Wie ein Neooligarch Altoligarchen attackiert

Wladimir Jewtuschenkow, angezählt.
Wladimir Jewtuschenkow, angezählt.(c) REUTERS (Sergei Karpukhin)
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Ein dubioser Justizfall hält Russlands Wirtschaft in Atem. Ein Staatskonzern will den Privatkonzern Sistema in die Knie zwingen. Die Causa zeigt: Ein Mann im Land genießt Narrenfreiheit, Igor Setschin, genannt der russische Darth Vader.

Wien. Die Causa, die in Russland verhandelt wird und auch westliche Investoren in Atem hält, erinnert auffällig stark an den Fall des Ölkonzerns Yukos. Dieser war vor gut einem Jahrzehnt zerschlagen worden, nachdem zuvor noch sein heute weltberühmter Chef und Oligarch Michail Chodorkowski hinter Gitter gebracht worden war, ehe er nach zehn Jahren Haft über Vermittlung des deutschen Ex-Außenministers Hans-Dietrich Genscher freiging.

Auch im aktuellen Fall liegen sich wieder mächtige Konzernchefs in den Haaren, obwohl es angeblich um nichts Persönliches geht, wie zumindest der eine der beiden, Igor Setschin, Chef des landesweit größten und staatlichen Ölkonzerns Rosneft, behauptet. Und auch aktuell lautet das Match wieder auf Staat gegen privat, das in der Ära Wladimir Putins gemeinhin zugunsten von Staatsbetrieben ausging, während Privatinvestoren auf Verlusten sitzenblieben. Gestern ging der Gerichtsprozess in die nächste Runde und wurde um eine Woche vertagt.

Aber was ist es, worum Rosneft mit dem privaten Mischkonzern AFK Sistema ficht, der im Besitz des 68-jährigen Multimilliardärs Wladimir Jewtuschenkow steht und zu dem etwa der landesweit größte Mobilfunkkonzern, Unternehmen für Raketentechnik oder eine riesige Holzindustriegruppe gehören? Es geht im weitesten Sinn um Öl, im engeren Sinn um Geld und nebenbei noch um die Demonstration von Macht, von der in der russischen Wirtschaft niemand so viel hat wie Igor Setschin. Nicht zufällig wird der 56-jährige Mann mit der mürrischen Physiognomie auch der russische Darth Vader genannt. Im Unterschied zu ihm, dem einstigen Militärdolmetscher in Afrika, der mit Putin politisch und wirtschaftlich groß wurde und der Inbegriff der Loyalität ist, haben die traditionellen und alten Magnaten selbst dann nichts zu melden, wenn sie sich wie Jewtuschenkow politisch nie gegen Putin gestellt haben. Gerade wenn es um die Konsolidierung des russischen Ölsektors geht, scheint Setschin freie Hand zu haben.

Es geht um 2,45 Mrd. Euro

Konkret also verlangt Rosneft von AFK Sistema etwa 170 Milliarden Rubel (umgerechnet 2,45 Milliarden Euro) an Entschädigung für erlittene Verluste beim zugekauften Ölkonzern Bashneft. Zur Vorgeschichte: Das landesweit sechstgrößte Ölunternehmen, Bashneft, war 2009 von AFK Sistema erworben worden. Jewtuschenkow baute das Unternehmen um und machte es zu einem der effizientesten auf dem Markt. Das ging gut bis 2014, als der Staat plötzlich Jewtuschenkow für Monate unter Hausarrest stellte und den Baschneft-Konzern renationalisierte. Schon damals galt Setschin als Strippenzieher. Jewtuschenkow seinerseits, der Informationen der „Presse“ zufolge damals sogar seine Familie aus Sicherheitsgründen ins Ausland bringen wollte, verzichtete auf Revision und erzielte immerhin eine Aufhebung des Hausarrests.

Das Schicksal des Ölunternehmens Bashneft war damit freilich noch nicht endgültig geklärt. Zwei Jahre sollte es dauern, ehe Setschin wieder zuschlug: Im Vorjahr übernahm er das Unternehmen aus der staatlichen Vermögensverwaltung und überführte es in seinen Rosneft-Konzern, der heute nach Reserven der größte seiner Art in der Welt ist. Anfang Mai 2017 schließlich dann die Bombe: AFK Sistema sollte Milliarden Entschädigung zahlen, weil der Bashneft-Konzern bei der Umgestaltung durch Jewtuschenkow an Wert verloren habe.

„Juristische Farce“

Davon war wohlgemerkt zur Zeit der Übernahme durch Rosneft nicht die Rede gewesen. Sistema weist denn auch die Vorwürfe entschieden zurück und spricht von einer juristischen Farce. Wie „Die Presse“ aus informierten Kreisen erfahren hat, verfügt ein Teil der von der Klägerseite hinzugezogenen Experten nicht einmal über ausreichend Kompetenz, einer von ihnen ist gar Student ohne Abschlussdiplom.

Das Desaster auf dem Markt ist ohnehin angerichtet. Die auch in London gelisteten Sistema-Aktien, die vielfach von ausländischen Investoren gehalten werden und die schon im Zuge der Renationalisierung von Bashneft 2014 um drei Viertel gefallen waren, sackten am 3. Mai 2017 um 37 Prozent ab und haben sich auch nicht mehr erholt.

Auch Putin kann nicht helfen

Wie am Ende der Rechtsstreit auch ausgeht, für das Investitionsklima ist die Causa in jedem Fall verheerend. So wird der Fall von Analysten wiederholt als Beispiel für das unterentwickelte Rechtssystem hergenommen – bislang wurden nur die Anliegen der Klägerseite vor Gericht erfüllt. Dieses Rechtssystem ist mit dafür verantwortlich, dass sich der russische Aktienmarkt seit Jahren seitwärts bewegt und immer noch um 60 Prozent unter dem Allzeithoch von 2008 liegt. Vier ausländische Sistema-Aufsichtsräte, zu denen der ehemalige britische Industrieminister Peter Mandelson gehört, haben sich nun sogar mit einem Brief an Putin gewandt, er möge in den Streit eingreifen, was der Kreml unter Verweis auf das Gericht ablehnt.

Setschin, der wohlgemerkt vor fünf Jahren seinen zweitgrößten Konkurrenten, TNK-BP, geschluckt hat, gilt übrigens auch als Mastermind hinter der Zerschlagung des eingangs erwähnten Yukos-Konzerns. Erst mit den Filetteilen dieses Konzerns ist Setschins Rosneft zur Nummer eins in Russland geworden.

BASHNEFT UND ÖSTERREICH

Der Rechtsstreit rund um den Ölkonzern Bashneft (siehe oben) ist der jüngste in einer Reihe von umstrittenen Aktionen, mit denen die russische Ölindustrie wieder in Staatshände zurückgeführt worden ist. Zuvor war der Sektor in den 1990er Jahren privatisiert worden - im Falle von Bashneft in die Hände der Familie Rachimow des gleichnamigen Gouverneurs der Teilrepublik Baschkortostan.

Ural Rachimow, Sohn des Gouverneurs, hielt den Konzern bis 2009, um ihn dann an AFK Sistema zu veräußern. Danach floh Rachimow nach Österreich, wo er seither lebt. 2015 hat Russland seine Auslieferung erbeten, weil er im Verdacht der Untreue im Zusammenhang mit Bashneft stehe. Berechnungen zufolge könnte er am Verkauf von Bashneft 143 Mrd. Rubel (nach damaligem Kurs 3,3 Mrd. Euro) verdient haben. Österreich lehnte die Auslieferung ab, weil auch eine politische Motivation für das Auslieferungsbegehren im Raum stehe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2017)

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