Seinen Vorschlag, auch die Mittelmeerroute zu schließen, will Außenminister Kurz nun mit dem Bundeskanzler persönlich besprechen. Doch Kern erneuert seine scharfe Kritik am „Schlagzeilenproduzenten“ Kurz.
Wien/Luxemburg. Eines der Themen für den längst angelaufenen Nationalratswahlkampf dürfte feststehen. Soll die Mittelmeerroute für Flüchtlinge geschlossen werden, und wenn ja: wie?
Außenminister ÖVP-Obmann Sebastian Kurz bekräftigt: Ja, sie soll geschlossen werden. Am Montag hat er diese Forderung gegen Kritik von Bundeskanzler SPÖ-Chef Christian Kern verteidigt: „Ich bin überzeugt davon, dass dies am Ende des Tages die Linie der Europäischen Union sein wird“, sagte Kurz am Rande des EU-Außenministertreffens in Luxemburg. Alles andere führe zu „immer mehr Menschen, die zu uns kommen, und vor allem zu immer mehr Toten“.
Der neue Vorstoß des Außenministers erfolgt nur wenige Tage vor dem nächsten EU-Gipfel, an dem Kern teilnimmt, am Donnerstag dieser Woche. Dabei steht das Thema Migration im Mittelpunkt. In schwarzen Parteikreisen herrscht Unmut: Gäbe es nicht „einige wenige skeptische EU-Regierungschefs, wären wir in der EU schon weiter“, heißt es. Dabei liegen die Positionen der beiden rot-schwarzen Konkurrenten im Nationalratswahlkampf grundsätzlich gar nicht so weit auseinander. Kurz drängt auf den Rücktransport von Flüchtlingen, die im Mittelmeer aufgegriffen werden, nach Afrika.
Auch der SPÖ-Vorsitzende hat sich in der Vergangenheit bereits für Lager in Nordafrika ausgesprochen. Dennoch hat sich zuletzt eine emotional ausgetragener Konflikt entwickelt und zugespitzt. Dem Außenminister war sogar bisweilen von manchen Gegnern seines Vorschlags vorgeworfen worden, er nehme letztlich in Kauf, dass Betroffene ertrinken.
Vorerst ist ungewiss, ob und wann es in Österreich zwischen dem Kanzler und dem ÖVP-Obmann zu einer Aussprache zu dem Thema kommt. Kurz hat via ORF-Radio angekündigt, er wolle ein Gespräch mit Kern führen. Im Kanzleramt wurde der „Presse“ auf Anfrage erklärt, bis Montagnachmittag habe das Außenamt um keinen Termin für dieses Gespräch angefragt. Zu einem Treffen solle es „bei nächster Gelegenheit“ kommen, wurde im Büro von Kurz versichert.
Aber auch an der Vorgangsweise zur Eindämmung des Flüchtlingsstroms über das Mittelmeer gibt es Differenzen. In Luxemburg ließ Kurz gegenüber Journalisten offen, wie seine Pläne zum Schließen der Mittelmeerroute konkret aussehen. In seinem Büro wurde betont, diese Vorschläge seien von Kurz „schon unterbreitet“ worden. Ferner wird darauf verwiesen, diese Pläne auch mit Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil, also dem zuständigen SPÖ-Ressortchef in Kerns Team, akkordiert zu haben.
Neuer Schlagabtausch
Kurz: „Solange die Menschen nach Mitteleuropa weitergebracht werden, so lange werden sich immer mehr auf den Weg machen, die Schlepper werden immer besser verdienen, und das Schlimmste: Es werden immer mehr Menschen ertrinken.“ Er will, dass die Flüchtlinge nach der Rettung aus dem Meer an der EU-Außengrenze gestoppt, versorgt und nach Nordafrika zurückgestellt werden.
Kern vermisst allerdings weiter Antworten von Kurz auf zwei Fragen, wurde im Kanzleramt bekräftigt. Erstens: Wie viel Geld müssten die Steuerzahler für das Schließen der Mittelmeerroute aufbringen? Zweitens: Was macht Österreich, wenn zum Schutz von Lagern im unsicheren Nordafrika auch der Einsatz von Militär und Soldaten aus EU-Staaten notwendig werde? Der Kanzler hält an seiner Kritik fest und nannte Kurz einen „Schlagzeilenproduzenten“. Ob er seinen Ausspruch „populistischer Vollholler“ vom Donnerstag der Vorwoche bereue? „Nicht im Geringsten“, betonte Kern. (red.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.06.2017)