Warum wir Jane Austen noch immer lieben

Portrait von Jane Austen, gemalt von Ozias Humphry (1742-1810).
Portrait von Jane Austen, gemalt von Ozias Humphry (1742-1810).STAN HONDA / AFP / picturedesk.com
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Es ist schwer jemanden zu finden, der Jane Austen, ihre Romane und die Verfilmungen nicht mag. Acht Gründe, warum die Lady 200 Jahre nach ihrem Tod noch so viele Fans hat.

Warum wir Jane Austen lieben . . .

1. Weil sie jeden Kult um ihre Person verweigerte

Wer war sie überhaupt, wie sah sie aus? War es typisch weibliche Selbstbescheidenheit, dass niemand etwas über sie erfuhr? Oder wollte sie das Interesse nur auf ihre Werke lenken? Über Jane Austen wusste man nicht viel mehr als über Shakespeare. Kein Autorenname schmückte die Romane, „By a Lady“ war da zu lesen, natürlich begann sofort das beliebte Autoren-Rätselspiel. Geheimnisse und verwickelte Handlungsverläufe gab es also nicht nur in ihrem Romanen, sondern auch rund um ihre Person. Ein einziges authentisches Porträt tauchte auf, von ihrer Schwester Cassandra gemalt. Sie ist da - mit sehr markanten Gesichtszügen, verkniffenem Mund, spitzer Nase, zu vollen Wangen - so wenig hübsch anzusehen, dass man das Bild später einem Facelifting unterzog. So spröde stellte man sie sich nicht vor, das konnte man nicht so lassen. Erst nach ihrem Tod wurde das damals bereits hochgeschätzte Werk mit ihrem Namen verbunden. Auf ihrer Grabtafel stand: Hier liegt Jane Austen, Tochter eines Pfarrers. Verurteilte sie der Zeitgeist zur Unsichtbarkeit? Oder genoss sie das Versteckspiel, die Freiheit, die ihr die Anonymität verschaffte, um den Blick von sich weg zu lenken, hin zu den literarischen Figuren?

2. Für den Satz: „Eine Frau sollte, wenn sie schon das Unglück hat, irgendetwas zu wissen, es immer so gut wie möglich verbergen.“

Die Bildung der Töchter war auch im kultivierten Pfarrhaus der Austens sekundär und ein Hindernislauf für die zwei wissbegierigen Schwestern. Man hatte nichts Konkretes mit ihnen vor außer: eine vorteilhafte Heirat. (Es gab zu viele Brüder, sechs insgesamt.) Was sollte man später auch mit dem erworbenen Wissen anfangen? Für eine gebildete Frau gab es in der patriarchalischen Gesellschaft keinen Platz, die Heiratschancen vergrößerten sich dadurch nicht im Geringsten. Musik, Gesang, fremde Sprachen, Zeichnen „wird einer Frau einigen Beifall einbringen, doch keinen weiteren Liebhaber“, heißt es im Roman „Lady Susan“. So erhalten einige ihrer Heldinnen leicht androgyne Züge: Eine Frau muss maskuline Eigenschaften annehmen, um sich in der Welt der Männer zu bewähren.

Die Leiterin von Janes Mädchenschule brachte den Mädchen bei, wie man Kleider wäscht, Tee zubereitet und ein Dinner organisiert, doch obwohl die Verhältnisse im Hause Austen nicht allzu üppig waren: Dafür besaß man Dienstpersonal. In ihrem Roman „Emma“ machte sie sich über Pensionate lustig, „wohin man Mädchen schicken kann, damit sie aus dem Weg sind und sich ein bisschen Bildung zusammenkratzen können, ohne Gefahr zu laufen, als Genie zurückzukommen.“ Ihre Romanheldinnen verbringen die Zeit mit Lesen, Handarbeit, Briefeschreiben, Klavierspielen. Die Bibliothek im Hause Austen war außerordentlich gut bestückt. Doch es galt: „Mädchen sind nicht interessant, solange sie nicht erwachsen sind.“

Engraving of Jane Austen and her sister Cassandra doing needlework in the rectory garden Dated 1810
Engraving of Jane Austen and her sister Cassandra doing needlework in the rectory garden Dated 1810imago/United Archives International

3. Weil sie mit subtiler Kunst Gesellschaftskritik betrieb

Jane Austen gehörte zum „Pseudo-Adel“, gebildete, wohlerzogene Leute waren das ohne großes Einkommen. Lange glaubte man, sie beschreibe in den Romanen eine eigene Welt, die des oberen Mittelstands, der „Gentry“, die mit der realen Welt nichts zu tun habe. Sieht man genauer hin, merkt man, wie oft bei ihr von Geld die Rede ist, bemerkt man die präzisen für ihre Zeit ungewöhnlichen Angaben über Vermögensverhältnisse, Mitgift und Erbschaften. Heute wird Jane Austen als unbestechliche Autorin und feinfühlige Kritikerin gesehen, die zum sozialen Wandel ihrer Zeit Stellung nimmt.

25 Jahre lang lebte Jane Austen in einer langweiligen ländlichen Agrargemeinde, Steventon, in der Grafschaft Hampshire, sah die Armut und Existenznot rundherum, auch die großen sozialen Unterschiede. Wer arm war, galt in der Familie als unfähig zum Aufstieg, hatte aber das Recht, dass ihm Wohlhabendere halfen. Dennoch hielt man sich Dienstboten und hatte viel Zeit zur Reflexion des Innenlebens, zum Nachdenken über die eigenen Gefühle. Sprachliche Gewandtheit und die Fähigkeit, sich leutselig und zwanglos zu unterhalten, war für die Gentry selbstverständlich. Verstöße dagegen, etwa durch die Wahl eines undelikaten Gesprächsthemas, wurden sofort als bedauerlicher Mangel an gesellschaftlicher Vollkommenheit gedeutet und kritisiert. Jane Austens Romane lassen spüren, wie sehr dieses gesellschaftliche Korsett, die ständige Wahrung höflicher Formen, Frustrationen mit sich brachte. Ihre Heldinnen litten schwer darunter; dass dahinter bittere eigene Erfahrungen der Autorin stecken, liegt auf der Hand. 

Durch Erbgesetze und Verehelichungen konnte die Finanzlage einzelner Familienmitglieder extrem verschieden sein, auch bei den Austens, auch in all ihren Romanen. Trotz der Vermögensunterschiede blieb aber die soziale Etikette stets bewahrt, der persönliche Verkehr war in dieser Schicht eben hochgradig formalisiert, steif und kühl. Man sprach miteinander, aber in Floskeln. Ehefrauen nennen ihren Ehemann etwa „Sir Thomas.“ Dass es Modernisierungen gab, im Eisenbahnwesen, in der Textilindustrie, wurde im landwirtschaftlich bestimmten Südengland, über das Jane Austen nicht hinauskam, noch nicht zur Kenntnis genommen.

4. Weil sie lieber ledig blieb als einen Schnösel zu heiraten

Ab dem 18. Lebensjahr begann Jane Austen ernsthaft zu schreiben, an ihrem kleinen runden Mahagoni-Schreibtisch entstanden die ersten Fassungen ihrer großen Romane „Verstand und Gefühl“ („Sense and Sensibility“) und „Stolz und Vorurteil“ („Pride and Prejudice“). Sie wurde dabei von der Familie unterstützt, später entstand die Legende, sie habe nur im Verborgenen arbeiten können, aus Angst ertappt zu werden. Die junge Frau ging gerne auf Bälle, besuchte private Gesellschaften, bei zwei Flirts hatte sie Pech: Die Männer kamen ihr abhanden. Es tauchte die Frage auf: Was, wenn sie ledig blieb? Man gab jungen heiratsfähigen Frauen damals fünf bis acht Jahre für die Partnersuche, dann war der Zug in der Regel abgefahren. Nur über ihre Ehemänner konnten Frauen zu Vermögen und Eigentum kommen, erbberechtigt waren sie nicht. So war die Heirat für eine Frau die einzige Möglichkeit, einen sozial unabhängigen Status zu erhalten. Gelang das nicht, war der Ausweg höchst unbefriedigend. Das kam oft vor, die Frauen verblieben in materieller Abhängigkeit von ihren Familien, übten dort Aufgaben als Haushälterinnen und Kindererzieherinnen aus. Im bürgerlichen Sinne selbständig wurden sie nie. Nur mit Widerwillen wurde in den Romanen über dieses Los gesprochen.

„Jane ist bald eine alte Jungfer. Sie ist fast dreiundzwanzig! Gott wie würde ich mich schämen, wenn ich mit dreiundzwanzig noch nicht verheiratet wäre!“ sagt eine Tussi in „Stolz und Vorurteil“. Als Jane Austen diesen Satz schrieb, war sie genau 23. Auch die vier Jahre ältere Schwester war noch unverheiratet, es lag wohl an der fehlenden Mitgift. Oder war Janes Mundwerk zu frech? Hatte sie Torschlusspanik? Sicher. Den Romanheldinnen kam oft der Zufall zu Hilfe, Marianne Dashwood stolpert ihrem Mann geradezu in die Arme oder plötzlich klopft ein Ehemann an die Tür.

5.  Weil sie die sogenannte „gute Gesellschaft“ für „dümmlich“ hielt

Als die Situation in Steventon zu aussichtslos wurde, übersiedelte die Familie in den noblen Kurort Bath: Hierher fuhr man nicht zur Erholung, sondern mit bestimmten Absichten. Hier gab es ein reges Gesellschaftsleben, das erschien den Eltern als letzte Chance, die herausgeputzten Töchter doch noch an den Mann zu bringen. Verwandte bemühten sich, sie in die höheren Kreise einzuführen, doch Jane zeigte sich undankbar, fand die gute Gesellschaft „dümmlich“, sie verachtete die „biederen Frauen … und erst die Männer! Sie waren unendlich viel schlimmer! Die Straßen wimmelten von Vogelscheuchen. Man merkte richtig an der Wirkung, die ein Mann von akzeptabler Erscheinung hervorrief, wie wenig die Frauen an den Anblick von etwas Erträglichem gewöhnt waren.“ Ein jüngerer Mann interessierte sich für sie, sie überlegte sicher, ob das nicht mehr Perspektive hätte als die vollkommene materielle Abhängigkeit von der Familie, doch: „Alles ist wünschenswerter und erträglicher als eine Heirat ohne Liebe.“ Sie spottete gerne über die Einfalt der jungen Männer und Damen auf den Bällen und schrieb über eine feine Dinnergesellschaft: „Armut in keiner Form war zu bemerken, außer im Gespräch – aber da war der Mangel erheblich.“

Portrait de l ecrivain anglais Jane Austen 1775 1817 AUFNAHMEDATUM GESCHAeTZT PUBLICATIONxINxGERx
Portrait de l ecrivain anglais Jane Austen 1775 1817 AUFNAHMEDATUM GESCHAeTZT PUBLICATIONxINxGERximago/Leemage

6. Weil sich heute noch Fans zu Jane-Austen-Tanzworkshops treffen

In Jane Austens Romanen, auch in den Verfilmungen wird fleißig getanzt, sie selbst war auch eine gute Tänzerin. Wie sonst sollen sich Elizabeth Bennet und Fitzwilliam Darcy in „Stolz und Vorurteil“ näherkommen als beim Country Dance? Tänze waren anscheinend die Unterhaltung schlechthin bei Festen und Bällen. Man stellte sich in „Gassen“ auf, so besteht die Chance, dass jeder mit jedem einmal tanzt, das kann mit distanzierter Miene sein, dann mag man das Gegenüber nicht, oder freundlich lächelnd. Das Menuett, eine langsame, feierliche Angelegenheit, war schon längere Zeit aus der Mode, in Wien tanzte man damals Walzer („Der Kongress tanzt“), aber den kannte Jane Austen mit Sicherheit nicht, stattdessen tanzte man Quadrille, Cotillon, Longways. Manchmal ging es der Länge nach durch den Raum, Damen und Herren in getrennten Reihen, wie sollte man da flirten? Schwer möglich. Die höchstrangige Dame durfte den Tanz anführen, Statusrangeleien waren nicht selten. Manchmal wurde der Tanzpartner durch ein Los zugeordnet. Die Taillen waren bereits ungeschnürt, das Korsett aus der Mode, Frauenkleider waren locker, bequem und durchsichtig. Moralapostel meinten: Mit dem Korsett ging auch die Moral flöten. In den Verfilmungen sieht man oft Tänze, die zu Jane Austens Zeit nicht mehr getanzt wurden.

7. Weil sie trotz miserabler finanzieller Verhältnisse nicht locker ließ

Nach dem Tod des Vaters 1805 wurde die finanzielle Situation der Familie erheblich schlechter. Sie war auf Almosen aus der Verwandtschaft angewiesen und gehörte zu jenen, auf die man herabsah, weil sie kaum noch am gesellschaftlichen Leben teilnehmen konnte. „Meine Tante hat es sehr eilig, mir einen neuen Hut zu bezahlen, kann sich aber nicht dazu durchringen, mir wirklich das Geld dafür zu geben“, schrieb sie. Armut macht zynisch. Die Familie zog sich also aus Bath zurück, wusste aber noch gar nicht, wo sie wohnen würde. Fünf Jahre Bath waren eine verlorene Zeit für Jane Austen, eigentlich ein Alptraum, sie brachte keinen Roman zu Ende, zwischen ihrem 26. und 34. Lebensjahr gelang ihr kein einziges abgeschlossenes Werk, eine unglaubliche Durststrecke, und sie war noch immer nicht verheiratet. Alte Jungfer zu sein war schon schlimm, arme alte Jungfer zu sein noch schlimmer.

Interessierte sie sich überhaupt für das Eheleben? In ihren Romanen geht es immer nur um die Eheanbahnung, was danach kommt, wird weggeblendet oder endet disharmonisch. Schließlich landete die Familie durch die finanzielle Unterstützung von Bruder Edward Austen in einem Dorf, Chawton Cottage wurde für Jane und die hypochondrische Mutter der Wohnsitz. Jetzt endlich wurde Jane Austen zu der hart und besessen arbeitenden Autorin, die mit ihren Romanen Geld verdienen wollte. 1811 erschien das schon lange konzipierte „Verstand und Gefühl“, ein Meisterwerk, das ihr endlich ein ansehnliches Honorar einbrachte. Sie sah jetzt Chancen für die Zukunft: Unabhängig sein, schreiben, Geld verdienen, das Leben selbst in die Hand nehmen. Sie ging shoppen in London, kaufte sich schöne Kleider und Hüte: Endlich!

8. Weil sie uns so virtuos ironisch von den Liebessorgen ihrer jungen Frauen erzählt

Auch die Erstauflage von „Stolz und Vorurteil“ war nach sechs Monaten ausverkauft, der Roman wurde positiv rezensiert, unmöglich, so die Meinung, dass das Meisterwerk von einer Frau stammen könnte. Vor allem wurde die Verbindung von Heiterkeit und Kritik gerühmt. Als ihre große Stärke stellte sich die geistreich-ironische Erzählweise und die virtuose Charakterzeichnung heraus. Immer trafen ihre Dialoge den richtigen Ton, das war ihre besondere Begabung: „Dass dieser Geist sich in England im Kopf einer wohlerzogenen Jungfer, der Tochter eines Landgeistlichen angesiedelt hat, die nie mehr von der Welt sah als das, was kurze Besuche in London und ein mehrjähriger Aufenthalt in Bath ihr ermöglichten, und die ihr Thema vor allem in den Problemen junger Provinzmädchen auf Männerjagd fand“, bezeichnete die Literaturkritik (Edmund Wilson) als „eine der groteskesten der vielen Anomalien der englischen Literaturgeschichte.“

Es sind „nur“ Geschichten von den Lebens- und Liebessorgen junger Damen, vorgestellt in einem leichten und eingängigen Ton. Mozarts Musik schien manchem als der angemessene Vergleich, um diese Kunst zu charakterisieren. Wie Mozart war Jane Austen nur ein kurzes Leben vergönnt, sie starb im Alter von 41 Jahren. Und wie bei Mozart kann man bedauernd feststellen: Was wäre bei einem längeren Leben da noch alles entstanden.

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Am 18. Juli 1817 starb Jane Austen, 41 Jahre alt. Da hatte sie mit den vier Romanen „Vernunft und Gefühl“, „Stolz und Vorurteil“, „Emma“ und „Mansfield Park“ gerade einmal 630 Pfund verdient – und kein einziger davon war unter ihrem Namen erschienen. Als das Schreiben für Frauen anstößig war: zum 200. Todestag.

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