Spikes bis runde Bänke: Wie Design Verhalten lenkt

Hier ist kein Platz zum Schlafen. Die Einzelsitze statt der Parkbänke, wie hier am Spittelauer Platz im 9. Bezirk, werden auch in Wien sukzessive mehr.
Hier ist kein Platz zum Schlafen. Die Einzelsitze statt der Parkbänke, wie hier am Spittelauer Platz im 9. Bezirk, werden auch in Wien sukzessive mehr.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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50 Cent für U-Bahn-Toiletten und feindliches Design: Wie Architekten, Stadtplaner und Designer das Stadtbild gestalten, zunehmend Verhalten lenken, Räume kontrollieren – und wie unerwünschte Gruppen so fast unbemerkt verdrängt werden.

Nun zahlt man also auch bald für das Benutzen der Toiletten in den Stationen der Wiener Linien. Ab 2018 sollen die Anlagen umgebaut werden, die Zahl wird von derzeit 70 auf 40 reduziert, die Anlagen werden moderner und bald von einem externen Betreiber (die Ausschreibung läuft) übernommen. Spätestens mit 2020 soll das große Umrüsten abgeschlossen sein. Ein Besuch der Toiletten in den Stationen soll dann 50 Cent kosten.

Der Grund für die Umstellung: Die Gratis-WCs seien derzeit so arg von Verschmutzung und Vandalismus beschädigt, dass sie ohnehin oft nicht zur Verfügung stünden. Man nahm sich offenbar ein Beispiel an den ÖBB, die es seit der Umstellung auf die 50-Cent-Schleuse schaffen, ungleich zivilisiertere Toiletten an Bahnhöfen zur Verfügung zu stellen. 50 Cent könnte man – für ältere Leute oder Eltern mit Kindern, die auf öffentliche Toiletten angewiesen sind, etwa – für einen geringen Preis halten, um annehmbare Toiletten zu finden.

Allerdings, die Gelegenheiten kostenfrei ein WC aufzusuchen, schwinden damit in der Stadt. Vor allem für jene, die in Kaffeehäusern vielleicht auch nicht gern gesehen sind. Obdachlose etwa klagen schon jetzt, dass die Situation schwierig geworden ist, seit die Bahnhofs-WCs kostenpflichtig sind. Manchen bleibt da nur der Gang etwa in große Einkaufszentren, Möbelhäuser – oder in die Natur.

Mosaiksteine werden mehr

Es sind Mosaiksteine wie dieser, die 50 Cent fürs Benutzen einer Toilette, die sich für Obdachlose summieren. Andere solcher Mosaiksteine sind kleine Maßnahmen, die ihre Aufenthaltsorte limitieren. Am Platz zwischen dem Westbahnhof und dem benachbarten „blauen Haus“ etwa sind, nach Problemen mit diversen Randgruppen oder Gewalt zwischen diesen, im März die Bänke abmontiert worden, damit es ungemütlicher wird, sich dort die Tage zu vertreiben. Kurz gab es Protest, der ist verhallt.

Ähnliches ist zuvor in Salzburg geschehen: Dort wurden am Bahnhofsvorplatz Bänke abmontiert und nebenan am Busbahnhof Bänke mit Einzelsitzen bzw. Sitz-Streben ersetzt. Auch dort gab es kurzen Protest, man mache Armut unsichtbar, verdränge sie aus der Innenstadt, löse aber keine Probleme.

In Wien stehen seit dem Umbau auch am Platz vor dem Westbahnhof schon schwere Sitzbänke ohne Lehnen und mit metallenen Abtrennungen. Das ist ein Phänomen, das man zunehmend auf öffentlichen Plätzen beobachtet: Statt Parkbänken werden Einzelsitze aufgestellt, Bänke werden mit Armlehnen ausgestattet – oder überhaupt aus kaltem Metall gefertigt. Die Sitzgelegenheiten auf den neuen Bahnsteigen der ÖBB etwa, auf denen man kalt und ungemütlich sitzt.

Architektur als Defensive

Dazu kommen Bänke mit einem fast versteckten Zweck: Wenn etwa die Sitzfläche hervorragt ist das nicht nur hübsches Design, sondern es verhindert auch Drübergleiten mit Skateboards (zu diesem Zweck gibt es auch diverse Spikes oder Metallringe, die auf Bordsteinen oder Kanten aller Art angebracht werden).

Hostile Architektur oder unpleasant Design, also feindliche, ablehnende Architektur und unangenehmes Design, oder defensive Architektur nennt sich das Phänomen, das zunehmend für Debatten sorgt. Die Gestaltung der Städte folgt nicht funktionellen oder ästhetischen Aspekten, sondern soll lenken, wie man sich in einer Stadt verhält, bewegt und aufhält.

Mitunter wird das verpackt in die schöne, moderne Stadtmöblierung: Auf der neuen Mariahilfer Straße etwa sind Bänke teils ohne Lehne gestaltet, auf der Ottakringer Straße, ebenfalls vor wenigen Jahren umgestaltet und neu möbliert, wurden hübsch geschwungene bronzefarbene Sitzbänke aufgestellt, bei denen vielleicht nicht auffällt, dass die geschwungene Form und die metallenen Abtrennungen auch Liegen verhindern.

»»Hostile Architektur« oder »unpleasant Design« sorgt zunehmend für Debatten.
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Ganz neu ist das Phänomen nicht: In Wien, in der Innenstadt etwa, findet man an Prunkbauten kleine metallene Zäune vor Hausecken, die auch verhindern, dass sich dort jemand niederlässt. Und für solche Ecken gibt es auch Platten, die so versetzt angebracht werden, dass jemand, der diese Ecke mit einer Toilette verwechseln sollte, sich selber auf die Beine pinkelt. Im Hamburger Partyviertel St. Pauli gibt es übrigens auch schon eine Art reflektierender Farbe für Häuserwände. „Wir pinkeln zurück!“ steht auf Schildern.

Solche Ideen und Objekte werden in den Städten mehr – und innovativer. Das Design der runden Mistkübel mit schrägen Abdeckung und kleiner Einwurf-Öffnung etwa verhindert auch, dass jemand hinein greifen und nach Nahrungsresten suchen kann. Auf der anderen Seite verhindert der so genannte Anti-Dumpster-Bin auch, dass jemand etwas auf dem Mistkübel abstellt. In Wien findet man diese zylinderförmigen Tonnen etwa auf der Mariahilfer Straße oder vor Bahnhöfen.

Links: Die neuen  Sitzgelegenheiten am Salzburger Busbahnhof. Mitte: eine eigenwillige Sitzkonstruktion in der Ottakringer Straße. Rechts: ein „Etwas“ zum Sitzen, aber nicht zum Liegen am Wiener Westbahnhof.
Links: Die neuen Sitzgelegenheiten am Salzburger Busbahnhof. Mitte: eine eigenwillige Sitzkonstruktion in der Ottakringer Straße. Rechts: ein „Etwas“ zum Sitzen, aber nicht zum Liegen am Wiener Westbahnhof.Christine Imlinger

Toleranz vs. Sicherheitsgefühl

Die Bahnhöfe als Anziehungspunkt klassischen Bahnhofsklientels sind Paradebeispiele dieser neuen Gestaltungsformen: Auch die Gebäude sind so gestaltet, dass man sich dort nicht gerne lange aufhält – lange Sichtachsen, kühle, glatte Oberflächen usw. Das soll nicht nur unerwünschten Personen den Aufenthalt vermiesen, sondern auch bei Passagieren für ein Sicherheitsgefühl sorgen. In diesem Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und dem Umgang mit Menschen, denen wenige Aufenthaltsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, wurde am Westbahnhof lange über Maßnahmen diskutiert: Man entschied sich im Jänner schließlich wegen anhaltender Probleme den Zugang zum kostenlosen W-Lan zu limitieren.

Eine Maßnahme, die eher gegen herumlungernde Jugendliche denn gegen Obdachlose gerichtet ist. Die sind eine beliebte Zielgruppe von Abwehr-Design: In der britischen Stadt Mansfield etwa fühlten sich Anrainer und Geschäftsleute von Jugendgruppen belästigt, also wurde zu einem subtilen Mittel gegriffen, um diese an empfindlicher Stelle zu treffen: Sie installierten pinkfarbenes Licht, das Hautunreinheiten der Jugendlichen besonders deutlich sichtbar machen sollte. Wo sich Teenager hässlich fühlen, da halten sie sich nicht auf. Angeblich war das erfolgreich. Auf farbiges Licht setzt man bekanntlich auch in öffentlichen Toiletten: Ein Blauton sorgt dafür, dass Drogenkonsumenten ihre Venen nicht finden.

»Spikes gegen Obdachlose, »Mosquito Sound« und pinkes Licht gegen Jugendliche.
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Ein anderes Mittel, man findet es als „Mosquito Sound Teenager Repellent“, stammt ebenfalls aus Großbritannien: Ein Gerät soll mit einem schrillen Ton in einer Frequenz, die Erwachsene nicht hören können, ebenso Herumlungern verhindern. Als so ein Gerät vor ein paar Jahren vor einem Sexshop auf der Mariahilfer Straße montiert wurde, sorgte das für so viel Aufregung, dass der Betreiber zusagte, es werde nicht verwendet. Überhaupt wurden solche Maßnehmen, die für Disziplin und Sauberkeit, aber auch Ausgrenzung sorgen sollten, schon durch Protest verhindert.

Wiener reagieren mit Protest

Als vorigen Sommer im Esterhazypark beim Haus des Meeres in Mariahilf Holzblöcke als eine Art Liegesperren auf Bänke geschraubt wurden, sorgte das für Protest: Rasch hieß es, diese seien ohnehin nur als Provisorium angebracht gewesen, um Skaten zu verhindern. Heute gibt es Trenner im Esterhazypark nicht, auch in den jüngsten warmen Nächten sah man Obdachlose dort auf Bänken schlafen.

Überhaupt sind solche Steuerungsmaßnahmen in Wien im Vergleich wenig weit verbreitet. Auch, wenn es von offiziellen Stellen stets heißt, dass es Ziel sei, dass sich Randgruppen nicht im öffentlichen Raum aufhalten müssen. Bett statt Parkbank, quasi. Und dementsprechend ist die Präsenz mancher Randgruppen, von Drogenkonsumenten etwa, in den vergangenen Jahren in Wien zurückgegangen.

Aber auch in anderen Städten regt sich Widerstand gegen solche Maßnahmen. In London etwa wurden 2014 metallene Spikes in Hauseingängen und Ecken entfernt, und auch die Supermarktkette Tesco ließ Spikes nach Protesten vor Eingängen entfernen.

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