Republikaner und Demokraten teilen das Entsetzen über den Anschlag auf einen der Ihren. Politischer Hass spaltet die Nation, Präsident Trump mahnt zur Einheit.
Washingtons politische Klasse stand unter Schock, und das wurde auch am Donnerstagabend beim jährlichen Benefiz-Baseballspiel zwischen Republikanern und Demokraten im National Park in der US-Hauptstadt deutlich – einem der raren freundschaftlichen Begegnungen der politischen Lager jenseits des Kapitols. Dass das Match dennoch über die Bühne ging, war ein Zeichen des Trotzes und des Zusammenhalts der ansonsten in herzlicher Rivalität verbundenen Parteien unter dem Eindruck des Attentats auf den hochrangigen republikanischen Abgeordneten Steve Scalise.
Der beliebte Politiker und glühende Baseball-Fan aus Louisiana, stets mit einem Scherz auf den Lippen, hatte sich wochenlang auf dieses Spiel vorbereitet – so wie der 66-jährige James Hodginson auf das Attentat. Beim Frühtraining am Mittwoch eröffnete der Bernie-Sanders-Anhänger, der das Areal seit Wochen ausgespäht hatte, das Feuer auf Scalise und seine Parteifreunde. Nur die Polizei und eigene Bodyguards verhinderten ein Blutbad auf dem Trainingsfeld in Alexandria, einem idyllisch am Potomac gelegenen Städtchen. Es wäre Schauplatz eines Massakers geworden, gab sich Rad Paul, der republikanische Senator, überzeugt.
Erinnerung an Gabrielle Giffords
Die Polizisten retteten dem 51-jährigen Parlamentarier vermutlich das Leben. Mit schweren Verletzungen wurde er in ein Spital im Washingtoner Stadtteil Georgetown eingeliefert, wo er jedoch weiterhin in Lebensgefahr schwebte. Hodgkinson dagegen erlag seinen Verwundungen, die er im minutenlangen Gefecht mit der Polizei erlitten hatte.
Paul Ryan, der republikanische „Speaker“, der Vorsitzende des Repräsentantenhauses, sprach aus, was viele dachten. Er erntete selbst die Zustimmung Nancy Pelosis, seines demokratischen Widerparts. „Wir sind vereint in unserem Schmerz“, sagte Ryan. „Bei allem Lärm und aller Wut sind wir doch eine Familie. Ein Anschlag auf einen von uns ist ein Anschlag auf uns alle.“ Es war ein Echo auf die Worte seines Vorgängers John Boehner, die er nach dem Attentat auf die demokratische Abgeordnete Gabrielle Giffords vor mehr als sechs Jahren formuliert hatte.
Gedämpfter Präsident
Auch damals ging vielen Politikern in Washington das Attentat bei einer Kundgebung vor einem Supermarkt in Tucson, Arizona, in Mark und Bein. Giffords, schwer gezeichnet von dem Anschlag, ist mittlerweile aus der Politik ausgeschieden und setzt sich für restriktivere Waffengesetze ein. Ohne großen Erfolg allerdings: Viele Parteifreunde Scalises plädierten prompt für eine Liberalisierung des relativ strikten Waffenrechts in der Hauptstadt, um sich besser gegen derlei Attentate zu schützen. Nur mit einer Waffe lässt es sich dagegen wappnen, lautet das Argument der Waffenlobby NRA.
Selbst der Präsident zeigte sich ungewohnt gedämpft. Am Abend seines 71. Geburtstag präsentierte sich Donald Trump den Amerikanern in einer neuen Rolle: leise, nachdenklich und mit einem Appell, den Hass zu überwinden, der seit seiner Wahl die Nation polarisiert. Demonstrativ stattete er mit Ehefrau Melania seinem Parteifreund Scalise einen Besuch in der Intensivstation ab. Trump verzichtete vorerst auf die scharfe parteipolitische Rhetorik und darauf, politisches Kapital aus der Schießerei zu schlagen. Vielmehr rief er seine Landsleute zu Ruhe, Besonnenheit und Einheit auf.
Nicht alle Trump-Anhänger legten so viel Zurückhaltung an den Tag: Einige sprachen von den ersten Schüssen in einem neuen Bürgerkrieg. das. „Anti-Trump-Hysterie macht Leute zu Mördern“, lautete der Kommentar eines Trump-Fans. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis die Republikaner ebenfalls zu den Waffen griffen, schrieb ein anderer.
Hodgkinson hegte seit Langem Groll auf Trump und die Republikaner. „Trump ist ein Verräter“, schrieb er auf Facebook. „Trump hat unsere Demokratie zerstört. Es ist an der Zeit, Trump und Co. zu zerstören“. Die Lokalzeitung „Belleville News-Democrat“ meldete, Hodgkinson habe mehreren regierungskritischen Vereinen angehört, darunter einem mit dem Namen „Macht Schluss mit der Republikanischen Partei“. Bernie Sanders, der linksliberale Ex-Präsidentschaftskandidat der Demokraten, distanzierte sich scharf von dem Akt der Gewalt.
Schon vor der Schießerei in Alexandria hatten Gefolgsleute des Präsidenten beklagt, liberale und linke Kreise im Land gingen in ihrer Opposition gegen Trump zu weit. Die Komikerin Kathy Griffin ließ sich mit einer blutverschmierten Trump-Maske abbilden, die so aussah, als sei der Präsident gerade enthauptet worden. In New York sorgt derzeit eine Inszenierung des Shakespeare-Dramas „Julius Cäsar“ für eine Kontroverse, weil die Titelfigur Züge Trumps trägt.
Rechtsradikale Gewalt
Auch Rechtsradikale in den USA haben in jüngster Zeit mit tödlicher Gewalt für Schlagzeilen gesorgt. Im Mai erstach ein Rechtsextremist in Oregon zwei Männer, nachdem diese einige muslimische Frauen gegen Hassparolen des Täters in Schutz genommen hatten. Vor Gericht bezeichnete sich der Gewalttäter als „Patriot“. Der Fall löste eine Debatte darüber aus, ob sich Nationalisten von Trump zu Gewaltaktionen animiert fühlen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2017)