun anders.
Impeachment-Option
Sollte Temer nicht zurücktreten, kann der Kongress ein Impeachment gegen ihn einleiten. Ob es dazu kommt, ist unklar, denn der Kongresspräsident, Rodrigo Maia, ist ein Verbündeter Temers und ebenfalls Beschuldigter in den Petrobras-Ermittlungen. Eine Schlüsselentscheidung steht am 6. Juni an. Da will das oberste Wahlgericht sein Urteil über die Präsidentenwahl 2014 fällen. Nachdem massive Unregelmäßigkeiten bei der Wahlkampffinanzierung der siegreichen Paarung Rousseff/Temer bekannt geworden sind, könnten die Richter die Wahl für ungültig erklären und Neuwahlen ansetzen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2017)